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Mary Baker Eddy Bibliothek

Das Verlagswesen im 19. Jahrhundert

Aus der März 2004-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Für die Historiker beginnt das 19. Jahrhundert mit dem Jahr 1815. Für Buchverleger beginnt es um 1860. In den 55 Jahren von 1860 bis 1915 entwickelte sich das Buchverlagswesen zu dem Wirtschaftszweig, wie wir ihn heute kennen.

Sie und ich werden hierbei gewöhnlich an Leser denken und auch an Buchhandlungen voller Käufer und Verkäufer. Und dazu an Büchereien voller Bücher, die man sich ausleihen kann. Außerdem gibt es noch die Verleger und irgendwo sind dann die Leute, die die Bücher drucken und einbinden. Aber in den Jahren 1850 oder 1860 oder 1875 war das anders. Damals gab es noch nicht diese Arbeitsteilung. Es gab wohl eine Papierindustrie, aber eine Person kümmerte sich dann um alles, was man mit Papier machen kann. Mit anderen Worten, wer Bücher verkaufte, fungierte oft als Verleger. Fast jeder Drucker war auch ein Verleger.

Der Impuls zum Verlegen

Um 1800 besaß fast jede amerikanische Familie eine Bibel. Ob sie auch jeder lesen konnte, war eine andere Frage, aber zumindest hatten sie eine. Wenn sie jemand lesen konnte, oder selbst wenn jemand vorgab, sie lesen zu können, dann besaß er auch das Buch The Pilgrim's Progress (Die Pilgerreise) von John Bunyan. Diese beiden Bücher musste man haben für den Fall, dass sich ein Pfarrer in der Nähe befand und zum Abendbrot erschien. Die Verstädterung machte es jedoch mehr und mehr erforderlich, dass man lesen konnte. Der Strom von Einwanderern musste in das Land und die Kultur integriert werden und sie mussten in der Lage sein zu lesen.

Außerdem war es im 19. Jahrhundert viel leichter geworden, sich Bücher zu beschaffen. Bücher waren durch den technischen Fortschritt billiger geworden. Zwischen 1850 und 1875 gibt es die mit Dampf betriebene Druckerpresse. Das schafft völlig neue Verhältnisse. Zudem geschieht die Produktion von Papier nicht mehr von Hand. Dazu ergab es sich, dass die Drucker mit dem Fortschritt der Einbindetechnik die nicht eingebundenen Seiten für sich verkauften, also ohne Deckel und Rücken. Damit ist das Taschenbuch geboren. Die Reichen ließen ihre Bücher in Leder binden, während die Minderbemittelten die Bücher ohne Einband kauften.

Inzwischen haben wir auch eine Öffentlichkeit, die informiert und unterhalten sein will. Zeitungen schießen förmlich aus dem Boden und um die Zeit des Bürgerkriegs entsteht eine Nachfrage nach Räumlichkeiten, wo man hingehen und mehr oder minder gebührenfrei lesen kann, und so entstehen die öffentlichen Büchereien.

Selbstveröffentlichung

Vor dem Ersten Weltkrieg erhielten Autoren keine Vorschüsse und Tantiemen und es gab keine Überwachung des geistigen Eigentums, wie wir es heute kennen. Doch ob man nun sein Manuskript fest verkaufte — was einem freistand — oder versuchte die Mittel zur Veröffentlichung selbst aufzubringen, man musste immer für die Druckplatten zahlen. Heute haftet dem Veröffentlichen aus eigener Kasse eher etwas Negatives an, was im 19. Jahrhundert jedoch nicht der Fall war.

Das Verlegen von religiösen Büchern wurde als kommerziell einträglich angesehen, doch im Vergleich zu Büchern nichtreligiösen Inhalts war ihre Zahl beschränkt. Da gibt es Verlage wie Harper zum Beispiel, deren Sortiment viele Bücher über Religion enthielt. Doch sie gehörten zum religiösen Mainstream und waren protestantisch ausgerichtet, denn an etwas anderes wagte sich kein Verleger heran.

Es gab etliche gute Verleger religiöser Bücher. Die United Methodist Church hat eines der ältesten und renommiertesten Verlagsprogramme überhaupt. Wenn man jedoch nicht Methodist war, bestand keine Aussicht, dort verlegt zu werden. Katholische Verlage waren auch aktiv. Dann gab es noch kommerzielle protestantische Verleger wie etwa die American Tract Society, die damals entstand, und auch Fleming Revel, der heute noch einen Verlag im Bereich der Seelsorge betreibt. Wer jedoch ein Buch über Religion geschrieben hatte, das nicht in diese Kategorien passte, der hatte keine Chancen.

Mary Baker Eddy und das Verlagswesen

Als Mary Baker Eddy 1875 mit der ersten Ausgabe von Wissenschaft und Gesundheit herauskam, hatte sie nicht viel Geld. Zudem hatte sie unglückselige Geschäftsbeziehungen zu zwei Druckereien, deren Namen wir nicht in Erinnerung bringen oder zumindest nicht erwähnen wollen. Doch zur Zeit der dritten Auflage ihres Buches — wir schreiben jetzt 1881 — lernte sie einen Mann mit Namen John Wilson kennen, eine der ungewöhnlichsten Persönlichkeiten in der Geschichte des Verlagswesens. John Wilson hatte eine Druckerei und einen Verlag und zu der Zeit betrieb er die so genannte University Press. Er druckte Bücher von bekannten Leuten: Longfellow, Whittier, Emerson, Everett und Holmes. Eddy hatte es also mit der Spitze in der Branche zu tun.

John Wilson ist ganz von Eddys Vorhaben eingenommen. Sie tun sich auf dem Gebiet der Technologie des Druckens und Verlegens zusammen. Zu zweit bilden sie eine Arbeitsgemeinschaft. Und viele Entwicklungen — das ist keine Übertreibung — viele Entwicklungen in meiner Branche von 1881 an gehen auf diese dynamische Arbeitsgemeinschaft zurück.

Mit den von ihr entwickelten Werbe- und Verkaufsmethoden für Wissenschaft und Gesundheit führte Eddy wichtige Neuerungen im Verlagswesen ein. Sie war eine bemerkenswerte Frau und bemerkenswert geschickt als Verlegerin. Sie war eine der Ersten, die den Wert von Produktempfehlungen verstand, diesem wichtigen Zweig des Marketing, den es natürlich auch heute noch gibt. Gemeint sind die aus Rezensionen gegriffenen Zitate, die hinten auf dem Buchdeckel stehen. Eddy war nicht die Erste, die solche Zitate verwendete. Das erste derartige Zitat erschien in den USA 1855 in Walt Whitmans zweiter Auflage von Leaves of Grass (Grashalme), auf der er einen Auszug aus einem Brief von Ralph Waldo Emerson abdruckte. (Emerson nahm ihm das übel, aber das ist eine Geschichte für sich.) Dann kam Mary Baker Eddy und sah die Bedeutung von diesen Zitaten und machte sofort von ihnen Gebrauch. Auch verfasste sie selbst solche Zitate für andere Bücher. Man erzählt sich die lustige Geschichte, dass sie einmal für einen Roman, der mit Christian Science zu tun hatte, eine so schöne und gut formulierte Empfehlung schrieb, dass der Roman kurze Zeit lang höhere Umsätze erzielte als Wissenschaft und Gesundheit.

Die Leseräume waren ein genialer Einfall. So mancher Literat lachte und meinte, Eddy sei die erste Franchisegeberin in der amerikanischen Geschichte der Verkaufskunst, und damit hatte er auch Recht. Sie verband die Idee von der öffentlichen Bücherei mit der Idee von reisenden Buchverkäufern, denn damals wurden die Bücher im Land von Handlungsreisenden verkauft. Sie stellte der Öffentlichkeit kostenlos einen Raum zur Verfügung, und zwar unabhängig davon, ob man im Gebiet des Handlungsreisenden lebte oder nicht. Das war eine glänzende Idee.

Die Aufnahme von Wissenschaft und Gesundheit

Ich kann Mary Baker Eddys Erfolg nur mit neuzeitlichen Maßstäben messen. Zum Beispiel verkaufte sie in den ersten 15 Jahren fast 50 000 Exemplare von Wissenschaft und Gesundheit. In meiner Branche war das früher und ist das auch heute ganz klar ein Bestseller. Um das richtig einschätzen zu können, muss man das mit der Pilgerreise vergleichen. Glücklicherweise verfügt die American Tract Society über die Verkaufszahlen für dieses Buch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts: Es waren weniger als 500 000 Exemplare. Man kann das auch vergleichen mit dem von Hannah Smith ebenfalls 1875 geschriebenen The Christian's Secret to a Happy Life (Des Christen geheimer Schlüssel zum glücklichen Leben). Hannah Smith wurde als das Nonplusultra, als die Bestsellerin in religiöser Erbauungsliteratur angesehen. Und in den ersten zehn Jahren verkaufte sie lediglich 35 000 Exemplare. Das gibt uns eine Vorstellung, wie groß der Markt und wie bedeutend Eddys Buch waren.

Man mag sich über Marketing und all das mokieren, aber Tatsache ist, dass Mary Baker Eddy ein gutes Buch geschrieben hat. Und es ist schon von Vorteil, wenn es ein gutes Buch ist. 1947 stellte Grolier — eine Art Nestor der Informationen für Bibliotheken und eine Bezugsquelle für sie — eine Liste der 100 einflussreichsten Bücher des 19. Jahrhunderts zusammen. Sie enthielt all die bekannten Standardwerke: Uncle Remus (Onkel Remus erzählt), Little Women (Betty und ihre Schwestern) und Bücher von Horatio Alger — das war zu erwarten. Sie enthielt sogar das Boston Cooking School Cook Book, das der Vorläufer von dem Kochbuch Fanny Farmer ist. Der Katalog der Firma Montgomery Ward wurde ebenfalls als sehr einflussreich aufgeführt. Doch auf der Liste von Grolier stand auch Mary Baker Eddys Wissenschaft und Gesundheit als das einflussreiche Buch im religiösen Bereich.

Innovationen im Buchverlagswesen

Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen, die für meine Branche von Bedeutung ist, und dann werde ich Ihnen erzählen, warum sie auch für den religiösen Bereich von Bedeutung ist. Mary Baker Eddy wollte unbedingt, dass Wissenschaft und Gesundheit von außen wie die Bibel aussieht, damit die beiden Bücher wie ein Set zusammenpassen. Um das zu erreichen, musste Wissenschaft und Gesundheit jedoch auf dünnem Papier gedruckt werden. Diese Art von Papier war aber in den USA nicht in Gebrauch, nur bei der Oxford University Press in England. Es läuft dort unter dem Namen Oxford-Bibel-Papier und Oxford-India-Papier.

Sie bestand darauf, dass sie Wissenschaft und Gesundheit auf diesem Papier gedruckt haben wollte, und Oxford sagte immer wieder nein, nein, nein. Doch als die 84. Auflage 1894 in Druck gehen sollte, schickte ihr die Oxford University Press letztendlich das Papier, damit die erste Auflage darauf gedruckt werden konnte und wie ein Begleitband zur Bibel aussah.

Doch das Drucken auf diesem Papier war nicht leicht. Unsere Druckerpressen hatten Schwierigkeiten mit dem dünnen Zeug. Bedenken Sie, dass der Druck auf beiden Seiten genau übereinstimmen muss, weil man sonst auf jeder Seite auch die Schrift von der Unterseite sehen kann. Man musste also die amerikanischen Drucker dazu anleiten, so zu drucken, dass die Satzspiegel auf beiden Seiten kongruent waren. Das war nicht leicht, doch am Ende wird Wissenschaft und Gesundheit auf diesem Papier gedruckt. Eddy und John Wilsons University Press gelingt es so perfekt und sie verleihen damit dem Verkauf der Bibel solch einen Auftrieb, dass Oxford seinen Widerstand aufgibt. Und seitdem wird dieses Papier auch von amerikanischen Druckereien verwendet, dank Eddys Beharrlichkeit.

Wir sprechen von unseren tragbaren Pastoren, nämlich dass Bücher tragbare Pastoren sind. Auch hier ist Mary Baker Eddy die Erste in der Geschichte des amerikanischen Verlagswesens, die sich bewusst war, dass ein Buch ein heiliger Ort sein kann, dass man ihn betreten kann, dass er weit verstreuten Teilen der Bevölkerung viel bedeutet — Menschen, die sich vielleicht weit von ihrem nächsten Geistlichen befinden oder von ihresgleichen. Sie wusste, wie wichtig eine logisch formulierte Botschaft ist. Und um eine solche zu formulieren, muss man die Predigt, das gesprochene Wort, die Substanz der Botschaft, in ein Buch umwandeln, das logisch ist und sich in allen seinen Abwandlungen gleich bleibt und dem Leser, dem Sucher, gestattet, sich darin zu vertiefen, so dass also der heilige Ort überall sein kann.

Lesley Pitts über die Sammlung der Bibliothek

Alles was Phyllis Tickle sagte, wird in der Sammlung unserer Bibliothek bestätigt. Was sie über die Geschichte des Verlagswesens sagte, finde ich schon allein beim Lesen von Eddys Korrespondenz bestätigt. Mrs. Eddy musste ja als Verlegerin die Geschäftspraxis lernen und sie hat sich die Methoden anderer Buchhändler und Verleger zum Vorbild genommen und sie weiterentwickelt.

Das erste Bild zeigt das Gebäude der Christian Science Verlagsgesellschaft in der Falmouth Street in Boston. (Das Foto wurde etwa 1898 aufgenommen; das Gebäude steht heute nicht mehr.) Es ist ein typisches Sandsteinhaus mit zwei großen Schildern an der Fassade. Das linke Schild mit der Aufschrift „Christian Science Publishing Society” besagt, dass das Gebäude das Verlagshaus ist. Auf dem rechten Schild befindet sich der Name des Hauptprodukts, Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift. Diese Namen sind groß außen am Gebäude angebracht. Mary Baker Eddy bedient sich also der Geschäftsmethoden eines Verlegers, um ihre Botschaft zu verbreiten.

Die zweite Abbildung ist eine Bestellung von der Buchhandlung Brentano's in Chicago. Brentano's wollte mehr Exemplare von Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift kaufen. So schrieb die Firma 1886 einfach an Eddy und bestellte zwölf Exemplare. Schauen Sie sich den Briefkopf an. Er lautet: „Gebr. Brentano — Buchhändler, Verleger, Importeur, Schreibwaren & Zeitschriften.” Alles findet sich hier in einer einzigen Firma wieder: Brentano's.

Wir sehen also, dass Eddy als Autorin und Verlegerin direkte Geschäftsbeziehungen zu Buchhandlungen unterhielt und von den Verkaufsmethoden der damaligen Zeit Gebrauch machte. Das zeigt sich immer wieder in ihrer Korrespondenz, nicht nur der mit Brentano's. Es zeigt sich auch darin, dass sie im ganzen Land kleine Zweigstellen errichtete, zuerst mit Hilfe ihrer Schüler. Sie wurden zu Mini-Auslieferern in amerikanischen Städten, in denen sie sich etablierten. Und wie wir ja wissen, errichtete sie dann das ganze Netzwerk von Leseräumen.

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