In den meisten Religionen war geistiges Heilen von frühester Zeit an gegenwärtig, sicherlich noch bevor es schriftliche Aufzeichnungen gab – nicht nur als ein Aspekt von Religion, wie Kirchenarchitektur oder das Singen von Hymnen, sondern als unerlässliche Voraussetzung für die Vorstellung von Spiritualität. Praktisch jede Religion hat Lehren über Spiritualität, die Aspekte des Heilens beinhalten. Christliche Schriften beschreiben zum Beispiel viele Menschen, die erst von Jesus und dann von den Aposteln geheilt wurden. Für den Zweck dieses Artikels jedoch gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen dem Unterricht über geistiges Heilens und dem, was wir Pädagogik des geistigen Heilens nennen können – also ein System, das explizit den Schülern beibringt, wie sie sich und andere heilen können.
Sogar jene christlichen Denkrichtungen, die das geistige Heilen von körperlicher Krankheit als etwas betrachteten, das nur während der Apostolischen Ära auftauchte, unterrichteten über das Heilen, aber sie lehrten nicht notwendigerweise, wie man heilt. In asiatischen Religionen ist das Lehren der Methodik geistigen Heilens ein beständiges Element geblieben. Sogar im China des späten 20. Jahrhunderts, wo der Marxismus geistige Lehren generell unterdrückte, wurden geistige Heilmethoden, wie sie in den Traditionen von Qigong und Tai-Chi gefunden werden, weiterhin gelehrt und geschätzt, obwohl sie ihrer religiösen Wurzeln beraubt wurden.
Geistiges Heilen und die damit verbundenen Lehransätze können in einige unterschiedliche Gruppierungen eingeteilt werden, die sich aus dem Inhalt ergeben, der gelehrt wird. Das häufigste moderne christliche Lehren über dieses Thema ist auf bittendes Gebet ausgerichtet, das heißt, es wird um göttliches oder übernatürliches Eingreifen gebetet. Die Landschaft des geistigen Heilens beinhaltet ebenfalls Ansätze, die eine Sammlung miteinander verbundener geistiger und physischer Praktiken lehren, wie auch einige Traditionen, deren Lehre einen rein geistigen Ansatz hat. Es sollte auch erwähnt sein, dass innerhalb des Christentums sowohl Jesus Christus und individuelle Erlösung als zentrale Positionen für die Lehren über die Wirkung geistigen Heilens im Mittelpunkt stehen. Ob bittend, geistig und physisch oder vollständig geistig – jedwedes christliche Heilen ist auf diese Beziehung ausgerichtet.
Diese Gruppierungen erlauben uns, ein paar wirkliche und wichtige Unterschiede innerhalb der Arten des geistigen Heilens festzustellen. Viele der gegenwärtigen Beobachter neigen dazu, eine Vielfalt von Heilansätzen in einen Topf zu werfen – lediglich als unterschiedliche Möglichkeiten, über psychosomatische Medizin oder psychologische Therapie zu sprechen. Solch eine Ansicht ist für gläubige Menschen nicht nur anstoßerregend, sondern verhindert auch die Erkenntnis sowohl der offensichtlichen als auch der subtilen Unterschiede zwischen Glauben und Praxis. In diesem Artikel behaupte ich, dass unterschiedliche Heiltraditionen tatsächlich unterschiedlich sind.
Anhaltendes Interesse an Heilung in Amerika
Das »Zweite große Erwachen« im 19. Jahrhundert (1790-1830) legte das Fundament für das heutige Interesse Amerikas an geistigem Heilen und Lehren. Während dieser Periode der inbrünstigen religiösen Aktivität in Amerika spalteten sich neue Glaubensrichtungen von alten ab, andere entstanden unabhängig davon, und viele glaubten sehr stark an geistiges Heilen. Die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten ist ein besonders interessantes Beispiel. Als sie zu einer weltweiten Glaubensgemeinschaft erwuchs, dem Adventismus, gründete sie schließlich in zahlreichen Ländern auf der ganzen Welt als Bestätigung ihres fortdauernden Interesses an guter Gesundheit Hunderte von medizinischen Einrichtungen, darunter Krankenhäuser, Kliniken und Ausbildungsstätten für Gesundheitsfürsorge. Die vielleicht bekannteste dieser Einrichtungen ist die Loma Linda University in Südkalifornien, die sich selbst als »Siebenten-Tags-Adventisten Lehr-Institut für Gesundheits-Wissenschaften« bezeichnet. Heute gehen jedes Jahr eine große Anzahl von Ärzten, Pflegern, Zahnärzten und anderen aus diesen Schulen der Siebenten-Tags-Adventisten hervor.
Die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten wurde 1860 formell unter der geistigen Führerschaft von Ellen Gould White gegründet, einer Frau, die Visionen erfahren hatte, von denen sie sagte, dass sie ihr von Engeln, von Christus und gelegentlich von Gott gebracht wurden. R. L. Numbers, Prophetess of Health: A Study of Ellen G. White, 1976 Die Zusammenstellung von Whites Gesundheitslehren aus mehr als vierzig Jahren, The Ministry of Healing (»Das geistliche Amt des Heilens«, erstmals 1905 veröffentlicht und immer noch gedruckt), enthält Lehren, die physische und geistige Gesundheit vereinigen. Das Buch schließt detaillierte Beschreibungen von Heilungen aus der Heiligen Schrift und Auseinandersetzungen damit ein, sowie die Verpflichtung an den praktischen Arzt, Gebet anzuwenden, aber es beinhaltet auch viele der natürlichen Heilmethoden, wie z.B. Vegetarismus, verbunden mit weitverbreiteter Verbesserung des Gesundheitsdenkens im 19. Jahrhundert.
Der Adventismus war eine wesentliche Ursache für das, was zur »Reformkost-Bewegung« wurde. White zufolge konnte eine kranke Seele einen kranken Körper verursachen und eine schlechte Diät oder andere Fehler beim Befolgen der Gesetze der Natur konnten die Psyche ruinieren. Weil White den Körper als »Tempel der Seele« ansah, beinhaltet das geistige Heilen im Adventismus Gebet, Diät, Übung, Studium der Heiligen Schrift und mehr. Geistiges Heilen, in der Weise definiert, dass es alles beinhaltet, was Gesundheit fördert, ist ein Kernpunkt des Adventismus. Das Lehren des Heilens innerhalb der Glaubensrichtung reicht vom Bibelstudium bis hin zum Studium der Medizin.
Das in Amerika vielleicht am vollständigsten entwickelte Lehrsystem geistigen Heilens wurde von Mary Baker Eddy eingeführt, der Entdeckerin von Christian Science und Gründerin der Glaubensgemeinschaft. Für Eddy war Gesundheit in jeder Hinsicht eine Widerspiegelung der göttlichen Absicht für jeden, und Heilung in all ihren Formen war beides, eine Illustration religiöser Wahrheit und ein Privileg für Christen. Kurz nach ihrer eigenen Heilung durch einen geistigen Einblick in die Bedeutung der Heiligen Schrift begann sie, für jene Unterricht anzubieten, die Heiler werden wollten. 1881 gründete sie das Massachusetts Metaphysical College und führte geistige Bildung 1898 im Unterrichtsrat ihrer Kirche ein.
Eddys System der Pädagogik geistigen Heilens beinhaltete ein Gerüst, das der Ausbildung weltlicher Lehrer in Amerika ähnlich ist: eine »Elementarklasse«; jährliche »Vereinigungs-Treffen«, um kontinuierliche Fortbildung zu ermöglichen oder »postgraduelle« Studien für Absolventen der Elementarklasse [weiterführende Studien nach dem ersten akademischen Grad]; und eine »Lehrerbildungsklasse«, um eine Ausbildung im Lehren des geistigen Heilens anzubieten. Diese Lehrerbildungsklasse wird alle drei Jahre angeboten und ist erforderlich, um für das Lehren anderer vorbereitet zu sein. (Zu der Zeit, als Eddy ihr System etablierte, bezeichnete der Begriff Lehrerbildung das Lehrerseminar.)
Wenngleich Eddys System Organisation und professionelle Entwicklung wie in der konventionellen Bildung vorwies, so unterschieden sich ihre Methoden in Anbetracht des Inhalts doch sehr. Die grundlegende geistige Heilmethode von Christian Science, die »Christian Science Behandlung«, ist nicht das bittende Gebet, das in vielen christlichen Glaubensrichtungen zu finden ist. Vielmehr ist Christian Science-Behandlung ein Gebet, das sowohl ein aktives Bekräftigen als auch ein Verstehen der Vollkommenheit von Gott und Mensch ist. Notwendigerweise unterschieden sich Eddys Lehren praktisch von allen anderen dadurch, dass überhaupt keine physische Technik gelehrt wurde. Die Praktiken, die Eddy lehrte, waren innerlich und konnten von den Schülern weder beobachtet noch nachgeahmt werden, weil sie vollständig geistig waren.
Das weite Feld geistiger Heilpraktiken in der protestantischen Christenheit erhielt 1901 mit dem Erscheinen der Pfingstbewegung in Topeka, Kansas, einen weiteren lmpuls. Die Pfingstbewegung erhält ihren Namen von dem Glauben daran, dass die »Gabe des Heiligen Geistes«, von der in der Bibel gesagt wird, dass sie den Aposteln an Pfingsten neun Tage nach der Himmelfahrt von Jesus Christus gegeben wurde Apostelgeschichte 2:38, den Gläubigen heute immer noch zur Verfügung steht. Diese Gabe beinhaltet das Reden in Zungen — ein Kennzeichen der Pfingstbewegung — und das Heilen. Das Wiederentdecken des Heilens im Amerika des 20. jahrhunderts, am bekanntesten das durch Oral Roberts, beeinflusste das christliche Denken und war verknüpft mit der Wichtigkeit des Glaubens daran, dass Heilung stattfinden würde — oder tatsächlich stattgefunden hatte. Diese Form der Heilung wird oft Glaubensheilung genannt. Sie findet normalerweise durch Anbetung statt und wird oft vom Händeauflegen begleitet. Nach dem Zweiten Weltkrieg erweiterte die Neo-Pfingstbewegung und dann die charismatische Bewegung (abgeleitet vom griechischen Wort für »Gabe«, wiederum auf die Gabe des Heiligen Geistes Bezug nehmend) ihren Einfluss überall in den christlichen Kirchen, sowohl in protestantischen wie auch in katholischen.