Eine Ausüberin der Christlichen Wissenschaft wurde zu einem Menschen gerufen, der in großer Not zu sein schien. Es war eine Leserin in einer christlich-wissenschaftlichen Zweigkirche; und sie war überzeugt davon, daß sie aus diesem Grunde die Zielscheibe des Hasses des sterblichen Gemüts gegen die Wahrheit sei. Die Ausüberin schien außerstande, sie eines Besseren zu belehren. Schließlich sagte sie: „Nun, wenn Sie darauf bestehen, eine Zielscheibe zu sein, dann seien Sie halt eine. Doch, um Himmels willen, seien Sie wenigstens eine Zielscheibe außer Schußweite!“
Eine Zielscheibe außer Schußweite! Welche Möglichkeiten öffnet das für uns! Außer Schußweite zu sein, bedeutet, außer Reichweite für die begrenzten Pfeile des Angreifers zu sein. Der Vogel braucht nur seine Flügel auszubreiten und sich in blaue Höhen emporzuschwingen, um außer Reichweite der Scharfschützen zu sein.
Können wir so fessellos und frei sein wie der Vogel? Selbstverständlich können wir das. Die geliebte Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, Mary Baker Eddy, weist uns auf die dem Menschen innewohnende Freiheit hin und schreibt in ihrem Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 223): „Früher oder später werden wir verstehen lernen, daß die Fesseln der endlichen Fähigkeit des Menschen von der Illusion geschmiedet werden, daß der Mensch im Leibe lebt anstatt in der Seele, in der Materie anstatt im Geist.“ Fesseln, die von der Illusion geschmiedet werden, sind Illusionen, nicht Wirklichkeiten.
Christus Jesus fand seine Sicherheit, indem er die Geistigkeit seines Seins behauptete. Im Lukas-Evangelium wird berichtet, daß einmal, als er in der Synagoge lehrte, seine Zuhörer voll Zorn wurden. Sie standen auf und stießen ihn zur Stadt hinaus und führten ihn auf den Abhang eines Hügels, daß sie ihn hinabstürzten. Doch er ging mitten durch sie hinweg, unbeirrt in seiner Heilsmission. Sie sahen ihn nicht einmal. Er verhieß denen, die an ihn glaubten, daß sie auch die Werke tun würden, die er tat, und daß sie sogar noch größere tun würden; denn, wie er sagte (Joh. 14:12): „Ich gehe zum Vater.“ Mrs. Eddy schreibt in ihrem Werk „Miscellaneous Writings“ (Vermischte Schriften, S. 195): „Das ,Ich' wird zum Vater gehen, wenn Demut, Reinheit und Liebe unter Leitung der göttlichen Wissenschaft, des Trösters, uns zu dem einen Gott führen, denn dann wird das Selbst nicht in der Materie, sondern im Gemüt gefunden werden, da es nur einen Gott, ein Gemüt gibt; und der Mensch wird dann kein Gemüt außer Gott beanspruchen.“
Solange wir uns selbst für endliche menschliche Wesen ansehen, die von anderen ernannt werden, gewisse Ämter in unserer Bewegung zu bekleiden, oder gewisse Aufgaben zu erfüllen, genau so lange setzen wir uns der Gefahr aus, Zielscheiben oder vermeintliche Opfer des Hasses, des Neides, des Betruges und der hypnotischen Beeinflussung zu werden. Widerstand und Tadel, Entmutigung und Untüchtigkeit sind oft die Folgen dieser Irrtümer. Doch das sterbliche Gemüt kann niemals über sich selbst hinausreichen. Es nimmt sich selbst wahr, seinen eigenen, irrigen Begriff von sich selbst, verurteilt sich selbst, zerstört sich selbst. Weder Gott noch der wirkliche Mensch kommen jemals in die Reichweite des Materialismus.
Aggressive mentale Suggestionen mögen flüstern: „Du bist ein Sterblicher. Ich, das Böse, kann dich beängstigen, kann dich krank machen, überanstrengen, erschöpfen. Ich kann deinen guten Ruf verunglimpfen, dich in den Verdacht der Unehrlichkeit bringen, und andere veranlassen, diese Unwahrheiten zu glauben und zu verbreiten. Trotz all deines treuen Strebens, kann ich dich dazu bringen, daß du dich für untüchtig, verdächtigt, ungeliebt und unglücklich hältst.“ Doch die aggressive Suggestion mag ihre Stimme auch in Selbstgerechtigkeit erheben und unter dem Deckmantel unserer eigenen Gedanken flüstern: „Ich bin wichtig. Ich verlange, anerkannt zu werden. Ich wünsche, daß mir gefolgt werde, und beabsichtige, meinen eigenen Willen durchzusetzen.“ Doch weder Gefühle der Minderwertigkeit noch der Überheblichkeit sind wirklich, und der wachsame Christliche Wissenschafter läßt sich weder als Werkzeug des einen noch des anderen gebrauchen. Er läßt sich nicht vom Irrtum dazu benutzen, Zwietracht, Trennung oder Untreue in unsere Bewegung zu bringen. Er erlaubt sich selbst nicht, von Torheit, selbstsüchtigem Stolz, oder einem falschen Gefühl des Märtyrertums irregeleitet zu werden. Seine Sicherheit ist in Gott, und seine Freude soll niemand von ihm nehmen.
Wenn wir einmal wirklich darüber nachdenken — wo sind wir sicherer, geliebter, werter als im Dienste unseres Schöpfers? Wo können wir klarer die Selbsterneuerung des Lebens, die Kraft der Wahrheit, die Versorgung der Liebe empfinden? Wir sollten uns durch „Demut, Reinheit und Liebe, unter Leitung der göttlichen Wissenschaft“ von der egozentrischen Annahme befreien lassen, Sterbliche zu sein und sollten das Denken über die Materie zum Geist emporheben. Dann werden wir in wahrer Demut das göttliche Gemüt als das Ich anerkennen — das Ich unseres Seins — und den tieferen Sinn jener Worte des Meisters erfassen: „Der von obenher kommt, ist über alle“ (Joh. 3:31); „Der Vater, der mich gesandt hat, derselbe hat von mir gezeugt“ (Joh. 5:37); und „Ich und der Vater sind eins“ (Joh. 10:30).
In dem unantastbaren Reich des Geistes und von dem Standpunkt der Allheit Gottes aus entfaltet sich das Lebenswerk des Menschen als eine subjektive Erfahrung des göttlichen Gemüts. Die Seele offenbart ihre eigene Größe und Herrlichkeit, die Liebe ihren eigenen Gleichmut und Frieden. In der Wissenschaft spiegelt der Mensch Gott wider und ist spontan, unbehindert und ungefesselt. Er ist weder lokalisiert noch begrenzt; er kann daher weder irrig beeinflussen noch irrig beeinflußt werden. Das Leben bringt seinen eigenen vollen, freien Lauf strahlenden Lebens zum Ausdruck; und der Mensch ist dieser Ausdruck. Daher erfreut sich der Mensch der unbegrenzten Möglichkeiten seines Gott entstammenden Seins, in dem es weder Unfall, Altersschwäche noch Verfall gibt.
Gott machte niemals ein Gesetz der Strafe, noch machte Er den Menschen fähig, Strafe zu erleiden. Gottes Gesetz ist das Gesetz der Freiheit, das Gesetz der Gerechtigkeit, das Gesetz der Liebe. So sagt Mrs. Eddy in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 513): „Das sogenannte sterbliche Gemüt — da es nicht existiert und infolgedessen nicht in das Bereich des unsterblichen Daseins gehört — kann die göttliche Schöpfung nicht durch Nachahmung der göttlichen Kraft umkehren und dann auf seiner eignen Ebene Personen und Dinge wiedererschaffen, denn nichts besteht außerhalb des Bereichs der allumfassenden Unendlichkeit, in welcher und von welcher Gott der alleinige Schöpfer ist.“ Und sie fügt hinzu: „Das Gemüt, freudig in Stärke, wohnt im Reich des Gemüts.“
Durch das Erfassen dieser Tatsache werden wir in der Tat eine Zielscheibe außer Schußweite sein — keine Zielscheibe mehr — denn nichts existiert außer der immerdar allumfassenden, nie-endenden Liebe, und der Mensch weilt in dem Bewußtsein der Liebe als ewiger Ausdruck der inneren Vollendung und ungebrochenen Harmonie des Gemüts.
Die Dunkelheit dringt niemals in das Licht ein; sondern das Licht überwindet die Dunkelheit. Für das Licht ist alles ewiglich Licht, ohne Unterbrechung. Laßt uns in „Demut, Reinheit und Liebe, unter der Leitung der göttlichen Wissenschaft,“ erkennen, daß das „Ich“ wirklich zum Vater geht — ja, daß es ewig bei dem Vater ist — und so in uns selber den unangreifbaren Strahlenglanz seiner Gegenwart sehen.
