In der Mitte des 17. Jahrhunderts war ein Student namens Georg Neumark auf Schusters Rappen unterwegs von Thüringen nach der Universität Königsberg. Straßenräuber hatten ihm all sein Hab und Gut geraubt, außer seinem Gebetbuch und ein paar Münzen, die in sein Wams eingenäht waren. Doch der junge Wanderer besaß noch etwas, was ihm keiner rauben konnte: seinen frohen Mut und sein tiefes Gottvertrauen.
Nach beschwerlicher Wanderung fand er endlich eine Arbeit als Hauslehrer. Er war so sehr dankbar dafür, dass er noch am gleichen Tag ein Lied in Text und Melodie zu Papier brachte, das ihn schon unterwegs beschäftigt haben muss. Es hat als Lied Nr. 216 einen Platz im Liederbuch der Christlichen Wissenschaft gefunden und beginnt so:
Wer nur den lieben Gott läßt walten
Und hoffet auf Ihn allezeit,
Den wird Er wunderbar erhalten
In aller Not und Traurigkeit.
Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut,
Der hat auf keinen Sand gebaut.
Welch tröstliche und ermutigende Botschaft verkündet doch dieses Lied! Verlasst euch auf Gott; habt keine Angst; Er ist bei euch; Er wird euch führen und euch nicht verlassen! Er ist euer Vater und eure Mutter. Er liebt euch! Eine solche Botschaft erreicht uns auch beim Singen, sowohl durch den Text als auch durch eine schöne Melodie. Ja, Singen zum Lobe Gottes kann uns helfen, Gottes Gegenwart zu spüren und frei zu werden von allem, was uns gefangen hält — von Eigenwillen, von Mutlosigkeit, von Ängstlichkeit. Es hilft uns, von Gedanken frei zu werden, die immer nur um ein begrenztes, sterbliches Ich kreisen. Es erhebt uns zum Betrachten von geistigen ldeen, von Gedanken, die von einer höheren Ebene ausgehen.
Mary Baker Eddy hat uns in ihren Gedichten, die wir im Lieder-buch als Lieder vertont finden, viele wunderbare Gedanken geschenkt, die unser Denken höher führen. Ihre Worte bringen uns so viel Stoff zum Nachdenken und Anregung zum Nachtun, sind sie doch alle aus ihrer Erfahrung und Inspiration gewachsen!
Singen kann uns auch helfen von Gedanken frei zu werden, die uns nicht loszulassen scheinen. Auch immer wiederkehrenden bohrenden Gedanken über Krankheit können wir durch Singen den Garaus machen. Ich hatte vor einigen Jahren ein Erlebnis, das das deutlich macht: Ich war in Indien auf einer nassen Treppe ausgerutscht. Mir kamen viele hilfreiche Gedanken darüber, dass ich als Gottes Idee niemals aus der Harmonie herausgefallen sein kann, dass meine Verbindung zu Gott nicht unterbrochen werden kann, dass ich nicht in der Materie lebe und eine geistige Idee bin. So konnte ich mich zwar sehr bald wieder erheben und ein Bluterguss und die Schmerzen im Bein verschwanden sehr schnell. Aber mir schien, als ob ich einige Rippen gebrochen hätte, was mich ein paar Tage lang störte, besonders wenn ich mich abends zu Bett legte. Einmal, als ich mich gerade hingelegt hatte, begann in der Nachbarschaft sehr laute Musik zu spielen, was den Indern nichts ausmachte, mir aber in dem Moment sehr lästig, ja beinahe ärgerlich war. Ich stand wieder auf und fing an, im Zimmer auf und ab zu gehen und viele Lieder aus dem Lieder-buch laut zu singen (ich war allein im Haus). All meine Gedanken waren ganz bei den Liedern. Das Singen machte mich sehr ruhig und froh und dankbar. Dann legte ich mich wieder hin und schlief bis zum Morgen. Ich hatte die schmerzenden Rippen ganz und gar vergessen. Es gab diesbezüglich keinerlei Störung oder Beeinträchtigung mehr. Ich hatte eine augenblickliche Heilung erlebt.
Singen kann uns helfen von Gedanken frei zu werden, die uns nicht loszulassen scheinen.
Mein Denken war erhoben worden, hin zu dem natürlichen Einklang mit Gottes friedvollen, heilsamen, reinen Gedanken. Es war Mesmerismus — so bezeichnen wir einen beinahe zwanghaften äußeren Einfluss —, der mich immer wieder hatte erinnern wollen, dass ich gefallen war und etwas in mir nicht in Ordnung sein sollte. Dieser Einfluss, der uns stets von unserem göttlichen Ursprung abzulenken versucht, wurde durch das Singen vollständig zerstört.
Ein anderes Erlebnis, das diese Tatsache beweist: Einmal rief mich ein Mann an, der allem Anschein nach an Hexenschuss litt, und bat um Hilfe durch Gebet. Ich ermutigte ihn, Lieder aus dem Liederbuch zu singen — nicht nur in der Kirche, sondern auch zu Hause. Zunächst war ihm der Gedanken, zu Hause laut Lieder zu singen, ziemlich fremd. Aber er tat es. Nach kurzer Zeit meldete er sich wieder und rief aus: „Halleluja! Alles ist in Ordnung!"
Dankbares Singen heilt — oft ganz plötzlich und unerwartet!
Mrs. Eddy sagt uns in Wissenschaft und Gesundheit: „Alles, was Weisheit, Wahrheit oder Liebe einflößt — sei es nun Gesang, Predigt oder Wissenschaft —, segnet die menschliche Familie mit Brosamen des Trostes von dem Tische Christi, speist die Hungrigen und gibt den Durstigen lebendiges Wasser." Wissenschaft und Gesundheit, S. 234.
Singen kann unser geistiges Sehnen, unseren geistigen Hunger stillen, uns wegführen aus Hoffnungslosigkeit und Traurigkeit, die uns so überzeugend erscheinen wollen. Die Worte in den Kirchenliedern haben oft den Charakter eines Gebets. Sie leugnen nachdrücklich die vermeintliche Abhängigkeit des Menschen von äußeren Umständen. Sie bekräftigen Gottes umfassende Fürsorge für Seine Schöpfung und betonen die geistige, unzerstörbare Natur des Menschen. Sie zeichnen das wahre Bild vom Menschen auf eindrückliche Weise in unserem Bewusstsein und leiten uns so zu einer höheren, befreiten Sicht auf die Dinge. So wird unser Gesang wahrlich zum Dank und Loblied für Gott, wie Paulus es in seinem Brief an die Epheser formuliert: „Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen und sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit." Eph 5:19, 20. Und das heilt.
