Die Straße von New Orleans in Richtung Süden verwandelt sich in der Nähe von Delacroix Isle in eine schmale zweispurige Asphaltstraße, die sich am Rande der kaffeefarbenen Gewässer des Bayou Terre aux Boeufs entlangschlängelt. Alle paar Meter durchbrechen Schwimmer von Krebsfallen die Oberfläche dieses sumpfigen Flussarms, während an Zypressenholzstegen träge Krabbenkutter auf die nächste Chance warten, ihre Netze einzuholen. Auf Zementblöcken in Meterhöhe über dem Boden stehen auf der anderen Straßenseite wie unverrückbar die Häuser der Fischer und ihrer Familien, so als wollten sie irgendwelche verirrten Sturmfluten streng zurückweisen, die vom Golf von Mexiko heraufgeblasen werden könnten.
Wo der Asphalt schließlich endet, verkündet nüchtern ein handgemaltes Schild: „Bootshafen am Ende der Welt". Und so fühlt es sich auch an. Hinter der mit Muscheln gepflasterten Bootsanlegestelle liegen in Luftlinie (wie der Reiher fliegt) mindestens 30 Kilometer unzivilisiertes Sumpfland — das Produkt der über viele tausend Jahre vom Mississippi im breiten Golfküstendelta angeschwemmten nordamerikanischen Muttererde. Am Rande des Sumpfgrases breitet sich dann Black Bay, die Schwarze Bucht, in einem riesigen Salzwasserbecken aus, in dem es von Möwen und Seeschwalben und Braun-Pelikanen, von Meerforellen und Lachsen wimmelt und endlose Schwärme von Meeräschen, seitwärts durch die Luft springend, an der Oberfläche entlangplatschen und ihre silberweißen Bäuche in der Sonne blitzen lassen. Und schließlich schluckt der Sund von Breton die Black Bay; noch einige schmale Inseln lagern schützend vor der Küste und danach kommt der Golf. Ab der Mündung des Bayou Terre aux Boeufs ist überall nur noch Wasser.
An diesem Nachmittag hatten wir eine Bootsfahrt den sumpfigen Flussarm hinab gemacht und waren bis zum Sonnenuntergang in der Bucht geblieben. Nur hier in Lousiana, wenn man an schwülen, dunstigen Sommerabenden vom Wasser aus über die Sumpflandschaft blickt, bietet sich solch ein Bild von der untergehenden Sonne: Die Sonne hängt nur so eben über dem Rand der Erde. Sie hängt — und hängt. Rot, orange. Orange, rot.
Die Sonne war kaum unseren Blicken entschwunden war, da hatten wir das Boot gewendet und den Heimweg angetreten, den Bayou wieder hinauf. Aber jetzt war der Himmel von Farben erfüllt. Vom Horizont herauf malte die Sonne ihren Abgang mit leuchtenden Rosatönen und schillerndem Perlweiß und Gold bis zum unteren Ende der sich schräg über unserem Boot entlangziehenden, durchbrochenen Wolkenfelder. Es schien, als ob etwas Großes und Gutes lächelnd auf uns herabschaute.
In dem Moment merkte ich, dass ich betete. Und es auch schon einige Augenblicke getan hatte. Das Gebet hatte einfach begonnen, war in meinem Herzen aufgewallt, ohne dass ich genau wusste, wann. Ich begriff etwas von Gottes Liebe und spürte sie. Ich dankte Ihm für die Gnade und den Frieden, die ich empfangen hatte und die sich in meinem Leben vermehrt kundtaten, denn sie waren größer — unendlich größer — als die Schönheit um uns herum. Ich lächelte zum Himmel zurück. Mein Freund schaute im Boot zu mir herüber und lächelte ebenfalls. Auch er betete.
Warum sollte Gebet nicht so sein? So natürlich wie das Atmen. Intuitiv. Uneingeschränkt inspirierend. Etwas, was in uns singt, wie völlig gut Gott ist und wie völlig gut unser Leben als Sein Ausdruck ist. Unser Gott hat jeden von uns dazu geschaffen, das widerzuspiegeln, was Er schon immer gewesen ist. Die göttliche Liebe, Wahrheit, Geist, unendliche Seele, widerzuspiegeln; liebevoll und geistig gesinnt zu sein; ein Leben in Integrität und wahrer Schönheit zu leben, das nie schäbig oder rücksichtslos oder hässlich sein kann. Unser Gott hat uns für alle Ewigkeit geistig erschaffen. Der materielle Anschein, die scheinbaren sterblichen Grenzen des Lebens — das alles sind Schatten und Nebel. Es ist niemals Substanz, niemals wirklich. Unser Gebet sagt uns, dass Gott wirklich ist. Dass das Gute wirklich ist. Dass das geistige Gute die Substanz unseres Lebens ist und wir es nie verlieren können.
Warum sollte unser Gebet uns nicht solche Wahrheit nahebringen und uns durch diese Wahrheit umwandeln? Der Apostel Paulus schrieb an seine Mitchristen: „Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlaß, seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch." 1. These 5:16-17. Ja, warum sollte Gebet nicht so sein? Nie nachlassend, so natürlich wie das Atmen. Freude-erfüllt. Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift enthält die wunderbare Verheißung: „Die Christen erfreuen sich stiller Schönheit und Fülle, verborgen vor der Welt, aber Gott bekannt." Mary Baker Eddy. Wissenschaft und Gesundheit, S. 15.
Als das letzte Licht der Sonne schließlich verblasst und die farbdurchtränkten Wolken grau geworden waren, verweilte das Gebet noch bei uns. Bei meinem Freund und mir. Kein Hauch von Grau ruhte auf dem Augenblick selbst, auf der Inspiration. Die Farben und das Licht, das Gott eingab, waren geblieben.
