Es war Nacht. In der engen Berghütte schliefen alle. Da die Hüttentür noch verschlossen war, musste ich durch das Fenster hinaus in die kalte Dunkelheit klettern. Schwer atmend stieg ich den steilen Pfad aufwärts. Als ich oben am Joch angelangt war, umfing mich noch immer finstere Nacht. Ich stapfte über den Ferner immer einer Spur folgend. Und nach einer schwierigen Felskletterei kam ich schließlich am Gipfel in ca. 2600 m Höhe an.
In diesem Moment ging gerade die Sonne rotleuchtend am Horizont auf. Hunderte von Berggipfeln — golden in der Sonne glänzend — grüßten mich, den einsamen Bergsteiger.
Da stand ich nun in der Stille, allein mit Gott, fern aller Zivilisation.
Erst vor nicht allzu langer Zeit, hatte ich den Weg aus einem totalitären Staat herausgefunden; und nun stand ich hier in vollkommener Freiheit. Es war ein ergreifender Moment. Da dachte ich an das Bibelwort: „Die Blinden will ich auf dem Wege leiten, den sie nicht wissen; ich will sie führen auf den Steigen, die sie nicht kennen. Ich will die Finsternis vor ihnen her zum Licht machen.” Jes 42:16.
Über eine Stunde lang verharrte ich ergriffen und dankbar in dieser erfüllten Stille. Ein Gedicht von Mary Baker Eddy traf buchstäblich auf mich zu:
Höchste Zier hab ich gefunden,
ist die Lehre, die es bringt;
die Natur, dem Geist verbunden,
Künstlerphantasie beschwingt.
Seele, erhaben über Trümmer,
malt des Künstlers Werk, ich mein’‚
Kunst und Wissenschaft ja immer
hellen auf das ird’sche Sein.
Kunst, du tauchtest diesen Flecken
ein in hohe, zarte Pracht.
Felsen, die sich aufwärts recken,
Weisen in das Reich der Macht. Vermischte Schriften, S. 393, Verse 2, 3 und 6.
Als ich diese herrliche Bergwelt im Skizzenbuch festgehalten hatte, stieg ich über den steilen Fels wieder abwärts. Nach vielen Stunden war ich wieder unter Menschen und schrieb vom Ort aus eine Karte an den Hüttenwirt; bedankte mich für die gute Bewirtung und entschuldigte mich dafür, dass ich nachts durch das Hüttenfenster gestiegen war.
Das alles bleibt mir unvergessen. Ich habe es bisher niemandem erzählt. Viele geistige Höhen habe ich seitdem durch die Lehre von Christian Science bestiegen. Dabei musste ich lernen, dass Selbstlosigkeit, Demut und Liebe weit mehr von mir erforderten als dieser nächtliche Aufstieg auf einen einsamen Berggipfel. Doch der Weg von der Finsternis zum Licht — zur Wahrheit — wurde mir gewiesen. „Du tust mir kund den Weg zum Leben: Vor dir ist Freude die Fülle und Wonne zu deiner Rechten ewiglich.” Ps 16:11. So heißt es in der Bibel. Mein Einssein mit Gott hatte ich erfahren.
