Wohl keine Begebenheit der Heiligen Schrift enthält eine größere Anzahl nützlicher Lehren, als diejenige von der Heilung des Gadareners, wie die Evangelisten Markus und Lukas sie uns erzählt haben. Jesus und seine Jünger fuhren über das Galiläische Meer, als ein großer Sturm entstand, so daß das Schiff und die Insassen in Gefahr waren, von den Wellen verschlungen zu werden. Furcht und Schrecken ergriff die Jünger; Jesus aber „war hinten auf dem Schiff und schlief auf einem Kissen.” Durch ihren Hilferuf und ihre flehentliche Bitte um Rettung aufgeweckt, sprach er sein ruhiges und bestimmtes „Schweig und verstumme”, wodurch er sowohl den Aufruhr der Elemente als auch die Furcht der Jünger beschwichtigte.
Diese Begebenheit bildet ein passendes Vorspiel zu dem, was folgte. Als sie nämlich das entgegengesetzte Ufer des Meeres erreicht hatten und bei den Gadarenern gelandet waren, lief ihnen ein armer Wahnsinniger entgegen, der in einem solchen Zustande des Selbsthasses und der Verzweiflung war, daß ihn niemand bändigen konnte. Er bat den Meister flehentlich, ihn nicht zu quälen, worauf Jesus dem unsauberen Geist gebot auszufahren. Der arme Gadarener glaubte, das Übel sei in ihm selbst, und er erkannte, daß dasselbe in Gegenwart der in Jesu zum Ausdruck kommenden Lauterkeit und Harmonie nur Qual erdulden könnte; deshalb sah er in Jesu nicht einen Erretter, sondern einen Richter, der ihm mit Vernichtung drohte. Der Meister bewies durch seine Antwort vollkommenes geistiges Verständnis. Er sah die Ehrerbietung des armen Gadareners, sah dessen Bereitwilligkeit, die Lauterkeit und Heiligkeit, in deren Gegenwart er sich befand, anzuerkennen und ihr Ehrerbietung zu erweisen, sah mit unendlichem Mitleid die Fesseln der Furcht und des Hasses, mit welchen der Glaube, daß der Mensch mit dem Übel eins sei, den Wahnsinnigen gebunden hatte, und fragte ihn deshalb: „Wie heißest du?” Diese wichtige Frage sollte das Denken des Mannes auf sein wahres Wesen lenken; sie sollte ihn auf die Lüge hinweisen, die er nicht als solche erkannt hatte. Und die Wirkung blieb nicht aus, indem eine große Erregung in dem menschlichen Bewußtsein stattfand. Das Übel wurde zur scheinbaren Tätigkeit angeregt und äußerte sich in der prahlerischen Erklärung: „Legion heiße ich, denn unser ist viel.”
Wie schrecklich müssen diese Worte den Umstehenden geklungen haben! Welch ein Gefühl des hoffnungslosen Unterdrücktseins mußte es in ihnen erwecken! Der Meister jedoch erkannte die Nichtigkeit des Übels, das sich hier geltend machen wollte. Er scheint demselben nicht einmal widersprochen zu haben. In unerschütterlicher Ruhe wartete er, bis die seinen Worten zugrundeliegende Wahrheit den Gadarener zur Erkenntnis seines (des Gadareners) wahren Wesens erweckt hatte — zur Erkenntnis, daß er kein Teil des Übels sei und nicht von demselben besessen sein könne. Und was war das Ergebnis? Der falsche Begriff wurde von dem Manne getrennt, und das Übel, welches soeben noch die Gewalt und Unüberwindbarkeit einer römischen Legion beansprucht hatte (obschon es kein selbstständiges Dasein besaß), hörte man nun flehentlich bitten, daß, wenn es ausgetrieben werden müsse, es in sein ursprüngliches Element, in das Säuische und Tierische fahren möge, wo Stolz und ruhmrediger persönlicher Sinn hingehören. Jesus gewährte dies, worauf das Übel seiner Vernichtung entgegeneilte.
Hier nun hört man sehr oft die Frage, warum wohl der Meister die Teufel in die Säue habe fahren lassen. Es erscheine dies doch als eine grausame und ungerechte Tat. Die Lösung ist sehr einfach. Auf den Verweis Jesu hin hatte der Stolz seine säuische Natur zugegeben, worauf Jesus ihm befahl auszufahren. Das scheinbar grausame Schicksal der Tiere ist nicht dem Meister zuzuschreiben, sondern der Furcht und dem falschen Denken derer, die die Säue hüteten. Im Widerspruch zum mosaischen Gesetze hielten sie Tiere, welche dieses Gesetz für unrein erklärte; daher war es kein Wunder, daß sie glaubten, die Macht, deren Zeugen sie gewesen waren, würde ihre Taten richten und ihnen ihren unerlaubten Besitz nehmen. Der Mensch hat Macht über die Tiere des Feldes. Die Überzeugung der Schweinehirten, daß ihre unreinen Tiere in der Gegenwart eines Mannes waren, der Unreinheit vernichtete, verursachte die Panik unter den Tieren, die sie zu hüten hatten. Ähnliche Fälle sind in unsern Tagen nicht weit zu suchen. Wer ein Geschäft betreibt, das dem Gesetze zuwider ist, hat kein Recht, etwas andres als Mißerfolg zu erwarten. Ferner wird der Bauer, welcher nichts als Unglück erwartet, die Erfahrung machen, daß seine Erwartung sich durch Verlust an seinem Viehstande verwirklicht. Und dann glaubt man, Gott sei an derartigem Unglück schuld!
Der Besessene wurde vollständig geheilt, denn als die Bürger herauskamen, um zu sehen, was geschehen war, saß er zu Füßen Jesu, „bekleidet und vernünftig.” Eine große Furcht vor dieser unbekannten Macht scheint sie überkommen zu haben, denn sie baten den Erlöser, er möchte sie verlassen. Diesem Wunsche sofort entsprechend, ging Jesus mit den Jüngern und dem Gadarener auf das Schiff zu. Als sie es erreicht hatten, verweigerte er jedoch die Bitte des Geheilten, ihm folgen zu dürfen, und sandte ihn zurück, damit er seinen Leuten von der erhaltenen Wohltat erzähle.
Mrs. Eddy ermahnt uns in ihrem Artikel „The Way“ [Der Weg] („Miscellaneous Writings“, S. 355) sehr ernstlich, immer mehr auf augenblickliche Heilungen hinzuarbeiten. Sie hebt hervor, daß diese absoluten Beweise der Christian Science, wie ja überhaupt aller wahre Erfolg, durch ordnungsmäßiges Wachstum und stetigen Fortschritt erzielt werden muß. Sie spricht von drei verschiedenen Stufen in diesem Wachstum: Selbsterkenntnis, Demut und Liebe. An diesem Heilungsfall haben wir ein wunderbares Beispiel des ordnungsmäßigen Wachstums. Als der Gadarener von seinem felsigen Aufenthaltsort herabstürmte, hatte er keine Selbsterkenntnis. Er glaubte, ein armer, rasender und stolz sich brüstender Teufel bilde sein wahres Selbst. Was bewirkte seine Umwandlung? Die Kundgebung des Christus war es, die sein Bewußtsein durch den menschlichen Jesus erreichte. Er erfuhr ein plötzliches Erwachen und erreichte somit die erste Stufe, nämlich Selbsterkenntnis. Er begann einzusehen, was der Mensch, was wahre Persönlichkeit ist, und da nun sein geistiges Verständnis erweckt war, verließ ihn der Irrtum. Nun hatte er die zweite Stufe, nämlich Demut erreicht, so daß er zu Füßen Jesu saß und das ernste Verlangen hatte, mit dem Kleide der Gerechtigkeit Christi angetan zu werden. Dieses heilige Verlangen brachte ihm reiche Segnungen. Eine Zeitlang saß er still und ruhig da und dachte über die erhabenen Lehren der selbstlosen Liebe nach; dann aber wurde sein Erlöser plötzlich von den Bürgern des Ortes abgewiesen, und er mußte ihn verlassen. Er wollte sich ihm anschließen, um mehr von seiner unsterblichen Lehre in sich aufzunehmen, um mit dem geliebten Lehrer, dem er all seine Erkenntnis vom Guten verdankte, öfteren Umgang pflegen zu können. Jesus stellte jedoch eine große Anforderung an sein geistiges Verständnis, an seine neuerworbene Selbsterkenntnis. Es war nichts Geringeres, als das Geheiß, ihn und seine Jünger ihrer Wege gehen zu lassen und in seine Stadt, auf den Schauplatz seiner tiefsten Erniedrigung zurückzukehren, wo Spott und Hohn sowie der Zorn der Schweinehirten seiner wartete, um da ein Zeuge für die Wahrheit zu sein. Und doch tat der Geheilte, wie ihm geboten wurde, denn der große Lehrer hatte sein Herz mit Liebe zu Gott und den Menschen erfüllt.
Die Schüler der Christian Science, welche die unendliche Schönheit dieser Lehre erkannt haben und von dem Wunsche beseelt sind, einen tieferen Einblick in die völlige Liebe zu tun, welche die Kranken augenblicklich heilt, sollten sowohl über das Verhalten des Meisters als auch über das des Gadareners ernstlich nachdenken. Was befähigte diesen armen Menschen, so rasch diese drei Stufen zu erreichen, zu denen so mancher von uns nur sehr langsam und mit großer Mühe zu gelangen scheint. Es muß wohl sein bereitwilliges Erkennen des Guten gewesen sein — sein freudiges Ergreifen jeder sich ihm bietenden Gelegenheit zur Förderung. Wir sehen dies an seinem Herbeieilen, um Reinheit und Geistigkeit zu verehren; an seiner Lernbegierde und an seinem bereitwilligen Gehorsam.
Wie oft schon haben wir eine sich uns bietende Gelegenheit versäumt! Wie oft haben wir versucht, unharmonische Zustände und falsche Begierden nicht durch Überwinden, sondern durch Ausweichen loszuwerden, indem wir danach trachteten, Personen und Dinge beiseite zu schieben oder ihnen aus dem Wege zu gehen, anstatt gerade da, wo die göttliche Liebe uns hingestellt hat, die alles überwindende Macht der Wahrheit und Liebe zu beweisen. Die Christian Science enthebt uns keiner Verpflichtungen, die wir je übernommen haben, sondern hilft uns, denselben getreulich nachzukommen. Wer ihnen auszuweichen sucht, beweist dadurch eine Neigung zur Gewissenlosigkeit, welche verhärtend auf das Gemüt wirkt und den Menschen mit der schlimmsten Art von Selbstsucht fesselt; denn unter dem Vorwande des Strebens nach Fortschritt veranlaßt sie ihn, die Anforderungen der einfachen Menschenliebe zu umgehen. Eigensüchtiger Fortschritt ist eine Unmöglichkeit. Das Gesetz der Liebe: „Was einen segnet, segnet alle” („Science and Health“, S. 206) ist unumstößlich. Dies sollten die Schüler der Christian Science mit Dank anerkennen. Das Gesetz der Liebe fügt sich nun und nimmer unsern selbstsüchtigen Wünschen, da es seine eigne Vollkommenheit und Mildtätigkeit kennt. Wenn wir, wie der Gadarener, davon abstehen, unsre eignen Wege zu bestimmen; wenn wir die Pflichten, die bereits vor uns liegen, als willkommene Mittel zu unsrer Förderung freudig begrüßen; wenn wir in unserm Heim wie im Geschäftsleben tagtäglich die falsche persönliche Auffassung von uns selbst und andern ertöten und die geistigen Wirklichkeiten immer mehr erkennen, so werden wir zur Selbsterkenntnis, Demut und Liebe gelangen.
Um die nützliche Lehre zu erkennen, die für den ausübenden Vertreter in dieser Geschichte enthalten ist, müssen wir über des Meisters Verhalten nachdenken und uns fragen, wodurch diese augenblickliche Heilung bewirkt wurde. Zu allererst die Frage: Warum lief der Gadarener auf Jesum zu, da er doch nichts von ihm wußte. Er kam, weil er nicht anders konnte — weil der Meister so sehr mit Gottvertrauen und erbarmender Liebe erfüllt war, daß er den armen Menschen unwiderstehlich anzog. Er strahlte eine solch reine Geistigkeit aus, d.h. Liebe, Freude und Frieden (und wie sehr hatte sein Patient Frieden nötig!), daß der arme Leidende dem Wunsch und Verlangen nicht widerstehen konnte, sich ihm zu Füßen zu werfen. Und nun sehen wir des Meisters wunderbare Fähigkeit, das Gute zu erkennen. Er sah die schlummernden Fähigkeiten in dem Menschen — die edlen Eigenschaften, welche nur der Berührung warteten, um zu erwachen. Und diese Berührung vollzog er und vertrieb somit die Lüge mittels der Wahrheit, indem er fragte: „Wie heißest du?” Auf diese Weise erweckte er den Menschen und legte den Irrtum bloß. Er machte nicht viele Worte, und sein kurzer, scharfer Befehl: „Fahre aus, du unsauberer Geist, von dem Menschen!” war bloß an das Übel gerichtet.
Wie wenig sprach Jesus doch und wie einfach war dieses Wenige! Trotzdem genügten seine Worte vollständig, denn das heilende Bewußtsein war vorhanden. Der Christus, welchen Jesus kundtat, vernichtete den Irrtum. Das Denken des Meisters war in unendlicher Liebe auf den armen Menschen gerichtet, wodurch demselben das, was er nötig hatte, in reichem Maße zuteil wurde. Hierin liegt eine wichtige Lehre für uns alle. Wie oft müssen wir uns sagen, daß wir zuviel geredet und das Beispiel des Meisters, der das zerstoßene Rohr nicht zerbrach, außer Acht gelassen haben. Wie oft rügen wir einen Mitmenschen, indem wir ihn für einen Teil des Irrtums halten, während wir doch das Christus-Ideal vor Augen haben sollten, welches vermöge seiner unbefleckten Schönheit und ungetrübten Klarheit viel besser und viel schmerzloser rügt, als wir es können. Wir fragen zuweilen in wehmütigem Tone, warum wir in so vielen Fällen den richtigen Weg nicht strenge innegehalten haben. Vielleicht ist es deshalb, weil wir der göttlichen Liebe nicht genug vertrauen, oder weil wir nicht klarer erkennen, daß die göttliche Liebe das Werk gewiß mit Weisheit und Verständnis ausführen wird. Und so suchen wir denn den Fortschritt nach unsrer eignen Methode zu beschleunigen. So lange wir nicht demütig sind und uns nicht der Leitung der göttlichen Liebe überlassen, können wir nicht augenblicklich heilen.
Es sei nun ein weiterer Punkt in Erwägung gezogen. Trachten wir ernstlich danach, uns die Anziehungskraft der Liebe anzueignen? Bitten wir ernstlich um ein reiches Maß der Wahrheit und Liebe, damit wir, wie Christus Jesus, imstande sein mögen, eine unwiderstehliche Anziehungskraft auszustrahlen und dadurch alle Menschen zu Christo heranzuziehen? Oder fürchten wir uns nicht vielmehr, daß der Neid uns tadeln möchte — daß diese Anziehungskraft mißdeutet und uns als Ehrsucht ausgelegt werden könnte? Wenn wir diese Furcht hegen und deshalb eine äußere Kälte zur Schau tragen, anstatt der unbegrenzten Ausdehnung der göttlichen Liebe Raum zu lassen, so sind wir selbstsüchtig, und Selbstsucht hat noch niemals die Kranken geheilt. Die Söhne und Töchter Gottes wurden frei erschaffen; es steht ihnen also frei, so edel, zart und liebevoll zu sein, wie ihr Vater im Himmel ihnen anbefohlen hat. Mrs. Eddy erklärt: „Wer sich an Persönlichkeit anklammert oder dich fortwährend vor Persönlichkeit warnt, tut derselben Unrecht oder erfüllt die Leute mit Furcht vor derselben und ist das sichere Opfer seiner eignen Körperlichkeit. ... Wenn man die Leute fortwährend beschuldigt, sie seien ungebührlich persönlich, so ist das ebenso, wie wenn man sich über Krankheit unterhält” („Retrospection and Introspection“, S. 73). Unser Bestreben sei so ehrlich und unser Gottvertrauen so unerschütterlich, daß uns Versuchung und Furcht nichts anhaben kann. Christusgleiches Mitleid und Erbarmen muß unser Herz in solchem Maße erfüllen, daß die Menschen durch uns zu der göttlichen Liebe, dem Quell aller Heilung, hingezogen werden.
Und nun einige Worte in Bezug auf die Lehre, die uns Jesus durch sein Verhalten der ruhmredigen Erscheinung des Irrtums gegenüber gibt. Wenn wir vor der Aufgabe stehen, für uns oder andre eine Erscheinungsform des Übels zu vernichten und die Frage stellen: „Wie heißest du?” so erhalten auch wir zuweilen die Antwort: „Legion heiße ich, denn unser ist viel”, und wir erschrecken dann leicht vor der scheinbar großen Anzahl von Teufeln, die behaupten, ein Teil von uns oder von dem Hilfesuchenden zu sein. Es ist jedoch kein Grund zur Furcht vorhanden. Wir müssen, wie Jesus, die Lüge klar und scharf mit dem Worte der Wahrheit rügen und dann fest und mutig unsern Standpunkt behaupten, während die Wahrheit das Werk vollbringt. Wenn wir dies tun, werden wir keine Legion sehen, sondern bloß die eine althergebrachte Lüge, daß der Materie Leben und Intelligenz innewohne und daß irgend etwas Ungöttliches Wirklichkeit haben könne. Als Kinder Gottes haben wir ein Anrecht auf alles, was nötig ist, um diesen Anforderungen gerecht zu werden — ein Anrecht auf das Licht der Wahrheit, auf das geistige Verständnis, welches Christus Jesus besaß. Wenn wir die geistigen Waffen anwenden, deren er sich bediente, werden wir den gleichen Erfolg haben.
Laßt uns ferner sehen, wie sich Jesus dem Gadarener gegenüber verhielt, als dieser in seinem scheinbaren Getrenntsein von Gott seine Nacktheit, seine Dürftigkeit erkannte. Wenn wir zu dem sich an uns wendenden Hilfesuchenden von dem Nichtbestehen des Irrtums reden, so müssen wir ihm zugleich das Bestehen der Wahrheit erklären. Neulich hörte ein Schüler einer Christian Science Sonntagsschule, wie seine Eltern den Irrtum der Krankheit verneinten, worauf er ihnen durch folgende Bemerkung ungemein half: „Auf diese Weise werden wir wohl nichts ausrichten. Wir haben bis jetzt bloß ein Loch gemacht.” Jesus machte niemals „bloß ein Loch”; deshalb hielt er sich lange genug auf, um dem Gadarener Gelegenheit zu geben, ihm zu Füßen zu sitzen und von ihm zu lernen. So erfolgreich war der Unterricht des Meisters und so lernbegierig erwies sich der Schüler, daß letzterer bald seine Arbeit allein tun konnte. Hier sehen wir die Weisheit und das Mitgefühl Jesu. So lange der Gadarener Jesum nötig hatte, ließ dieser ihn zu seinen Füßen sitzen; sobald er aber ein genügendes Maß des Verständnisses erhalten hatte, gebot ihm der Meister, das Gelernte nun auszuüben.
Wir dürfen uns nicht fürchten, wenn sich die Hilfesuchenden anfangs an uns anklammern. Sie brauchen die menschliche Hilfe nur so lange, bis sie den lebendigen Christus erkannt haben. Wenn wir ihre Aufmerksamkeit beharrlich von unsrer Persönlichkeit abwenden und auf das göttliche Prinzip des unsterblichen Christus lenken, so werden sie uns bald verlassen und diesem nachstreben. Tennyson spricht in den folgenden Worten eine große Wahrheit aus: „Wenn wir das Höchste erkannt haben, können wir nicht umhin es zu lieben.” Ehe die Hilfesuchenden „das Höchste” sehen, ist es weder für sie noch für uns von Vorteil, sie abzuschütteln, weil wir Angst haben, sie könnten unser Werk und unsern Fortschritt hindern oder uns dem Tadel aussetzen. Wenn wir uns frei zu machen suchen und dadurch einem andern Leiden verursachen, sei es auch nur auf kurze Zeit, so ist das lieblos und grausam; auch bringt es uns nicht die gewünschte Freiheit, denn „Liebe ist der Befreier”, wie die Christian Science uns lehrt („Science and Health“, S. 235). Wenn der rechte Augenblick gekommen ist, werden sie die seitens der göttlichen Liebe an sie gerichtete Aufforderung zu unabhängiger Arbeit hören. Es ist die Aufforderung, die fortwährend an einen jeden von uns gestellt wird, nämlich, „nach dem Maße der Größe Christi” (Züricher Bibel) zu streben.
Und nun zum Schluß noch eine Lehre. Als Jesus zum Gehen aufgefordert wurde, entfernte er sich ohne Verzug. Er drängte die gute Botschaft niemand auf. Er machte nicht Propaganda, sondern ließ sein Werk für seine Sache zeugen und stellte sie der Macht der Wahrheit und Liebe anheim. Auch unsre Botschaft wird zuweilen von denen zurückgewiesen, die nicht für dieselbe bereit sind. In solchem Fall müssen wir darauf sehen, daß wir guten Samen hinterlassen — etwa einen lebenden Zeugen der Macht der Wahrheit und Liebe; dann werden wir gewiß an der Ernte teilnehmen können.
Laßt uns nun die Brocken vom Tische der göttlichen Liebe sammeln. Der Gadarener möge uns das freudige Anerkennen unsrer Gelegenheiten und den bereitwilligen Gehorsam gegen die Anforderungen des Christus, der Wahrheit lehren, und von dem Meister wollen wir das Gesetz der furchtlosen, vertrauensvollen, alles bezwingenden göttlichen Liebe lernen. Wenn die Verfasserin darüber nachdenkt, wie kalt und unverständlich die biblischen Geschichten ihr früher vorkamen, ehe ihr dieselben durch das Studium der Christian Science klar und faßlich gemacht wurden, so wendet sich ihr Herz in dankbarer Liebe unsrer Führerin zu, die uns durch ihr Lebenswerk solch reiche Segnungen gebracht hat.