Ganz gleich, ob wir in einem nicht-religiösen Haushalt oder zum Beispiel in einem christlich-wissenschaftlichen Haushalt aufwachsen, wir beobachten und erleben in einem bestimmten Maß das vorherrschende Massendenken unserer Gesellschaft und Zeit. Wenn es sich dabei um falsche, herabziehende und verletzende Phänomene handelt, spricht Mary Baker Eddy vom tierischen Magnetismus oder Hypnotismus. Man kann sich dem gedanklich entgegenstellen, aber es kann auch viel Energie und Gebet kosten, alte Vorstellungen, Vorurteile oder Klischees zu zerstören und durch richtige Sichtweisen zu ersetzen.
In unserer Gesellschaft gibt es (immer noch) viele Vorurteile gegenüber Frauen. Eine religiös verhaftete, tiefsitzende und oft unbewusste Vorstellung ist die Idee der Erbsünde oder der Schuld der Frau. Über Jahrhunderte hinweg wurde dies als Grund genutzt, Frauen zu benachteiligen, zu unterdrücken, zu foltern und sogar zu töten. In der Bibel gibt es Textstellen, die die Frau an den Herd verweisen und ihr wenig Rechte zugestehen wollen. Viele Wissenschaftler vermuten jedoch, daß diese Passagen später hinzugefügt, so wie andere entfernt wurden (z. B. das Evangelium nach Maria). Durch viele Filme zieht sich das Thema „Frau als Verführerin zum Bösen“ als eine Art roter Faden hindurch: die Femme Fatale, die für ihre Sünden büßt, im Gegensatz zur heiligen „Mutter-Figur“, die perfekt und unbefleckt ist.
Andere Vorurteile beziehen sich auf bestimmte Lebensbereiche, wie zum Beispiel naturwissenschaftliches Wissen und entsprechende Berufswahl: „Frauen sind schlechter in Mathematik und Physik“; „Frauen sollten eher keine Ingenieursberufe oder körperlich anstrengende Arbeiten erlernen“; „Frauen sind zu mild und kooperativ für Management-Berufe“. Andere vermengen eine imaginäre Schuld und Berufliches, z. B. „dass Frauen arbeiten, ist der Grund für die hohe Arbeitslosigkeit und die Probleme der heutigen Jugend“. Wieder andere behaupten, Frauen seien „emotional“ und „irrational“. Frauen werden oft als Opfer dargestellt und in der Tat sind Frauen weitaus häufiger Opfer häuslicher Gewalt und von Sexualverbrechen als Männer.
Sind Frauen üblicherweise also schwach, schuld an vielen Problemen in unserer Gesellschaft und in vielen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens einfach unfähig?
Mary Baker Eddy hatte mit vielen dieser und anderer Vorurteile zu kämpfen. So war es zum Beispiel während ihrer Zeit Frauen nicht erlaubt zu wählen. Frauen waren generell komplett von ihren Familien und Ehemännern abhängig und der Besitz einer Frau ging in den Besitz des Mannes über. Mary Baker Eddy hat aber diese Limitationen, diese Vorurteile nie als ihre Identität anerkannt, sondern sich mit ihrer Identitätssuche an Gott gehalten. Sie wusste bzw. hat über die Jahre gelernt, daß mit Gottes Hilfe alles möglich ist, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft und Ausbildung. Dies gab ihr Kraft, all diese „irdischen“, materiellen Bürden zu überwinden. Sie hat diese Hindernisse nicht nur für sich überwunden, sondern auch für andere Frauen und letztlich für jeden, der sich durch externe Umstände eingeengt fühlt – wie sie selber schreibt:, was einem hilft, hilft allen'. Ihr Beispiel, ihr Vorbild gibt noch heute unzähligen Menschen Kraft und Hoffnung.
Wir alle haben die Wahl, „Opfer“ von Vorurteilen und Klischees zu bleiben, ihnen hörig zu sein und sie damit unser Leben bestimmen zu lassen. Konzentrieren wir uns auf das Opfer-Sein, die Klischees oder Vorurteile, manifestieren sich auch diese. Oder wir können uns andere Fragen stellen, z. B. wie sieht Gott mich als Individuum, als Frau (als Mann)? Es ist ein universelles Gesetz, daß wir das in unserem Leben manifestieren, worauf wir uns intensiv konzentrieren. Das ist eine Form von Gebet. Konzentrieren wir uns mit aller Hingabe darauf, Gott auszudrücken, so wird sich das auch in unserem Leben manifestieren.
In Wissenschaft und Gesundheit weist Mary Baker Eddy im Kapitel „Die Ehe“ auf Unterschiede hin. „Die Vereinigung der männlichen und weiblichen Eigenschaften ergibt Vollständigkeit. Das männliche Gemüt erlangt durch bestimmte Elemente des weiblichen Gemüts eine höhere Einstellung, während das weibliche Gemüt durch männliche Eigenschaften Mut und Stärke gewinnt“ (Seite 57). In diesem Fall liegt der Fokus jedoch auf der Harmonie, die durch die Vereinigung der Eigenschaften entsteht, nicht darauf, daß die Unterschiede Schwierigkeiten oder Konflikte kreieren.
Auch gibt es Unterschiede, die biologisch bedingt sind, so hat z. B. nur die Frau die Fähigkeit, Kinder zu gebären und zu stillen. Dafür sind Männer in den meisten Fällen körperlich stärker und haben daher eine bessere Eignung für manche physisch anstrengenden Berufe. Und daß Frauen emotionaler sind, ist ein Gerücht oder vielleicht ein Vorurteil. Alle Menschen reagieren auf irgendeine Weise emotional. Frauen drücken sie oft einfach deutlicher oder besser aus.
Bezeichnend für das Überwinden der die Geschlechter trennenden Unterschiede ist ein Bericht über Mary Baker Eddy vom 20. Juli 1881, in dem es über sie heißt: „Wenn sie auch viele Hindernisse zu überwinden, viele seelische Bedrängnisse zu erleiden hatte, ertrug sie sie doch tapfer; sie segnete, die ihr fluchten, und liebte, die sie beleidigten, und bot damit sowohl durch ihr christliches Beispiel wie auch durch ihre Unterweisungen den Typus höchsten Frauentums oder der Liebe, die heilt, dar.“ (Erste Kirche Christi, Wissenschafter und Verschiedenes S. 52).
Je mehr man diese Wissenschaft studiert, desto freier wird man von Vorurteilen. Man führt dann ein Leben, in dem sich Frau und Mann in gegenseitiger Achtung begegnen.
