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Zeit-Lupe

„Alles, was mein ist, das ist dein"

Aus der November 2007-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Dieser Satz steht in dem bekannten und beliebten Gleichnis vom verlorenen Sohn. (Lukas 15) Der Vater sagt diese Worte zu seinem älteren Sohn. Gerade dieser ältere der beiden Brüder hat mich immer wieder fasziniert und meine Gedanken beschäftigt. Früher tat er mir wirklich Leid, weil ich fand, dass er ungerecht behandelt wurde. Er war daheim geblieben und hatte tagein, tagaus in des Vaters Haus gearbeitet. Und kaum kommt sein leichtlebiger Bruder zurück, wird für den ein großes Fest gemacht. Und der Vater, der dem verlorenen Sohn so liebevoll entgegenläuft, hält es nicht einmal für nötig, zumindest einen Knecht zu schicken, um ihn, den braven und fleißigen Sohn, vom Feld heimzuholen, damit er mitfeiern kann. Also, ich konnte so richtig mit ihm mitfühlen!

Aber schon bald war mir klar geworden, dass Jesus das mit Sicherheit so nicht gemeint haben kann. Das würde ja auch überhaupt nicht zu einem liebenden Vater passen. Aber genau davon handelt das Gleichnis: von der großen Liebe des — himmlischen — Vaters. Es ist übrigens auffällig, wie detailliert die Geschichte des „verlorenen" Sohnes beschrieben wird und mit wie wenigen Worten Jesus auskommt, um die Situation des Älteren zu beschreiben. Jesus sagt noch nicht einmal, dass er für den Vater gearbeitet hat, sondern einfach nur: „er war auf dem Feld" und er beschreibt, wie gesagt recht knapp, die weitere Befindlichkeit des älteren Sohnes.

Als dieser „nahe zum Hause kam" bemerkt er, dass etwas Besonders vorgefallen sein muss. Er fragt nach — und versteht die Welt nicht mehr! Es ist ihm unbegreiflich, dass sein Vater den Bruder mit allen Ehren wieder aufgenommen hat. Frustriert macht er seinem Vater Vorwürfe, dass der ihm nie einen Bock geschenkt hätte, damit er mit seinen Freunden hätte fröhlich feiern können. Voller Groll und Verachtung spricht er von seinem Bruder: „dieser!" und: „dein Sohn" Er vermeidet es, diesen Typen „Bruder" zu nennen. Man kann es förmlich hören, wie verächtlich er die Worte herausstößt.

Und dann kommt die Antwort des Vaters, die ich heute so viel klarer verstehe als früher. Der Vater geht auf die Vorwürfe seines Erstgeborenen überhaupt nicht ein. Er spricht ganz liebevoll zu ihm — übrigens ist er auch diesem Sohn entgegen gegangen, allerdings erst, nachdem der zum Haus zurückgekehrt ist! Das ist eine ganz entscheidende Stelle in dieser Geschichte: auch der zu Hause gebliebene Sohn hatte sich nämlich weit vom Vaterhaus entfernt. Da man das Haus als Metapher für „Bewusstsein" betrachten kann, heißt das, dass auch dieser Sohn, während er vermeintlich für den Vater arbeitete, sich weit von dessen Bewusstsein entfernt hatte! Jetzt aber, da er sich diesem Hause wieder nähert, kommt der Vater auch zu ihm heraus. Er geht ihm entgegen und spricht genauso liebevoll mit ihm, wie zuvor mit seinem anderen Sohn. Er spricht ihn ganz persönlich und ganz direkt an, ja, er unterstreicht die Beziehung, die zwischen ihnen beiden besteht: „Mein Sohn", sagte er und dann: „Alles was mein ist, das ist dein".

Wenn wir uns in die Situation dieses älteren Sohnes hineindenken (und wer könnte das nicht!), dann wird die Antwort des Vaters auch uns gelten. Dann können wir wissen, dass alles, was der Vater (Gott) hat, uns gehört. Gottes Leben ist dann unser Leben, Gottes Fülle ist dann unsere Fülle, Gottes Reichtum ist dann unser Reichtum, usw. Alles was wir Gott zuschreiben, das gehört nach dieser Aussage dann auch uns! Wenn wir also die Antwort des Vaters auf die Anklage des älteren Sohnes richtig verstehen und sie auf uns praktisch anwenden, dann wird dieses Verständnis uns davor bewahren, neidisch zu sein oder zu werden. Eine Voraussetzung für Neid ist nämlich die Vorstellung von begrenzten Möglichkeiten. Wenn man aber weiß, dass etwas unbegrenzt vorhanden ist, wie kann man dann neidisch sein?

Als ich einmal erfuhr, dass jemand aus meinem Bekanntenkreis eine öffentliche Position erreicht hatte, von der ich immer geträumt hatte, spürte ich etwas wie einen kleinen Stich – und ich stellte voller Abscheu fest, dass es Neid war! Ich: neidisch! Diese Erkenntnis schockierte mich. Aber fast gleichzeitig kam mir der Gedanke, dass ich dankbar sein konnte, dies sofort erkannt zu haben. Diese Dankbarkeit breitete sich in mir aus, und sie machte Raum für einen tiefen, inneren Frieden und in diese friedliche Ruhe hinein kam mir dieser Satz in den Sinn: „Alles was mein ist, das ist dein". Ich spürte, Gott hatte zu mir gesprochen. Ich fühlte mich so verstanden, so angenommen und so geliebt. Ich konnte mich nun ganz aufrichtig, ehrlich und völlig neidlos mit der anderen Person freuen, da ich klar erkannte, dass für Neid absolut kein Raum ist, wenn alle alles haben. Und bereits ein paar Monate später ergab sich für mich selbst eine viel schönere „Position", als ich sie mir je gewünscht hatte.

Ich konnte mich ganz aufrichtig, ehrlich und völlig neidlos mit der anderen Person freuen, da ich klar erkannte, dass für Neid absolut kein Raum ist, wenn alle alles haben.

Es ist immer und immer wieder ein Glaube an Begrenzung, der uns dazu verführen will, zu glauben, dass wir nicht haben können, was ein anderer hat, oder dass wir nicht genug bekommen, wenn ein anderer das hat, was wir uns wünschen. Wenn wir von einer Sache als materiell und begrenzt denken, dann kann das allerdings zu dem Gefühl führen, dass für uns nicht genug da wäre. Wenn wir aber die Dinge in ihre geistige Dimension erheben, dann können wir erkennen, dass sie in unbegrenzter Weise für alle und jeden verfügbar sind. Dann verstehen wir, was Mrs. Eddy meint, wenn sie schreibt: „Seele hat unendliche Mittle ..." (Wissenschaft und Gesundheit, S.60). Und dann erkennen wir: wenn wir Neid empfinden, deutet das ganz eindeutig darauf hin, dass wir noch nicht vollständing von dem materiellen Denken frei sind.

Ich kam zu dem Schluss, dass ich alle Empfindungen, die nicht mit Liebe übereinstimmen, aus meinem Denken entfernen musste, und ich machte mich sogleich ans Werk.

Diese Begebenheit, in der ich den Neid ausräumen konnte, ereignete sich vor ein paar Jahren. Interessanteweise begegnete mir kürzlich der Neid noch einmal, diesmal kam er jedoch aus der entgegengesetzten Richtung. Es hatte sich im Zusammenleben mit einigen Menschen eine unschöne Situation entwickelt. Diese Menschen behandelten mich plötzlich in einer Art und Weise, die mich irritierte, und ich war drauf und dran, mich darüber zu ärgern. Als ich das einer Freundin schilderte, sagte sie zu mir: „Du hast es hier mit Neid zu tun!" Augenblicklich war mir klar, dass sie recht hatte, und ich konnte dieses falsche Verhalten nun ganz ruhig betrachten, mich darüber erheben und dadurch auch vergeben. Doch in diese Gedankenarbeit hinein kam mir ein Gedanke, fast so deutlich, als hörte ich eine Stimme: Wer hat dir gesagt, dass es Neid ist? (vergleiche: 1. Mose 3). Ich empfand das so, als ob Gott mir sagen wollte: „Wenn du meine Widerspiegelung bist – und das solltest du sein – dann kannst du Neid gar nicht kennen, denn ich kenne ihn auch nicht." Es war mir wie eine Aufforderung, mich noch einmal, und diesmal endgültig, mit diesem falschen Gefühl zu beschäftigen. Und ich kam zu dem Schluss, dass ich alle Empfindungen, die nicht mit Liebe übereinstimmen, aus meinem Denken entfernen musste, und ich machte mich sogleich ans Werk. Dabei erkannte ich auch, dass die so entstandenen Freiräume mit Liebe aufgefüllt werden müssen, damit kein Platz mehr da ist, an den die falschen Gefühle zurückkehren können (s. hierzu Matthäus 12).

Wenn wir also ein falsches Gefühl, wie zum Beispiel Neid, bei uns oder anderen entdecken, dann ist das kein Grund zur (Selbst-)Verdammung oder ähnlichen Reaktionen. Es ist viel mehr eine wunderbare Gelegenheit, unser Denken zu überprüfen und zu bereinigen, zu „vergeistigen", um so ein wenig mehr von uns und unserer Beziehung zu unserem liebevollen, himmlischen Vater verstehen zu lernen.

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