Wenn man heutigestags die vielen Millionen Erdbewohner überschaut, so findet man wohl keinen Beweis der Ungerechtigkeit, welcher mehr Mitleid erregt und unser Rechtsgefühl mehr beleidigt als der Zustand derjenigen, die ohne eigne Schuld sich in beständigem Elend befinden und namenlosen Schmerzen ausgesetzt sind. Unzählbar ist die Schar derjenigen, die schon seit ihrer Geburt mit dem Wort „unheilbar” gebrandmarkt sind und die seitens der Ärzte zur Krankheit und Verzweiflung verurteilt wurden. Kann es etwas Mitleiderregenderes geben als solche Beispiele eines ungerechten Schicksals?
In Anbetracht solch trauriger Zustände um uns her kann man doch billigerweise erwarten, daß ein jeder Christ die Rechtmäßigkeit dieser Zustände stets ohne Zögern verneine und daß er sich über jedes Wort der Hoffnung und Ermutigung, das den unzähligen Leidenden entgegengebracht wird, herzlich freue. Ist es nicht merkwürdig, daß sich die Geistlichkeit wie auch das Volk im allgemeinen seit Jahrhunderten solcher Ungerechtigkeit ohne Einspruchserhebung unterworfen haben? Wenn wir diese Ergebung in das scheinbar Unvermeidliche mit der Stellung vergleichen, die Jesus Christus dem „gefangenen Bruder” gegenüber einnahm, muß es uns doch klar werden, daß viele sogenannte Christen tatsächlich die Allgegenwart des heilenden Christus leugnen und ihn somit vor der Welt mißachten, und daß dadurch der Gründung seiner segenbringenden Herrschaft entgegengearbeitet wird. Christus wird tatsächlich wiederum gekreuzigt, wenn Bekenner des christlichen Glaubens diejenigen tadeln, die den „Unheilbaren” die Hoffnung bringen, daß sie durch die Erkenntnis der geistigen Wahrheit Gesundheit erlangen können.
Wenn Christen die sogenannten „Unheilbaren” der Hoffnungslosigkeit überantworten, stellen sie sich der Frage gegenüber, wie ein liebevoller Gott solche Ungerechtigkeit gutheißen kann. Einerseits bäumt sich das moralische Gefühl eines jeden Menschen auf, wenn der Unschuldige für die Sünden des Schuldigen gepeinigt wird, und andrerseits predigt man in den christlichen Kirchen, daß die Gesetze, welche diese Ungerechtigkeit möglich machen, von Gott verordnet seien!
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