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Keuschheit an der Schwelle zum 21. Jahrhundert

Ein Brief an einen Freund!

Aus der April 1999-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Du hast mich gestern gefragt, was ich von sexuellen Beziehungen und Keuschheit halte. Ich weiß, schon allein bei dem Begriff „Keuschheit“ läuten bei dir die Alarmglocken: „Hör mir bloß auf mit diesem prüden Dogma absoluter Abstinenz. Wir leben doch an der Schwelle zum 21. Jahrhundert und nicht mehr im Mittelalter." — Aber hör mir erst mal zu, was ich überhaupt mit diesem Begriff meine.

Keuschheit bedeutet nicht Prüderie im Umgang mit Sexualität oder gar geheuchelter Verzicht aufgrund einer auferlegten dogmatischen Lehre. Lass mich erst mal über den Umgang mit sinnlichem Genuss im Allgemeinen reden. Denn wer von uns verzichtet schon gerne freiwillig auf Genuss? Und die Frage ist, wofür überhaupt?

Fast jedes Konsumgut wirbt mit dem Versprechen, uns durch Genuss Glück und Befriedigung zu geben; sei es ein Parfum, ein neuer Wagen oder eine Süßigkeit: „Probieren Sie die Neue — der pure Genuss", wirbt eine Schokoladenfirma. Dazu sehen wir in einem Werbespot zwei glücklich strahlende Gesichter. Klar schmeckt die Schokolade, und der auf das Sinnliche gerichtete Genuss mag uns ein kurzweiliges Vergnügen oder ein vorübergehendes beglückendes Gefühl verleihen. Aber wie dauerhaft ist das?

Dabei fällt mir ein einfaches Beispiel ein: die „Gaumen-Lust". Ich kenne dein Verlangen nach Süßigkeiten. Du verschlingst an einem Nachmittag eine ganze 200g-Tafel Schokolade. Und wenn du mal ehrlich bist, musst du dir anschließend eingeste hen, dass du eigentlich auf der Suche nach einem inspirierten Gedanken für deine Arbeit oder einem verständnisvollen Gespräch mit einem Freund warst. Das Bedürfnis nach der Schokolade war also ein Ersatz für eine ganz andere „Sehnsucht". Allzu häufig besteht die Gefahr, dass wir uns auf der Suche nach mehr Liebe in unserem Leben von materiellen Stoffen abhängig machen — seien es Süßigkeiten, die scheinbare Befriedigung versprechen, Alkohol- und Tabakgenuss oder die Tasse Tee oder Kaffee zum Wachwerden.

Die Medien halten uns den Gedanken von sinnlicher Maßlosigkeit ständig vor Augen. Die penetrante öffentliche Darstellung von sexueller Lust und Sinnlichkeit weckt verstärkt den Glauben, dass körperliche Lusterlebnisse ein glücklicheres und zufriedeneres Leben gestalten. Ein attraktiver Körper und sexuelle Befriedigung scheinen Bausteine für emotionale Balance und Erfolg zu sein. Ich versichere dir, der Versuch, Glück durch Körperlichkeit zu suchen, wird uns irgendwann in die Sinnlosigkeit abstürzen lassen.

Bei allen Bedürfnissen, die wir verspüren, müssen wir begreifen, dass es sich im Grunde genommen immer um die Sehnsucht nach mehr Liebe in unserem Leben handelt. Suchen wir das tragende und beglückende Gefühl von echter Liebe durch eine andere Person? Oder sollten wir nicht vielmehr direkt die „Liebes-Quelle" selbst, nämlich Gott, „anzapfen"? Denn auf diese Weise werden wir erleben, dass unsere innigsten Wünsche und Bedürfnisse — in welcher Art auch immer — zu unserer vollsten Zufriedenheit erfüllt werden.

Der Enthaltsamkeit liegt die Erkenntnis zugrunde, dass es ein Trugschluss ist anzunehmen, sinnliche Gelüste könnten unser tatsächliches Bedürfnis nach dauerhafter Freude im Leben befriedigen. Mary Baker Eddy, die Gründerin von Christian Science, definiert Glück folgendermaßen: „Glück ist geistig, aus Wahrheit und Liebe geboren." Ein keusches Leben anzustreben ist für mich eine natürliche Folge dieses Verständnisses von Glück und bedeutet ein Verlangen, Abhängigkeit von Genussmitteln zu überwinden.

Was bedeutet nun der Gedanke von Keuschheit innerhalb einer Partnerschaft? In welcher Art zwei erwachsene Menschen, die sich liebevoll zugetan sind, miteinander umgehen, ist deren ganz persönliche, individuelle Vertrauenssache; dies ist nicht Angelegenheit Dritter. Entscheidend in einer Liebesbeziehung sind allerdings die Aspekte echter gelebter Liebe und die gilt es für sich zu prüfen. Dauerhafte Qualitäten wie Geborgenheit und Schutz, gegenseitiges Vertrauen und Respekt füreinander, Nähe und Gemeinsamkeit können nicht durch körperliche Intimität erlangt werden. Sex allein gibt keine Aussage darüber, ob sich zwei Menschen wirklich lieben.

Keuschheit bedeutet nun nicht die Unterdrückung aufrichtiger Gefühle füreinander, sondern ist eine Form von Selbstbeherrschung im physischen, aber auch im psychischen Sinn. Diese Selbstkontrolle oder Mäßigung entspringt der Erkenntnis, dass körperliche Leidenschaft und „Gefühlsduselei“ nicht wirkliche Substanz bieten können. Wenn daher alle Entscheidungen im Umgang miteinander durch den höchsten Begriff vom Guten getragen werden, wird sich eine Partnerschaft in der ihr ganz eigenen Individualität und Reinheit voll entfalten. So kenne ich verheiratete Paare, die einen sehr reinen Begriff ihrer sexuellen Gefühle füreinander haben. Und obwohl sie ihre Gefühle füreinander in einer für die Ehe normalen Weise ausdrücken, bleibt die geistige Basis ihrer Liebe immer im Vordergrund. Auf diese Weise ist ihre Ehe rein und keusch.

Der Begriff „keusch" kommt ursprünglich aus dem Lateinischen: conscius heißt „mitwissend, bewusst". Das westgermanische kuskeis ist Ursprung unseres heutigen Begriffs und bedeutet „der christlichen Lehre bewusst". Was ist uns aus der Lehre des Christentums „bewusst"? In der Bibel lernen wir Gott als Liebe, als die Quelle aller Versorgung kennen. Das ist ein grundsätzlich anderer Schlüssel auf der Suche nach Zufriedenheit. Denn Gott, verstanden als das allmächtige und allwissende Gemüt, kennt unsere wirklichen Bedürfnisse und lässt uns niemals unbefriedigt. Weiter erklärt die Bibel die wahre Identität des Menschen als Gottes Bild und Gleichnis. Aus dieser Anschauung heraus ist es die logische Konsequenz, dass der Mensch seine Zufriedenheit nur in den geistigen Werten finden kann, die hinter einem Gegenstand oder einer Handlung stehen.

Auch wenn der allgemeine Standpunkt unserer Gesellschaft von einem sündigen, triebhaften Menschenbild ausgeht, so kann jeder von uns einen höheren Standpunkt einnehmen. Wir müssen uns nicht auf die Ebene von sinnlichem Chaos und Krieg einlassen, sondern können stattdessen unser Bewusstsein aus dem materiellen Augenschein erheben. Es liegt an uns selbst, wovon wir uns regieren lassen: von primitiven Trieben oder von erhobenem Denken.

In dem Buch Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift schreibt die Autorin Mary Baker Eddy: „Was wir am dringendsten brauchen, ist das Gebet innigen Verlangens nach Wachstum in Gnade, das sich in Geduld, Sanftmut, Liebe und guten Werken ausdrückt" (S. 4).

Keuschheit bedeutet nicht die Unterdrückung aufrichtiger Gefühle füreinander. Wenn alle Entscheidungen durch den höchsten Begriff vom Guten getragen werden, wird sich eine Partnerschaft in der ihr ganz eigenen Individualität und Reinheit entfalten.

Es ist einsichtig, dass die Verstrickungen in Gefühle, zerstörerische sinnliche Leidenschaft und ständige Gedanken an den Körper unsere mentale Wachsamkeit trüben. Wir sollten nicht dabei stehen bleiben zu behaupten: „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach." Es steht uns offen, die Liebe Gottes in ihren zahlreichen Facetten immer besser kennen zu lernen. Wenn wir das Potential unserer geistigen Identität mehr und mehr erleben wollen, wird Keuschheit für uns zu einem wachsenden Bedürfnis. Je mehr wir uns aus sinnlicher Abhängigkeit befreien, desto größer wird unser Verständnis von der Herrschaft des Geistes des beständig Guten. Darunter verstehe ich zum Beispiel meine ausgelassene Freude ohne einen Tropfen Alkohol. Oder den inneren Halt, den ich in einer Prüfungssituation spüre. Denn gerade dann, wenn ich scheinbar ganz auf mich gestellt einer Herausforderung gegenüber stehe, kann mich nur ein Bewusstsein von der Allgegenwart geistiger Kraft wirklich stützen und inspirieren.

Auf dem Weg zu mehr geistigem Verständnis werden wir ständig herausgefordert zu demonstrieren, was wir über unsere wahre Unabhängigkeit von materiellen Mitteln wirklich begriffen haben. Wir müssen ständig unsere Motive und die Ehrlichkeit uns selbst gegenüber, unsere Authentizität, auf den Prüfstand stellen. Keuschheit bedeutet Reinheit und Einheit für unser Denken und Handeln. Ich finde es fantastisch, mehr und mehr durch die ehrliche Auseinandersetzung mit sinnlicher Mäßigung, die reinigende und befreiende Kraft des Geistes erleben zu können.

Bist du immer noch der Ansicht, dass Keuschheit prüde ist? Sie ist für mich zu einem ganz neuen und frischen Begriff geworden, seit ich sie mit „Selbstkontrolle" oder „Selbstdisziplin" definiere. Im Lehrbuch von Christian Science finden wir eine klare Aussage über die Notwendigkeit von sinnlicher und sexueller Mäßigung: „Keuschheit ist das Mittel, das Zivilisation und Fortschritt zusammenhält. Ohne sie gibt es keine Stabilität in der Gesellschaft und kann man die Wissenschaft des Lebens nicht erlangen" (S. 57). Der Gedanke von Keuschheit bleibt damit aktuell — auch heute an der Schwelle zum 21. Jahrhundert.

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