Hast du zu Hause eine Bibel? Vielleicht ist es eine Paperback-Ausgabe oder eine ledergebundene mit Goldschnitt. Oder vielleicht hast du eine große, schwere Familienbibel zu Hause, die ein wertvolles Erbstück ist. Vielleicht ist sie schon von Generation zu Generation weitergereicht worden und enthält alte Handschriften und besondere Informationen über deine Familie.
Bibeln gibt es in der unterschiedlichsten Form, aber sie setzen sich alle aus Büchern zusammen, die vor Jahrhunderten in einem Teil der Welt geschrieben wurden, der als der Nahe Osten bekannt ist. Christen lesen eine Bibel, die aus zwei Teilen besteht: dem Alten Testament und dem Neuen Testament. Juden lesen den Tanach. Der Tanach ist das, was die Christen das Alte Testament nennen, nur dass darin einige Bücher in anderer Reihenfolge erscheinen. Und die Juden lieben diese biblischen Schriften genauso wie die Christen, weil darin über den einen Gott berichtet wird. Diese frühen Schriften geben die Geschichte der jüdischen Vorfahren wieder — des hebräischen Volkes, das Mose zum Land Kanaan, dem späteren Israel, führte. Der Tanach besteht aus drei Teilen: der Thora, das ist die Unterweisung im Gesetz, den Nebiim, das hebräische Wort für „Propheten", und den Ketubim, ein hebräisches Wort, das „Schriften" bedeutet. Hier ist eine Tabelle, die den Inhalt und die Anordnung der Bücher im Tanach zeigt:
Thora
Genesis (das
erste Buch
Mose)
Exodus (das
zweite Buch
Mose)
Leviticus (das
dritte Buch
Mose)
Numeri (das
vierte Buch
Mose)
Deuteronomium
(das fünfte
Buch Mose)
Nebiim
Josua
Richter
Samuel (erstes
und zweites
Buch)
Könige (erstes
und zweites
Buch)
Jesaja
Jeremia
Hesekiel
Zwölf Propheten
(Liste
siehe S. 43)
Ketubim
Psalter
Hiob
Sprüche
Rut
Hoheslied
Prediger
Klagelieder
Ester
Daniel
Esra
Nehemia
Chronik (erstes
und zweites
Buch)
Warum werden die hebräischen Schriften manchmal das „Alte Testament" genannt? Der Grund dafür ist eine Verheißung, die Gott dem hebräischen Propheten Jeremia gab, nämlich dass ein neuer Bund, ein neues Testament, zwischen Gott und Seinem Volk geschlossen würde (siehe Jeremia 31:31–34). Die Christen betrachten das Kommen von Christus Jesus als die Erfüllung dieser Verheißung und deshalb nennen sie die Evangelien, die von Jesus handeln, und die anderen Bücher, die darauf folgen, das „Neue Testament".
Wusstest du schon, dass die Bibel, die du liest, eine Übersetzung ist? Da so viele Menschen die Bibel liebten und selber lesen wollten, ist sie in viele verschiedene Sprachen übersetzt worden. Das fing sogar schon vor der Zeit Jesu an. Der Tanach wurde ursprünglich in Hebräisch geschrieben und enthielt einige Stellen in Aramäisch.
Als die Juden dann auch in Gegenden lebten, wo die meisten Menschen nicht Hebräisch, sondern eine andere Sprache sprachen, entstanden die ersten Übersetzungen des Alten Testaments. Zuerst aus dem Hebräischen ins Griechische, dann aus dem Hebräischen ins Lateinische und in andere Sprachen des Altertums. Im sechzehnten Jahrhundert verfasste ein berühmter Deutscher, nämlich Martin Luther, eine Übersetzung ins Deutsche, die sehr populär wurde. Ein Jahrhundert später erschien die englische Übersetzung, die als King-James-Bibel bekannt wurde. Neue Bibelübersetzungen sind ständig in Arbeit. Wer weiß, vielleicht werden eines Tages Übersetzungen gebraucht, die die Menschen auf ihre Reisen zu anderen Planeten und Galaxien mitnehmen können!
Wir kennen die Bibel als Buch. Aber es gab eine lange Zeit, wo die Ideen und Erfahrungen in der Bibel noch nicht niedergeschrieben waren; sie wurden nur mündlich weitergegeben. Die Geschichten im ersten Buch Mose über den Propheten Abraham zum Beispiel ereigneten sich wahrscheinlich gut 2000 Jahre, bevor Jesus geboren wurde, also um das Jahr 2000 v. Chr. Diese Geschichten wurden über tausend Jahre lang erzählt und wiedererzählt, bis sie dann Mitte des 9. Jahrhunderts v. Chr. aufgeschrieben wurden.
Eine Geschichte nur durch mündliche Erzählungen kennenzulernen mag uns ungewöhnlich vorkommen, da Lesen und Schreiben heute allgemein üblich sind. Manchmal hören wir sogar nur „halb" hin, wenn etwas um uns herum vor sich geht, weil wir wissen, wir können später in einem Buch oder in einer Zeitung darüber lesen oder im Fernsehen darüber hören. Doch im Altertum waren die Menschen es gewohnt, aufmerksam zuzuhören, wenn Geschichten wie die in der Bibel erzählt wurden — besonders auch weil es dabei um heilige Dinge und um Familiengeschichte ging.
Es gab damals viel Stille! Manchmal war das einzige Geräusch, das ein Hirte den ganzen Tag über hörte, nur das sanfte Blöken seiner Schafe oder das Sausen des Windes im Gras. Eine Geschichte war also immer ein besonderes Ereignis. Und für Geschichtenerzähler gab es viel weniger Wettstreit um die Aufmerksamkeit der Zuhörer als heutzutage. Die Menschen nahmen sich die Zeit gut hinzuhören und alles genau wiederzugeben, was sie gehört hatten. Und so begann dann die Bibel — durch das, was die Menschen einander über Gott erzählten und zeigten. Das Schreiben kam später.
Als schließlich Niederschriften gemacht wurden, waren die Schreiber im allgemeinen nicht diejenigen, die die ursprünglichen Erlebnisse oder Ideen, über die sie schrieben, selber gehabt hatten. Es wird zwar oft angenommen, dass der Prophet Mose die Thora schrieb (die fünf Bücher Mose im Alten Testament), aber viele Gelehrte glauben, dass Mose in Wirklichkeit den Menschen Ideen nahebrachte, die erst Jahrhunderte später von anderen aufgeschrieben wurden. Einige Verfasser der Bibel waren wahrscheinlich Schüler der Propheten. Vielleicht mussten sie die Botschaft, die ihr Lehrer von Gott empfangen hatte, auswendig lernen und laut wiederholen. Danach haben sie die Botschaft aufgeschrieben. Später haben andere Schreiber wahrscheinlich weiter daran gearbeitet und den Text für bestimmte Gruppen von Lesern vorbereitet. Und die ursprüngliche Botschaft wurde über viele Jahre hinweg immer wieder abgeschrieben und weiter abgeschrieben.
Ein Bibelmanuskript wurde meistens auf Pergament oder Schafleder geschrieben. Man hat das Pergament in Streifen geschnitten und mit dünnem Garn zusammengenäht. Dann hat man es auf zwei Stäbe aufgerollt. Man nannte das eine Schriftrolle. Heute kannst du dir in einigen Museen Schriftrollen angucken. Aber nirgendwo gibt es ein „Original" von einem der Bücher in der Bibel. Was wir haben, sind alles nur Abschriften von Abschriften. (Obwohl Teile des Tanach wohl schon vor dem 9. Jahrhundert v. Chr. geschrieben wurden, sind die ältesten, bisher gefundenen Abschriften mindestens sieben Jahrhunderte später entstanden.)
Die Forscher entdecken immer noch alte Abschriften von Büchern, die zum Tanach gehören. Vielleicht hast du von den Schriftrollen vom Toten Meer gehört, die 1947 entdeckt wurden. Das war die Bibliothek von einer Gemeinschaft von Juden, die glaubten, dass das Ende der Welt bevorstand. Diese Juden hatten ihren Beruf aufgegeben, hatten Heim und Familie verlassen und waren in eine alte Festung in der Wüste von Qumran gezogen, um dort auf das Ende zu warten. Sie beschäftigten sich mit dem Studium der Bücher des Tanach. Übrigens ist das Buch Ester das einzige Buch des Alten Testaments, das in der Bibliothek von Qumram nicht gefunden wurde.
Wer die Bibel und ihre Geschichte studiert hat, weiß, dass die Hebräer außer den in der Bibel enthaltenen Büchern auch noch andere Bücher geschrieben haben. Handschriften von diesen anderen Büchern wurden in verlassenen Bibliotheken und sogar in Müllhalden der Antike gefunden. Die Bücher, die jetzt zur Bibel gehören, wurden „kanonisiert", das bedeutet, sie wurden offiziell als Richtschnur für den Glauben und das Zusammenleben in der Gemeinschaft der Israeliten anerkannt. Niemand kann genau sagen, wie das vor sich gegangen ist. Doch im Tanach beispielsweise gab es etwa ab dem Jahr 70 n. Chr., gut zwanzig Jahre nach der Zerstörung der Stadt Jerusalem und ihres Tempels, keine inhaltlichen Änderungen mehr. Die Menschen waren nach diesem Unglück traurig und furchtsam und brauchten Orientierung und Stabilität. So wurde denn die Bibel in dieser neuen kanonisierten Form ihr Handbuch dafür, wie sie in der Gegenwart Gottes leben und Seinen Willen tun konnten, ganz gleich, wo sie sich befanden oder was immer geschah. Und genau das ist die Bibel auch heute — fast vier tausend Jahre später.
Zu den Zwölf Propheten zählen die Bücher von Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zefanja, Haggai, Sacharja und Maleachi.
