Spannungen zwischen den Anhängern der drei großen monotheistischen Religionen gehören zu den wichtigsten Themen und den wichtigsten Inhalten der Nachrichten. Aber die Geschichte zeigt uns, dass diese Spannungen nichts Neues sind – Christen, Juden und Muslime kämpfen schon seit Jahrhunderten gegeneinader. Friede hat in jeder dieser Traditionen einen hohen Wert, aber Generation um Generation Scheinen Feindseligkeit und Ablehnung die Überhand über Idealismus zu bekommen und in Gewalt zu münden. Obwohl das menschliche Bild wenig Hoffnung macht, führen diese Hindernisse für Harmonie unsere Aufmerksamkeit direkt zu einer geistigeren Perspektive. Und in diesem geistigen Bereich finden wir Hoffnung auf dauerhafte Heilung und auf Frieden.
Die Geschichte des Nahen Ostens ist voller Ironie. Zunächst einmal ist es wichtig zu verstehen, dass die drei großen religiösen Traditionen alle den gleichen Stammvater teilen: den Patriarchen Abraham. Mit einem Namen, den manche Forscher als „erhabener Vater" auslegen, wuchs er vor ungefähr 4000 Jahren in Ur auf, einer Stadt in einem Landstrich im südlichen Mesopotamien, der später Chaldäa genannt wurde. Heute ist diese Region ein Teil des Irak. Laut biblischer Überlieferung empfing Abraham eine Verheißung oder ein offizielles Abkommen von Gott, das Abrahams Nachkommen betraf. Gott versprach Abraham in dieser Verheißung, dass aus seiner Familie ein großes Volk werden sollte und sie Land besitzen würde. (siehe 1. Mose 17)
Der Begriff der Verheißung ist der zentrale Inhalt der bidlischen Theologie. Dem altertümlichen Vertragsgesetz entliehen, bildet eine Verheißung den Rahmen und den Inhalt für etwas, was in die menschliche Erfahrung als reine Offenbarung eintritt: Eine Wahrnehmung von Gottes Wesen, Seiner Natur und Seiner Fürsorge für Seine Schöpfung. Diese Verheißung bezeichnet eine Verbindung zwischen Gott und Seinen Kindern, die man mit einem Vertrag vergleichen kann – eine verbindliche Abmachung. Später wurden die besonderen Bedingungen in den Zehn Geboten festgeschrieben. Während einige Gruppen die Verheißung so interpretieren, als sei sie auf eine bestimmte Religion oder Kultur begrenzt, ist Gottes Verheißung im höchsten Sinne gesehen eine Verheißung der Liebe. Und diese Liebe schließt alle ein, überall und zu allen Zeiten.
Doch von einer menschlichen Perspektive aus gesehen zeigte die Verheißung von Anfang an zwei ernsthafte Probleme. Das erste war die Frage, wem das Land gehörte. Abraham hatte unter göttlicher Führung die blühende Stadt Ur verlassen, um nach Kanaan zu gehen und sich dort anzusiedeln. Ger, was Gast bedeutet, war die Bezeichnung für jemand, der einige Zeit in einem Land siedelte, das nicht sein eigenes war; so jemand hatte nach dem Gesetz bestimmte Rechte, aber er war kein Bürger des Landes. Der biblischen Überlieferung zufolge waren Abraham und seine Familie – durch die Bedingungen von Abrahams Bund mit Gott –, befugt, das Land Kanaan, das Verheißene Land, in Besitz zu nehmen. Die Hebräer siedelten sich schließlich in dem Land an, wurden aber durch spätere Auseinandersetzungen vertrieben. Heute, viele Jahrhunderte später, sind die Besitzrechte dieses winzigen Fleckchen Landes noch immer umstritten.
Diese Auseinandersetzung wird geschürt von dem zweiten Problem, dem eine völlig menschliche Auslegung des Bundes Gottes mit Abraham zugrunde liegt: die Abstammung. Wer genau sind seine Nachkommen? Und hat jeder Nachkomme die gleichen Rechte auf den Grundbesitz der Vorfahren?
Zu Abrahams Zeit (und noch viele Generationen danach) war im altertümlichen Nahen Osten das Gesetz des Erstgeborenen in Kraft, bei dem der Hauptanteil am Grundbesitz des Vaters (und manchmal auch der ganze) an den erstgeborenen Sohn vererbt wurde. Abraham hatte nicht nur einen, sondern zwei Söhne. Der ältere, Ismael, war der Sohn Hagars, Abrahams ägyptischer Sklavin. Jedoch wurden beide, die Frau und das Kind, irgendwann von der Familie verstoßen, weil Abrahams Frau Sarah darauf bestand. Sarah war von Anfang an Abrahams Frau und als es so schien, als könne sie keine Kinder bekommen, ermutigte sie ihn, ein Kind mit ihrer Dienerin Hagar zu zeugen. Aber später segnete Gott Sarah mit einem Kind, obwohl sie schon weit über ihr gebärfähiges Alter hinaus war. Als Sarahs Sohn Isaak geboren wurde, wollte sie sichergehen, dass nicht Ismael, Hagars Sohn, das Land bekommen würde. Nach der biblischen Überlieferung erbte Isaak Abrahams Besitztümer, einschließlich der Rechte am verheißenen Land Kanaan. Es fiel 700 Jahre später endgültig in die Hände der Hebräer, nachdem diese während einer Hungersnot nach Ägypten gezogen waren, dort versklavt und dann unter Moses Führung befreit wurden, so wie es im 2. Buch Mose beschrieben ist.
Die altertümliche semitische Tradition beinhaltet einen lebendigen und dauerhaften Familiensinn, bei dem alle Familienmitglieder, durch alle Generationen, mit ihrem Stammvater symbolisch verbunden sind und zusammen mit ihm bestehen. Also ist ein Versprechen, das Abraham gegeben wurde, folglich allen seinen Nachkommen gegeben worden. Das beinhaltet beide, Muslime und Juden, und außerdem die Christen, die ihre Religion auf der Grundlage des Judentums entwickelt haben. Ebenso wie der Gedanke eines Bundes, führt so die Frage der Abstammung zu einem unvermeidlichen Konflikt, wenn sie von lang anhaltenden traditionellen Begrenzungen und von einer eigentumsrechtlichen Sicht aus belastet ist. Dadurch kann eine Sicht von „Gewinn und Verlust" entstehen, die die Menschen zu Gegnern anstatt zu Brüdern macht. Aber wenn der Begriff der Abstammung vergeistigt wird, kann jeder von uns – durch die ganze Menschheitsgeschichte hindurch – rechtmäßig als Kind Gottes betrachten werden, als ein Kind Seiner Familie. Deshalb ist jeder von uns ein lebendiger Teil der Verwandtschaft Abrahams und seines Bundes.
Lösungen können nur aus einer radikal anderen Sichtweise entstehen — das heißt, aus einer Sichtweise, die durch Gottes Augen auf Seine Schöpfung sieht.
Die große Spaltung zwischen Juden und Muslimen in dieser speziellen Streitfrage entsteht durch verschiedene Interpretationen des Erstgeborenenrechts. Unter den Hebräern wurde das Erstgeborenenrecht mehrmals zugunsten der Ansicht, dass Gott in jeder Generation einen besonderen Führer auswählt, außer Kraft gesetzt, statt diese Angelegenheit durch die Geburtsreihenfolge regeln zu lassen. Die Muslime jedoch, die die Nachkommen des erstgeborenen Sohnes Abrahams, Ismaels, sind, halten in diesem Fall an einer strengen Auslegung des Erstgeborenenrechtes fest und verkündigen, dass die Nachkommen Abrahams durch Ismaels Linie dazu bestimmt sind, das Land zu besitzen. Diese Nachfahren sind Araber und zu dem Land, das sie beanspruchen, gehört auch das Gebiet, das heute als Israel bekannt ist. Dieses Land hatte im Laufe der Geschichte schon mehrere Namen. Bevor die Hebräer es einnahmen, hieß es Kanaan. Dann wurde es zur Ehre von Abrahams Enkelsohn Jakob umbenannt. Jakob hatte nach seinem Kampf mit einem Engel Gottes am Pnuël den neuen Namen Israel bekommen (siehe 1. Mose 32). In römischen Zeiten zeichneten die Kartographen in der Nähe der Küste einige Städte der Philister auf und benannten das Land um in Palästina, „das Land der Philister".
Obwohl der Wert des Bodens zur landwirtschaftlichen Nutzung durch Technologie in jüngerer Zeit gestiegen ist, bleibt es dennoch ein steiniges, halbtrockenes Gebiet. Und es ist auch ziemlich klein. Andere, weitaus mehr versprechende Gebiete, die dieses Land umgeben, sind reich an Erdöl und blühen auf. Aber das Land Israel repräsentiert symbolisch einen Reichtum geistiger Inspiration und Stärke für alle drei Religionen. Für die Juden ist es das Land Abrahams, Moses und Davids; für die Christen das Land, in dem Jesus lebte und predigte; für die Muslime das Land, das Abraham und damit durch das Erstgeborenenrecht seinem erstgeborenen Sohn Ismael versprochen wurde.
Jahrhundert über Jahrhundert war die Frage der Abstammung und des Besitzanspruches der Anlass für Krieg. Durch diesen kurzen Überblick wird deutlich, dass das Muster der Geschichte wenig Hoffnung auf eine zukünftige Aussöhnung jahrhundertelanger Feinde bietet. Lösungen können nur aus einer radikal anderen Sichtweise entstehen – das heißt, aus einer Sichtweise, die durch Gottes Augen auf Seine Schöpfung sieht. Solange die Diskussionen zwischen unvereinbaren Gruppen damit beginnen, Rechte aus verschiedenen Ansprüchen und Überzeugungen heraus zu beanspruchen, wird die Lage nie in Einheit enden. Die Diskussion muss mit Gott beginen und mit dem, was Er geschaffen hat: jeden Menschen in jedem Volk und in jeder Kultur, als Sein eigenes Gleichnis (siehe 1. Mose 1). Letztendlich nicht als Sterbliche, sondern als geistige Wesen, denn so muss alles sein, was Gott, Geist, widerspiegelt.
Uns selbst mit Frieden in Einklang zu bringen – Friedensstifter zu sein – verbindet uns im täglichen Leben mit göttlicher Stärke.
In dieser Schöpfung gibt es nur ein Mal Eltern und nur eine Familie, eine Kraft und eine Liebe, die wahrhaft unendlich ist und jeden Menschen allezeit segnet. Niemand ist ausgestoßen, herabgesetzt, vergessen oder aus Gottes Sicht heraus unterdrückt. Solche menschlichen Ansichten haben vor Gott keinen Bestand und müssen als die Verfälschungen erkannt werden, die sie sind. In einem unbegrenzten Gott gibt es unbegrenztes Gutes und einen besonderen Platz für alle Seine Kinder. Mary Baker Eddy, die Gründerin dieser Zeitschrift, lieferte eine deutliche Erklärung dieses Gedankens: „Der eine unendliche Gott, das Gute, vereint Menschen und Völker, schafft Brüderlichkeit unter den Menschen, beendet Kriege, erfüllt die Bibelstelle, Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst', vernichtet heidnische und christliche Abgötterei – alles, was in sozialen, bürgerlichen, strafrechtlichen, politischen und religiösen Gesetzen falsch ist, stellt die Geschlechter gleich, hebt den Fluch über den Menschen auf und lässt nichts übrig, was sündigen, leiden, was bestraft oder zerstört werden könnte." (Wissenschaft und Gesundheit, S. 340) Dieser „eine unendliche Gott" sorgt für das alles.
Jetzt könnte all das nur mutiges Gerede darstellen und nicht mehr, wenn wir nicht in der Tat als Einzelne unser Leben durch diese Wahrheiten regieren lassen. Uns selbst mit Frieden in Einklang zu bringen – Friedensstifter zu sein – verbindet uns im täglichen Leben mit göttlicher Stärke. Und unsere Gebete für alle, die direkt von den Konflikten rund um die Welt betroffen sind, erlangen Autorität und sind anwendbar, um Geschehnisse zu bewegen und Leben zu verändern. Wir können am Anfang beginnen – bei Gott – und uns in Einklang mit Seiner Gnade und Seiner Liebe vorwärts bewegen. Schritt für Schritt.
