Das Gebet „Dein Wille geschehe” schien mir mein ganzes Lebenlang ein Gebet der Ergebung. So oft etwas besonders Schreckliches vorkam machte jedermann ein ernstes Gesicht und sagte: „Gottes Wille geschehe.” Infolgedessen schien es mir, als ob Gottes Wille dadurch geoffenbart werde, daß Er uns Leiden sende, die wir mit Ergebung, wenn nicht gar mit Dankbarkeit annehmen müßten. Dies hatte mich sehr beunruhigt, ehe ich Christian Science kennen lernte. Wenn ich glücklich war konnte ich niemals sagen: „Dein Wille geschehe,” ohne ein inneres Beben zu verspüren, aus Furcht, es möchte sich etwas ereignen, was den gegenwärtigen Frieden stören könnte. Der Irrtum flüsterte mir dann zu, Gott werde hoffentlich noch nicht an mich denken.
Selbst nachdem ich meine Arbeit in Christian Science begonnen hatte, wurde es mir schwer zu beten: „Dein Wille geschehe.” Ich suchte mir die Erhabenheit Gottes zu vergegenwärtigen; aber Er schien mir immer noch, wie in meinem früheren Glauben, ein schreckenerregender, rachsüchtiger Gott zu sein, dem ich mich unterwerfen müsse. Eines Tages kam eine Patientin zu mir, deren Zustand, wie ich im Laufe des Gespräches merkte, durch Mangel an Verständnis der göttlichen Liebe verursacht worden war. Ich begann meine Behandlung damit, daß ich ihr die schöne Bibellektion über „Liebe” vorlas. Ich selbst hatte schon vorher die für jene Woche bestimmte Bibellektion mit dem Thema „Gott” studiert. Wie ein Hauch vom Himmel kam mir plötzlich die Wahrheit zum Bewußtsein, daß jene drei süßen Worte „Dein Wille geschehe” alles in sich schließen, was existiert. Sie bilden kein Gebet der Entsagung, sondern sie umfassen alles Gute, alles Lob, indem sie die Erhabenheit des einen Gottes anerkennen; sie drücken alles aus, was man sich erbitten kann, indem in ihnen die Bitte enthalten ist, daß uns die göttliche Liebe führen und leiten möge. Und wenn uns Liebe leitet, sind wir glücklich und harmonisch,— körperlich, geistig, in jeder Hinsicht.
Gottes Wille ist der Liebe Wille. Wenn wir uns dieser Tatsache völlig bewußt wären, würde uns Liebe regieren und alles Übel wäre überwunden. Es wäre das gleichbedeutend mit der Herrschaft des Friedens, der Harmonie und der Liebe, gleichbedeutend mit der Anerkennung des einen Gottes sowie der Nichtigkeit der falschen Götter wie Ehrgeiz, Eigenliebe, Furcht, Haß und Habsucht, die wir so oft an unsere Brust drücken. Die Bruderschaft der Menschen würde dann zur Verwirklichung kommen. Es gäbe keinen Streit und Krieg mehr, keine Betrügereien im Maß, im Gewicht oder in der Qualität, keine Tadelsucht und kein Spotten, sondern einer würde dem andern helfen, die Vollkommenheit zu erreichen. Der göttliche Geist würde unser Denken beherrschen und es würde jeder einsehen, daß, in welcher Weise es ihm auch vergönnt sein möge, das göttliche Wesen wiederzuspiegeln, er es vollkommen tun kann, sei es nun im Schreiben, Malen, Singen, im Kaufen oder Verkaufen. Wenn Gottes Wille zur Ausführung käme, gäbe es kein Mißlingen, keine unvollkommene Arbeit, keine Pflichtvergessenheit. Der Irrtum hätte dann keine Gelegenheit, uns in Banden des Kummers und der Trostlosigkeit gefangen zu halten.
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