Seit Anfang der Geschichte haben die Sterblichen danach getrachtet, das Rätsel des Daseins zu lösen und der widerwärtigen Umstände Herr zu werden. Es ist dem menschlichen Bewußtsein der Irrglaube eingeflößt worden, daß der Mensch vielen verschiedenen Mächten preisgegeben sei, die es darauf abgesehen hätten, ihm Leiden und körperlichen Schaden zuzufügen, ja sogar seine völlige Vernichtung herbeizuführen. Das Forschen zwecks Befreiung aus diesen traurigen Zuständen fand jedoch fast ausschließlich in materieller Richtung statt. Man suchte sein Heil in Theorien und Systemen, die sich aus dem Irrglauben entwickelt haben, daß der Materie Macht und Intelligenz innewohne und daß sie deshalb die Leiden des Fleisches sowohl hervorbringen als auch heilen könne. Diese materiellen Anschauungen haben die Forscher notwendigerweise auf die Gebiete der Weltweisheit geführt und sie zu dem Schluß gebracht, daß, wenn überhaupt Hilfe möglich sei, dieselbe durch die sogenannten materiellen Wissenschaften kommen müsse. An Gott, den Geber aller guten und vollkommenen Gaben, wandte man sich in der Regel erst zu allerletzt, ohne jedoch viel von Ihm zu erhoffen. Gerade die Einfachheit der Lehre Jesu und der Propheten war den „Kindern dieser Welt” ein Stein des Anstoßes.
Die Vertreter der zahllosen Theorien, welche dem Geist und Körper Gesundheit und Harmonie in Aussicht gestellt haben, bezeichnen es als unmöglich, daß die Anwendung der einfachen Vorschrift des Meisters: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit”, den Sterblichen das volle Maß der Befreiung bringen könne, und daß sie die Antwort auf das Gebet der Jahrhunderte sei. Wenn jedoch zugegeben wird, daß Jesus ein wahrer Prophet war, daß er „den Weg” kannte und daß er seine Erkenntnis der Wahrheit durch seine Werke bewies, so ist doch gewiß die Behauptung nicht unvernünftig, daß sein Weg zum mindesten einer ehrlichen Probe wert sei.
Jesus erklärte: „Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden; man wird auch nicht sagen: Siehe, hie, oder: da ist es. Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch”— also einem jeden zugänglich. Diese Worte hätten die Theologie der Juden von Grund aus umwandeln sollen; aber statt dessen beschleunigten sie das tragische Ereignis auf Golgatha, welches zur überzeugenden Veranschaulichung der geistigen Herrschaft des Menschen über die Erfahrungen der materiellen Existenz führte — zu dem Überwinden des letzten Feindes, der aufgehoben wird. Die Juden hielten den Himmel für einen weitentfernten Ort, den man erst nach dem Tode erreichen könne. Deshalb erklärte ihnen der Meister, dieses Reich sei ein Zustand des Bewußtseins, das sie schon jetzt erreichen könnten. Die inspirierten Propheten hatten die Theologie der Inden auf Wahrheit gegründet; leider aber wurde das, was sie lehrten, so sehr mit Überlieferungen, Aberglauben und Irrtümern vermischt, daß es zu einem menschlichen Machwerk herabsank. Die Juden verwarfen Jesum hauptsächlich wegen der Einfachheit seiner Worte. Ihre Gelehrten und Philosophen hatten sich ihr ganzes Leben lang bemüht, die „Tiefen der Gottheit” zu ergründen, und als dann dieser einfache, bescheidene Nazarener verlangte, sie sollten ihre irdische Weisheit darangeben und „wie die Kinder” werden, bäumte sich ihr Verstand und ihr Stolz auf.
Die Ereignisse der Geschichte wiederholen sich. Auch in unsern Tagen verneinen die Klugen dieser Welt — unsre Schriftgelehrten und Ältesten — oftmals die Heilungen der Christian Science, weil dieselben nicht den anerkannten Methoden der modernen Wissenschaft gemäß bewirkt werden. Die Christian Science verkündet der Welt aufs neue, daß das Reich Gottes nicht in weiter Ferne liegt, daß man es nicht auf dem Wege veränderlicher Theorien und Weltklugheit erreicht, sondern durch die Erkenntnis, daß es jetzt vorhanden ist, und zwar im Bewußtsein des Menschen. Sie erklärt, daß das Verständnis von Gott und Seinen Gesetzen jede Krankheit, jede Disharmonie vernichtet und daß dieses Mittel stets bei der Hand ist. Die Weltklugen mögen einwenden: „Das kann nicht wahr sein. Wenn diejenigen, die ihr ganzes Leben mit wissenschaftlichen Forschungen zugebracht haben, keine derartigen Werke tun können, so sind Leute, die keine anerkannt wissenschaftliche Ausbildung haben, gewiß außerstande, sie zu tun.” Und doch geben alle Christen zu, daß Jesus, der keine höhere Schulbildung genossen hatte, der größte Lehrer und der größte Arzt aller Zeiten war — der einzige, welcher alle Arten von Krankheiten heilte und welchem nie eine Heilung mißlang.
Der Apostel Paulus warnte die Korinther vor der „Schalkheit”, die sie „von der Einfältigkeit in Christo” abzuwenden drohte, und bezeichnete es als den Ruhm eines Christen, „in Einfältigkeit und göttlicher Lauterkeit, nicht in fleischlicher Weisheit, sondern in der Gnade Gottes” zu wandeln. Auf Seite 53 von „Miscellaneous Writings“ sagt Mrs. Eddy: „Die Christian Science ist einfach und für Kinder leicht faßlich; nur diejenigen, deren Erziehung sie von ihr weggeführt hat, finden sie abstrakt und schwerverständlich.” Durch die einfachen Wahrheiten des Christentums Christi, wie wir sie in der Christian Science kennen lernen, gelangen die Sterblichen zu der Erkenntnis, daß die wahren Nachfolger des demütigen Nazareners nichts weiter sind als erwachsene Kinder.
Jede gute Handlung dünkt mich um so ruhmvoller, je mehr sie ohne Geräusch und Schau des Volks geschieht.
    