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Hat er ihn nun berührt oder nicht?

Glenn W. Most erkundet die Geschichte des ungläubigen Thomas

Aus der März 2008-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft

Süddeutsche Zeitung


Was ist das für ein Blick, mit dem der ungläubige Thomas auf dem Gemälde Caravaggios seinem Finger folgt, dessen Spitze gerade in die Wunde am Körper Jesu eingedrungen ist? Welche Gedanken verbergen sich hinter seiner in höchster Anspannung gerunzelten Stirn? Soll der Finger eine Wahrheit beglaubigen, an der die Augen allein weiter zweifeln würden? Und sieht es nicht so aus, als ob Jesus — auch er mit rätselhaftem Blick — dem Ungläubigen die Hand führt?

Eine Werkvorstellung hatte das Berliner Wissenschaftskolleg angekündigt. Aber Glenn W. Most, Professor für griechische Philologie in Pisa und für „Social Thought” in Chicago, wollte nicht nur sein im englischen Original 2005 erschienenes Buch „Der Finger in der Wunde. Die Geschichte des ungläubigen Thomas” zusammenfassen. Er verband, das Caravaggio-Bild während seines Vortrags im Rücken, die Werkvorstellung mit der Selbstvorstellung als Wissenschafter — und als Ungläubiger.

... Im Wintersemester 1996/97 habe er an der Universität Heidelberg während eines mit Kollegen ... veranstalteten Kolloquiums zu den Kirchenvätern beim Vergleich der von dem griechischen Dichter Nonnos (5. Jhdt. n. Chr.) verfassten Paraphrase des Johannesevangeliums mit dem Original überrascht entdeckt: Johannes erzählt gerade nicht, was doch jeder vom ungläubigen Thomas zu wissen glaubt, dass er nämlich den Finger in die Wunde des Herrn legte. Auf das Angebot Jesu, dies zu tun, antwortet Thomas unmittelbar, ohne ihn zu berühren: „Mein Herr und Mein Gott!”...

In der kulturellen Überlieferung hat sich, nicht zuletzt wegen der Macht der Bilder, der ungläubige Thomas etabliert, der den Finger in die Wunde legt. ... Das Missverständnis ist für Most sowohl das a priori jeder Rezeption wie die Bedingung der Möglichkeit der Philologie. Es hält die alten Texte lebendig und bewahrt sie vor dem Verblassen und Verstummen. Durch seine Offenheit für Missverständnisse wird der ungläubige Thomas des Johannes-Evangeliums zum Kronzeugen rivalisierender Bibelauslegungen.

So kann der ungläubige Thomas zum idealen Heiligen der Gnostiker werden: indem er den Leib Jesu nicht berührt, beglaubigt er die gnostische Distanz zur Leiblichkeit. Er kann aber auch ins Zentrum der orthodoxen Exegese rücken: weil die Fortschreibungen der Bibel, die Fortschreibungen der Bibel, die ihn Jesus berühren lassen, als Reflexe eines Realgeschehens gedeutet werden können, in dem das Wunder der Auferstehung leibhaftig bezeugt wird.

In Amerika, so berichtete Most am Ende seines Vortrags, ...sei sein Buch in der Abteilung „Religion” zu finden. In Frankreich habe es vor allem bei den Experten und Anhängern der Gnosis Interesse gefunden, in Italien, wie zu erwarten, bei den Kunsthistorikern.

Was aber ihn selbst betreffe, so wolle er ein nicht-religiöses Buch über einen religiösen Stoff geschrieben haben.

... Gern folgte ihm das Publikum im Wissenschaftskolleg und diskutierte vor allem über die Frage, wie groß das Gewaltpotential und die Zumutung in der Geste sei, die den Finger in die Wunde legt. ..

Eigentümlich abseits blieb in der Diskussion die Theologie. Dabei wäre sie zuständig für die Frage, worauf im Horizont des Neuen Testaments der Finger des Thomas stößt — oder stoßen würde —, wenn er die Wunde des Auferstandenen berührt.

Text gekürzt. Vollständiger Text siehe: Süddeutsche Zeitung Nr. 33 / 08. . Nachdruck mit freundlicher Genehmigung

Nachdrucke auf dieser Seite geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion des Herold der Christlichen Wissenschaft wieder.

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