Während meiner Studienzeit anfangs der 50er Jahre spielte der britische Dramatiker Bernard Shaw bei den Studenten eine bedeutende Rolle. Sein Name fehlte auf keinem Theaterprogramm, und wir lasen begierig seine Neuerscheinungen.
Ich erinnere mich noch genau, wie fasziniert ich war, als ich in einem seiner Bühnenwerke auf die Stelle stieß, wo er sagte, der Himmel sei doch nur ein Ort für langweilige Betschwestern. In der Hölle dagegen, da sei etwas los; da sei es spannend mit den zahllosen Erlebnis möglichkeiten des vom Teufel animierten Lebens. Dies fiel mir neulich wieder ein, als im Fernsehen ein Kulturmanager den gleichen Gedanken in einer Gesprächsrunde äußerte, die ein mittelalterliches Bild mit der Darstellung des apokalyptischen Weltendes kommentierte.
Das machte mich sehr nachdenklich.
Eine zentrale Äußerung von Jesus Christus war: „Das Reich Gottes ist herbeigekommen.” MK 1:15. Die Menschen sollten deshalb Buße tun und Weltlichkeit und Sünden ablegen. Da kann er wohl nicht etwas Langweiliges, Unbefriedigendes und Nutzloses gemeint haben, wenn er doch unser aller Wohl fördern wollte?
Ich bin mir sicher, gerade das Gegenteil war der Fall. In einem seiner Gleichnisse verglich er das Himmelreich mit einem Schatz, der in einem Acker verborgen war. Ein Mann verkaufte all seine Habe, um das Grundstück zu erwerben, damit er ihn ausbuddeln konnte. Ein anderes Gleichnis spricht im gleichen Zusammenhang von einer kostbaren Perle, für deren Erwerb das ganze Vermögen hingegeben wird. Das Reich Gottes muss also etwas äußerst Wertvolles sein, für das sich nach Jesu Meinung des Menschen höchster Einsatz lohnt.
Freude ist ein wichtiger Faktor im Himmelreich, Hingabe aber ebenso eine Bedingung, um es zu erleben. Gehören sie nicht zu den höchsten und schönsten Gefühlen und Werten in unserem Leben? Dann muss Shaw sich wohl geirrt haben, denn Freude und Hingabe sind gewiss nichts Langweiliges.
Freude kommt in uns auf, wenn uns etwas gut gelungen ist, wenn wir etwas Schönes erleben, wenn uns jemand Anerkennung oder Lob spendet oder wenn wir etwas Wertvolles erreicht haben. Zugleich empfinden wir Dankbarkeit und Zufriedenheit. In naher Beziehung dazu stehen auch solche Qualitäten wie Friedfertigkeit, Sanftmut, Geduld und Barmherzigkeit, wie Jesus sie in den so genannten Seligpreisungen seiner berühmten Predigt auf dem Berge benannteMt 5-7.. Selig sein bedeutet glücklich sein. Und wir können uns fragen, ob wir glücklicher sind, wenn wir den Mitmenschen abwertend beurteilen und behandeln, ihn kritisieren und klein machen oder wenn wir mit ihm tolerant, mitfühlend und anerkennend umgehen. Fällt uns da die Entscheidung nicht leicht?
Was ist es denn, das trotzdem für manchen das Turbulente, Sensationelle, Negative und Abartige so anziehend erscheinen lässt? Einflussnahme, Macht, Bereicherung haben für manche mitunter eine unwahrscheinliche Attraktivität. Sie vermögen den Menschen wie in einen Rauschzustand zu versetzen — man scheint wie „von allen guten Geistern verlassen”. Doch wie vergänglich und störanfällig ist diese so genannte Freude. Die Vergnügungen der als interessant bezeichneten Hölle manifestieren sich nicht selten als höllische Plagen.
Was befähigt uns, diesen negativen Kräften zu widerstehen? Die Seligpreisungen nennen eine Reihe von Eigenschaften, die selig machen, uns also glücklich und erfüllt sein lassen und uns gleichzeitig schützen. Nur wer die Nähe Gottes und den Segen daraus nicht erfahren hat, bezeichnet das Reich Gottes als fern und wenig erstrebenswert. Greifen wir doch einmal die Friedfertigkeit als Beispiel aus den göttlichen Eigenschaften heraus, die in der Bergpredigt erwähnt werden: fried-fertig, fertig zum Frieden, bereit zum Frieden, jederzeit friedens bereit. Die meisten wissen nur zu gut, dass beispielsweise im Eheall tag und in der Familie Kritisieren, Nörgeln, Rechthaberei, Eigensinn, Streitsüchtigkeit nie zu guten Resultaten führen. Im Gegenteil spitzen sie eine angespannte Situation nur zu und helfen nicht.
Im konkreten Fall fällt es aber manchmal nicht so leicht, friedfertig zu sein. Da wird deutlich, dass es einer übergeordneten Instanz bedarf, die unserem Verhalten die nötige Stabilität gibt. Religiös definiert wird sie als Gott bezeichnet, als Vater-Mutter Gott, als göttliches Prinzip oder als allumfassende Liebe. So lautet denn ein bekannter christlicher Segen: „Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.” Phil 4:7. Wer den Pfad Christi getreu und konsequent geht, erfährt, dass sich dieser Text im praktischen Alltag bewährt. Die Vernunft wird in einer kritischen, Streit provozierenden Situation sicher gelenkt. Und das Herz, die Emotionen, werden im Zaun gehalten, wenn wir uns ehrlich darum bemühen. Unser Tun und Denken wird vor Schlimmem tatsächlich bewahrt und die Liebe triumphiert über den Hass. Wie befreiend und befriedigend ist solches Erleben! Von Langeweile keine Spur!
Freude ist ein wichtiger Faktor im Himmelreich, Hingabe aber ebenso eine Bedingung, um es zu erleben. Gehören sie nicht zu den höchsten und schönsten Gefühlen und Werten in unserem Leben? Dann muss Shaw sich wohl geirrt haben, denn Freude und Hingabe sind gewiss nichts Langweiliges.
Die Einsichtsfähigkeit und ein Verständnis für Gott und unsere Mitmenschen hilft uns, die Seligpreisungen als Motto für das friedfertige Zusammenleben zu wählen. Dies offeriert einen faszinierenden Weg.
Bernhard Shaw war ein einfallsreicher, hochinteressanter Dramatiker. Aber vom Himmel hatte er wohl keine große Ahnung.