Als der Bauingenieur Bob McNaught sich 1988 fünf Stunden lang abmühte, um bei seinem ersten Marathonlauf (42 km) in Boston, USA, die Ziellinie zu erreichen, hatte er nicht die Absicht, diese Gewaltleistung noch einmal zu wiederholen. Drei Jahre danach brauchte er beim Marathon in Berlin, das damals seine Wiedervereinigung feierte, fast nur die Hälfte seiner Bostoner Laufzeit.
In diesem Jahr hat McNaught am 17. April seinen hundertsten Marathon mit einer Laufzeit von unter drei Stunden geschafft und er erzählte uns hinterher, dass er so lange an Marathonläufen teilnehmen will, wie es ihm Spaß macht. „Für mich hat nichts so großen Reiz, wie ein Rennen zu Ende zu laufen und es an weit entfernten Austragungsorten zu tun.”
„An weit entfernten Austragungsorten” steht hier für sechs Kontinente, alle fünfzig Staaten der USA, einschließlich der Hauptstadt Washington, sowie acht kanadische Provinzen und Territorien. McNaught hat auch an Rennen in seiner Heimatstadt Brisbane in Australien teilgenommen. Er lebt jetzt in Bellingham im US-Staat Washington.
„Wissen Sie, ich bin nie allein gelaufen”, fährt McNaught fort. „Ich habe immer Gottes Gegenwart gefühlt und es hat viele Augenblicke gegeben, wo ich mir klar darüber sein musste, wo meine Kraft wirklich herkommt.
„Dieses Jahr zum Beispiel machte ein starker, kalter Gegenwind den Bostoner Marathon viel schwerer als sonst und nach 30 Kilometern taten mir die Beine furchtbar weh. Statt auf die Schmerzen konzentrierte ich mich aber auf den Bibelvers:, Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht’ Phil 4:13. — nämlich Christus — und dadurch war ich imstande, bis zum Schluss ein gutes Tempo beizubehalten.
„Ich bin so dankbar, dass mir von Kind auf die Heilige Schrift nahe gebracht worden ist. Wenn ich laufe, habe ich sozusagen einen Vorrat an hilfreichen Gedanken im kleinen Finger — oder vielleicht sollte ich sagen, im kleinen Zeh’. Gerade die einfachsten und bekanntesten Stellen sind mir immer wieder eine Hilfe.
Ein weiterer Vers ist:, Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.’ Jes 40:31. Das ist wie für Läufer geschrieben!”
Geistig vorbereit sein
Wir fragten McNaught, wie sich denn sein hundertster Marathon von seinem ersten unterschied.
„Ich erinnere mich noch genau, wie nervös ich beim ersten Mal war! Es war ein zögerliches, unvorbereitetes Wagnis — ein Lauf ins Ungewisse. Da ich aber nur sehr wenig trainiert hatte, wusste ich, dass ich mich nicht auf irgendeine materielle Vorbereitung verlassen konnte. Es kam darauf an geistig vorbereitet zu sein.
Inzwischen habe ich neunundneunzig weitere Marathonläufe hinter mir und kann nun sagen, dass ich langsam verstehe, was es mit diesen Läufen auf sich hat. Man lernt dabei all das, was man braucht, um im Leben voranzukommen. Zum Beispiel ist mir klar geworden, dass wir nichts Lohnendes und Bedeutendes ohne Selbstdisziplin und Beharrlichkeit erreichen können — Eigenschaften, die man meines Erachtens am besten durch Gebet und Vertrauen auf Gott fördert. In Wirklichkeit hilft uns allein Gott bei jedem Schritt, den wir machen, wie auch beim Endspurt ins Ziel. Und diese Partnerschaft mit Gott führt zu vielen kleinen Siegen auf unserem Weg.
Einen dieser, Siege’ erlebte ich, als ich einmal bei einem Rennen über eine Baumwurzel stolperte und mir den Knöchel verletzte. Ich musste sofort energisch die Furcht und den Schmerz verneinen, weil sie ja nicht Teil meiner wahren, geistigen Identität als Gottes Kind waren. Die Schmerzen verschwanden fast augenblicklich und ich konnte die letzten 16 Kilometer zu Ende laufen.”
Freude am Laufen
„Dann ist da noch die ständige Freude am Laufen selbst!” erklärt McNaught. „Viele Leute im Seniorenalter sind begeisterte Läufer und die Zeit, die sie auf ihrer Lieblingsstrecke zubringen, gibt ihnen seelisch und geistig sehr viel. Ein Mann, den ich kennen lernte und der inzwischen Mitte siebzig ist, hat an mehreren hundert Marathonläufen teilgenommen. Mich inspiriert besonders das Beispiel von Johnny Kelley, der den Bostoner Marathon zweimal gewonnen hat, sieben Mal Zweiter geworden ist und noch mit über achtzig daran teilgenommen hat!
„Selbst Leute, die keine Läufer sind, kommen zu Marathonläufen aus Spaß an der Sache. Das feuert uns richtig an! Und es berührt uns immer, wenn uns Kinder entlang der Strecke einen Becher Wasser oder Apfelsinenscheiben anbieten, wenn wir vorbeilaufen. Die Kinder freuen sich riesig, wenn wir ihr Angebot annehmen.
„Es macht mir auch Spaß, Menschen unterschiedlicher Herkunft und Nationalität kennen zu lernen, die alle vor der gleichen Herausforderung stehen und sich während des Laufes gegenseitig helfen. Ich erinnere mich an einen Läufer beim Marathon auf Bermuda. Der ließ Laufzeit Laufzeit sein und kümmerte sich um eine junge Frau, die drauf und dran war aufzugeben. Er blieb an ihrer Seite und sprach ihr bis zur Ziellinie Mut zu. Das ist ein echtes Beispiel selbstloser Nächstenliebe. Und dann sind da noch die Rollstuhlfahrer, die enormen Mut zeigen beim Überwinden von Begrenzungen.”
Aus Bescheidenheit erwähnte McNaught bei unserem Gespräch nicht die Genugtuung, die es ihm ganz offensichtlich verschuf, als Erster durchs Ziel zu gehen. In seiner verhältnismäßig kurzen Zeit als Marathonläufer hat er drei Rennen gewonnen und war mehrere Male Zweiter und Dritter.
„Das ist natürlich Anlass zur Freude, ja, aber es ist weniger wichtig, finde ich, als sich den Herausforderungen des Leben zu stellen und sie zu meistern. Und die scheinen nie aufzuhören, besonders der Glaube an das Älterwerden. Das Alter sollte uns keine Begrenzungen auferlegen. Wir alle müssen stereotype Vorstellungen in Bezug auf unser Alter überwinden. Ich höre nicht auf bei meinem Denken und Tun Wachstum zu erwarten und sehe keinen Grund, warum ich nicht noch viele Jahre laufen sollte. Laufen macht mir Freude, und die Erfüllung und den Fortschritt, die es mir bringt, sind ein zusätzlicher Pluspunkt.”
