Aber sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – (1. Kön 8:27)
Gott, der die Welt gemacht hat und alles was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. (Apg 17:24)
»Salomo feiert mit der ganzen Gemeinde Israel ... die Einweihung des Tempels als Ort der Gegenwart Jahwes. Gleichzeitig weiß Salomo um die Unvergleichlichkeit Jahwes im Himmel und auf Erden. ... Gott kann nicht nur auf Erden wohnen. Als krasser Kontrast ist die nächste Aussage formuliert: >Siehe, die Himmel und die Himmel der Himmel können dich nicht fassen.< Siebenmal begegnet diese Formulierung im AT. Mit ihr ist in einer höchsten Steigerung die Größe und Unfassbarkeit Jahwes formuliert und festgehalten. Eine Vielzahl von Stellen aus dem ganzen AT und NT bringen zum Ausdruck, dass der Himmel Gottes Wohnort ist. Die Tatsache, dass Gott im Himmel wohnt, die Menschen aber auf Erden sind, kann auch den Abstand zwischen Gott und Mensch hervorheben oder seine Überlegenheit ausdrücken. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass dieser Gott seine Gegenwart zusagt und die Gebete seines Volkes hört.
Mit der den Vers abschließenden Aussage >wie viel weniger dies Haus, das ich gebaut habe< kehrt Salomo zum Anfang des Verses zurück. Der spannungsvollen Aussage war sich Salomo bewusst: Dieser Tempel kann Jahwe nicht fassen und doch hat er diesen Ort erwählt.« (WStB)
»Was [Paulus] in Athen sieht, >erregt seinen Geist<, erfüllt sein Herz mit Kummer und Zorn. Er kann die vielen Tempel und Götterstatuen nicht mit dem Baedecker in der Hand in verständnisvollem Kunstgenuss betrachten. Er Sieht als der, der den heiligen, lebendigen Gott kennt, hier die ganze Verirrung der Menschheit. ...
Wohl war auch die grie Philosophie und Weltanschauung weithin >religiös< und redete von >Gott<. Aber immer erscheint in solcher religiösen Weltanschauung der Mensch und die Welt als das Gewisse und Klare, von dem aus dann das >Göttliche< als das Unsichere und Fragliche am äußersten Horizont des Denkens auftaucht. Dem wirft sich das Zeugnis des Boten Gottes entgegen. Er hat nicht Meinungen, Schlüsse, Gedankengänge, die sich mit dem großen Unbekannten beschäftigen, sondern er stellt es mit völliger, jubelnder und ehrfürchtiger Gewissheit vor seine Hörer hin: >Gott!< Gott ist das einzig Gewisse und Feste und Klare. Und Welt und Menschheit und Einzelmensch gewinnen erst von ihm her Halt und Sinn. ... die Welt in all ihrer strahlenden Schönheit, die dort vom Areopag aus zu sehen ist, hat ihren Bestand doch nur im Schöpfungswort Gottes. >Er, der der Herr Himmels und der Erde ist< – aus einer sinnlos und ziellos sich in sich selbst drehenden Reisenmaschine wird die Welt nur darum ein sinnvolles Gebilde, weil sie diesen Herrn hat. Sinnlos ist dann auch freilich alle >Religion<, die Gott bedienen, Gott schöne Häuser bauen und Gott Gefälligkeiten erweisen möchte, >als ob er etwas bedürfe<, während er doch selber ganz und gar nicht der Bedürfende, sondern der Gebende ist und sein Wesen als Gott gerade im Schaffen und Schenken hat. Hier wird alle >Religion<, die grobe und die feine, im Grund entwurzelt, und es wird Raum gemacht für das Evangelium, für das gebende und schenkende, Wort Gottes.« (WStB)
Und es begab sich, als er in einer Stadt war, siehe, da war ein Mann voller Aussatz. Als der Jesus sah, fiel er nieder auf sein Angesicht und bat ihn und sprach: Herr, willst du, so kannst du mich reinigen. (Lk 5:12)
»In Palästina gab es zwei Formen des Aussatzes. Die eine war etwa wie eine sehr schlimme Hautkrankheit und war die weniger gefährliche Form. Bei der anderen fraß die Krankheit ... nach und nach das ganze Fleisch weg ... Der Betroffene starb buchstäblich bei lebendigem Leibe. ... Das Schrecklichste an der Krankheit war, dass sie die völlige Isolierung des von ihr Befallenen mit sich brachte. Der Aussätzige musste rufen >Unrein, unrein!< wo immer er ging. Er musste für sich allein wohnen ... Er war aus der menschlichen Gemeinschaft ausgestoßen und vom Zuhause verbannt. ... Der Aussatz ist von Scham und Schrecken begleitet und bewirkt auf geheimnisvolle Weise ein Schuldgefühl, obwohl die Menschen völlig schuldlos an die Krankheit geraten ... Gemieden und verachtet, tragen viele Leprakranke sich mit den Gedanken an Selbstmord, und mitunter führen sie ihn auch aus. Der Aussätzige wurde früher von seinen Mitmenschen verabscheut, so dass er schließlich sich selbst zu verabscheuen begann. Ein solcher Mann nun kam zu Jesus. Er war unrein, und Jesus rührte ihn an.
Das ist die ungeheure Wahrheit: Jesus berührte den Unberührbaren. Jesus streckte die Hand nach einem Mann aus, vor dem jeder andere zurückgeschreckt wäre. Zweierlei ergibt sich daraus. Erstens: Wenn wir uns selbst verachten, wenn unser Herz von bitterer Scham erfüllt ist, sollen wir stets daran denken, dass Christus die Hand trotzdem nach uns ausstreckt. Der Schriftsteller Mark Rutherford hätte den Seligpreisungen am liebsten noch eine weitere hinzugefügt: >Selig sind die, die uns von unserer Selbstverachtung heilen.< Gerade das tat Jesus ... Zweitens: Es ist ein wesentlicher Bestandteil des christlichen Glaubens, dass wir die Unberührbaren berühren, die nicht Liebenswerten lieben, denen, die Unverzeihliches tun, verzeihen. Jesus hat es getan, deshalb sollen auch wir es tun.« (Barclay)
Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! (Lk 1:6-28)
»Die Zeitangabe im sechsten Monat entspricht den fünf Monaten in Vers 24. ... Der Engel wird nicht gesandt in den Palast eines Großen und Reichen, sondern in die arme Wohnung einer armen Jungfrau. Und wer war diese Jungfrau, diese Maria, die von der Ewigkeit ausersehen war, die Mutter unseres Heilandes zu werden, die Frau, deren Same der Schlange den Kopf zertreten soll? Es ist merkwürdig, wie schweigsam die Schrift darüber ist. Alles, was wir von ihr wissen, von ihrem Stand, Charakter, ihrem Leben und ihren Führungen, beschränkt sich auf wenige Züge, die zur Verherrlichung ihres Kindes erzählt werden. Diese wenigen Züge aber lassen uns tiefe Blicke tun, sie sind reich genug, um uns ahnen zu lassen, welche Fülle der Begnadigung der Herr über diese Seine Magd ausgegossen hat. Vielleicht wäre eine weitere Erklärung zu sehr zur Ehre Marias ausgeschlagen. Die Schrift aber verfolgt nur die Ehre Gottes. Die Marienverehrung der katholischen Kirche hat in der Schrift keinen Grund. Maria war die Verlobte Josephs. Der Herr hatte die beiden zusammengeführt, denn Er wollte der Jungfrau einen Schutz und Hüter geben, welcher die befremdliche Geburt vor loser Rede sichern und dem Kinde sein Bürgerecht in Israel geben sollte. ...
Derselbe Bote, der den Messias schon im AT verkündigt hat, erscheint zum zweiten Mal und tritt zu Maria. Das grie Wort >Begnadigte< bezeichnet mehr als eine natürlich Begnadete. Es ist etwas Besonderes an ihr von Gott hergeschehen. Der Gruß >Sei gegrüßt, Begnadigte, der Herr mit dir!< ist auch deshalb besonders auffällig und wichtig, weil es nicht als gute Sitte galt, einer Frau überhaupt einen Gruß anzubieten. Das wird auch deutlich an folgendem jüdischen Gebetswort: >Ich danke Dir, Gott, dass Du mich nicht geschaffen hast als Heiden, als Aussätzigen oder als eine Frau.< –
Mit dem Gruß der Gnade ist das NT eröffnet. Eine neue Welt ist eingeleitet: die Welt der Gnade.« (WStB)
Als Jesus geboren war in Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland ... (Mt 2:1)
»Als Jesus in Bethlehem geboren war, kamen weise Männer [Magi] aus dem Morgenland, um ihm zu huldigen. ... Die Magi waren philosophisch, medizinisch und naturwissenschaftlich geschulte und gebildete Männer, die weissagten und Träume deuteten. ...
So merkwürdig es uns auch vorkommt, dass diese Männer aus dem Morgenland aufbrachen, um einen König zu suchen, nicht weniger merkwürdig ist, dass eben zu der Zeit, als Jesus geboren wurde, die Welt in der Erwartung eines kommenden Königs lebte. Davon wissen sogar die römischen Geschichtsschreiber zu berichten. So schrieb gar nicht viel später, zur Zeit Kaiser Vespasians, Sueton folgendes: >Im ganzen Orient war der Glaube verbreitet, dass zu jener Zeit den Menschen aus Judäa bestimmt sei, die Welt zu beherrschen.< Auch Tacitus berichtet davon, dass man >fest davon überzeugt gewesen sei, der Orient werde zu dieser Zeit mächtig werden und Herrscher aus Judäa würden die Weltherrschaft antreten.< Die Juden glaubten, dass >zu jener Zeit jemand aus ihrem Lande Herrscher über die bewohnte Erde werden würde.< ... Fast zur gleichen Zeit, da Jesus geboren wurde, jubelte man dem römischen Kaiser Augustus als dem Retter der Welt zu, und der römische Dichter Vergil schrieb seine vierte Ecloge, die in der christlichen Welt besonderen Ruhm genoss, weil man sie als eine prophetische Verkündigung des Heiland auffasste. Es besteht nicht die geringste Veranlassung, die Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland, die das Jesuskind in der Krippe aufsuchten, als eine hübsche Legende abzutun. Genau so kann es sich zu der Zeit zugetragen haben. Als Christus in die Welt kam, war die Welt von einer fieberhaften Erwartung erfüllt. Die Menschen warteten auf Gott, weil sie sich nach ihm sehnten. Sie hatten erkannt, dass sie ohne Gott nicht imstande waren, die Zeit des Heils herbeizuführen. Jesus kam in eine wartende Welt, und als er kam, versammelten sich Menschen von den Enden der damaligen Welt an seiner Krippe. Das war ein erstes Zeichen und ein Symbol der Welteroberung Christi.« (Barclay)
Quellenangaben
Barclay = William Barclay, Auslegung des Neuen Testaments
WStB = Wuppertaler Studienbibel
