Seit ich die Wahrheit, welche freimacht, kennen gelernt habe — die gesegnete von Christus Jesus geoffenbarte und durch Christian Science erklärte Wahrheit —, habe ich unaussprechlich viel Grund zur Dankbarkeit gehabt. Die göttliche Liebe hat mein innerstes Sehnen so wunderbar befriedigt, daß es mich drängt davon zu sprechen; auch hege ich den herzlichen Wunsch, meine Erfahrung möge für einen müden Wanderer in der Wüste menschlicher Irrungen ein Becher kaltes Wassers sein.
Vor einigen Monaten wurde ich bei einem Besuche von einem großen Leonberger angefallen und gebissen. Der Biß war tief und zwar unter dem rechten Auge, das auch verletzt wurde, und meine Nase und Wange boten einen fürchterlichen Anblick. Mein Mann, der anwesend war, und die Besitzer des Hundes erschracken furchtbar — mehr als ich selbst. Ich wurde mir des Geschehenen nicht bewußt, bis mein Mann aufschrie: „Dein Auge! Dein Auge!” Ich kann mich nur besinnen, daß ich in dem Augenblick antwortete: „Mir kann nichts geschehen!” Und ich wiederholte: „Nichts!” Der Allheit Gottes wurde ich mir damals wohl nicht ganz bewußt, wenigstens kam mir dieselbe bei der herrschenden Verwirrung nicht ganz klar zum Bewußtsein; doch stand es für mich fest, daß ein materielles Mittel nicht in Frage kommen könnte, obgleich die Umstehenden sofort dazu rieten. Obwohl mein Mann Christian Science nicht als die Wahrheit ansieht, ließ er doch keinen Arzt holen, sondern nahm mich so schnell als möglich nach Hause. Wir hatten eine weite Fahrt bis nach Hause, bei Hitze und Staub; ich fuhr jedoch fort, den 91. Psalm halblaut herzusagen und erhielt dadurch Trost und Stärkung.
Auf meinen Wunsch bat mein Mann eine liebe aber sehr junge Scientistin, die einzige, die in der Nähe war, zu mir zu kommen, und sodann telegraphierten wir an eine Vertreterin der Christian Science in Frankfurt a/Main um Hilfe. Unterdessen leistete mir meine junge Freundin so freundlich und mit solch klarer Erkenntnis der Wahrheit Beistand, daß ich trotz des immer wieder hervorströmenden Blutes nur wenig Schmerz empfand. Es stellte sich kein Fieber ein, und trotz der großen Hitze, die mir vorher schwer erträglich erschienen war, schlief ich in der ersten Nacht ruhig und sanft. Nach dem Abwaschen des Blutes kam kein einziges materielles Mittel zur Anwendung, nicht einmal Wasser — die täglichen Waschungen natürlich ausgenommen.
Um meinem Manne den Anblick zu ersparen und die Gedanken der Dienerschaft abzulenken, band ich mir einen Leinenstreifen über’s Gesicht, den ich morgens und abends wechselte, was jedesmal schmerzhaft und höchst unangenehm war; zudem flüsterte mir die Furcht zu, es könnte mir dies sehr schaden. Mein Beweggrund hierzu war jedoch ein guter, und die Erinnerung an die Worte unsers Textbuches: „Adhäsion, Kohäsion und Attraktion gehören dem Geiste an” („Science and Health“, S. 124) flößten mir neuen Mut ein. Der Zustand meiner Augen gestattete mir kaum das Lesen; dennoch trug mich Gottes Wort von Stunde zu Stunde und von Tag zu Tag. Zum Glück weiß ich eine große Zahl von Bibelstellen auswendig, und dies erwies sich mir als ein großer Segen, denn es war als würden mir diese herrlichen Trostworte, die machtvollen Verheißungen gerade dann eingeflüstert, wenn ich ihrer am meisten bedurfte. Mein Lieblingssatz in unserm inspirierten Textbuch ist stets die erste Zeile des Abschnittes „Preface“ gewesen, wo es heißt: „Denen, die sich auf das erhaltende Unendliche stützen, bringt der heutige Tag großen Segen”, und in der dunkelsten Stunde brachte mir „der heutige Tag” großen Segen.
Am fünften Tage nach dem Unfall erhielt ich den ersten Brief von der freundlichen Vertreterin, und dies gab mir den Mut, zum ersten Mal wieder in den Spiegel zu sehen, um mein Haar in der gewohnten Weise zu ordnen. Einige Tage zuvor hatte mir ein zufälliger Blick in den Spiegel Entsetzliches gezeigt. An diesem Morgen öffnete ich jedoch die Bibel, und mein Auge fiel auf Jeremia 29:11–13. Danach sah ich ruhig in den Spiegel, und da war nichts Schreckliches mehr zu sehen. Zwei Tage vorher hatte ich mit unaussprechlichem Dankgefühl und jubelndem Entzücken die Entdeckung gemacht, daß ich mit dem verletzten Auge so gut wie mit dem gesunden sehen konnte. Ein kleiner Blutfleck blieb allerdings noch einen Monat lang sichtbar, doch verursachte er mir keinerlei Beschwerden, überhaupt hatte ich nach den ersten zwei bis drei Stunden keine Schmerzen.
Zehn Tage nach dem Unfall unternahmen wir eine weite Reise, da die Ferienzeit meines Mannes begonnen hatte. Diese Reise verlief so harmonisch, daß ich nur mit tiefer Dankbarkeit an dieselbe zurückdenken kann. Weder Ruß noch Staub taten mir irgendwelchen Schaden, und kein neugieriger Blick belästigte mich. Soweit war also alles gut verlaufen, und vierzehn Tage nach dem Unfall hörte der Beistand seitens der Vertreterin auf. Ein Gefühl der Furcht schlich sich jedoch ein, da ich mich damals in einer Umgebung befand, die nichts von Christian Science wußte und auch nicht bereit war, etwas darüber zu hören. Ich war auch oft genötigt, auf Fragen in Betreff meiner Narben zu antworten und den Unfall zu erzählen; auch blieb mir nur wenig Zeit zum Lesen und zur Erhebung der Gedanken sowie zur Arbeit für mich selber. Ein Gefühl der Niedergeschlagenheit bemächtigte sich meiner, und genau acht Tage nachdem die Vertreterin aufgehört hatte für mich zu arbeiten, öffnete sich eine der Wunden von neuem. Diesmal war meine Furcht herzbeklemmend, denn der Gedanke der Blutvergiftung lag nahe. Ich benachrichtigte die Vertreterin, von der ich aber jetzt weiter entfernt war und die ich telegraphisch nicht so leicht erreichen konnte. Nun folgte eine schwere Zeit; auch dachte ich zu viel an das Aussehen des Übels und fürchtete, es könnte die Aufmerksamkeit andrer auf mich lenken. Ich sah es mir oft an, und so kam es, daß die Heilung dieser kleinen Stelle längere Zeit beanspruchte als die der tieferen und größeren Wunde. Für diese mehrere Wochen dauernde Prüfungs- und Lernzeit bin ich jedoch dankbar, denn ich sehe jetzt ein, daß sie für mich notwendig war. Vier Monate nach dem Unfall war jede Spur von dem Übel verschwunden. Am wunderbarsten war die Heilung meines arg verletzten Auges; dasselbe war nämlich nach fünf Tagen vollkommen geheilt und hat mir seither keinerlei Beschwerden verursacht.
Nun ist alles gut. Die Sonne der göttlichen Liebe hat Ordnung und Frieden gebracht, wo der Sturm zu wüten schien. Ich versuchte immerwährend mir bewußt zu werden, daß Gottes Kind durch ein Geschöpf Gottes keinen Schaden erleiden kann, daß diese Erfahrung ein böser Traum war und daß wenn wir in Seinem Ebenbilds erwachen, dieser Traum keine Spuren zurücklassen kann. Ich mußte mich über das Gefühl erheben, als sei die Häßlichkeit des Hasses und der tierischen Wut, wie sie mir in den funkelnden Augen des Hundes entgegentrat, in irgendwelchem Sinne wirklich, und beschloß von nun ab, mit dieser Lüge in meinem Bewußtsein nichts mehr zu schaffen zu haben, denn Liebe solle darin uneingeschränkt walten. Durch diese wunderbare, über alles menschliche Wissen und Vermögen erhabene Heilerfahrung habe ich mehr als in den drei vergangenen Jahren erkannt, welchen Dank wir unsrer verehrten Führerin schulden. Nächst Gott und Seinem Christus, dem alles Lob, alle Herrlichkeit und unaussprechlicher Dank gebührt, danke ich auch Mrs. Eddy von ganzem Herzen für die Freiheit der Kinder Gottes, die sie uns in so wundervoller und klarer Weise zum Bewußtsein gebracht hat und die meine Seele erquickt hat.
Warschau, Rußland.
