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„Lehre uns beten”

Aus der Mai 1911-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Diejenigen, welche sich dem Studium der Christian Science ernstlich hingeben, kommen bald zu der Einsicht, daß in ihrem Denken und Handeln eine Veränderung eintreten muß, wofern ihr Streben nach Vollkommenheit erfolgreich sein soll. Tatsächlich wenden sich die meisten Menschen erst dann der Christian Science zu, wenn irgendein Leiden, welches keinem materiellen Mittel weichen will, sie dazu treibt. Die Krankheit mag entweder sie oder eine ihnen teure Person befallen haben; in beiden Fällen erhalten sie den Beweis, daß Gott die Kranken jetzt ebensowohl heilen kann und ebensowohl heilt, wie zu Jesu Zeiten — ohne materielle Mittel. Sie fangen dann an, über Gott und besonders über des Menschen Beziehung zu Ihm ganz anders zu denken, und bald stellen sie die Frage, wie man sich Gott im Gebet nähern müsse. Geradezu ergreifend wirkt das Lesen der Zeugnisse derer, die lange und scheinbar erfolglos gebetet haben, bis sie endlich durch die Christian Science zu der festen Überzeugung gekommen sind, daß es ein wirksames Gebet gibt.

Manche Leute erfassen das geistige Ideal, welches Mrs. Eddy in dem Kapitel über das Gebet zu Anfang ihres Werkes „Science and Health“ dargelegt hat, ohne besondere Schwierigkeit. Andre hingegen finden diese Erklärungen schwer verständlich, und zwar deshalb, weil sie nicht mit ihren althergebrachten Anschauungen übereinstimmen. Sie übersehen die Tatsache, daß, wenn das Ergebnis dieser Anschauungen befriedigend gewesen wäre, sie sich nicht der Christian Science zugewandt hätten. Ferner muß hier darauf hingewiesen werden, daß der große Lehrer nicht viel über das Gebet sprach, bis er die falschen Begriffe, welche er vorherrschend fand, aufgedeckt hatte. So warnte er z. B. seine Zuhörer vor dem öffentlichen Beten und dem „Plappern”. Er lehrte, der Menschen Herzen müßten von Haß und Sinnlichkeit gereinigt werden und die Liebe zu Gott müsse an Stelle des Mammonsdienstes treten. Er verlangte eine volle Hingabe, damit sich das Denken fortwährend über das Materielle erheben und dem Geistigen zuwenden möge. Ferner sagte er: „Sorget nicht ... für euren Leib”, sondern „trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen.”

Dies alles und weit mehr ist in der Bergpredigt zu finden (im fünften, sechsten und siebenten Kapitel des Matthäus). Hier steht ferner das Gebet des Herrn, welches, wie Mrs. Eddy erklärt, sich auf alle menschlichen Bedürfnisse erstreckt („Science and Health“, S. 16). Dem Evangelisten Lukas zufolge gab Jesus den Jüngern dieses Gebet erst, nachdem sie sich mit der Bitte an ihn gewandt hatten: „Herr, lehre uns beten”. Sie sahen offenbar nicht ein, daß jedes Wort, das er zu ihnen redete, sie auf das wahre Gebet hinwies; daß, wenn sie das richtige Verständnis vom „Ewigvater” und von der Gotteskindschaft hätten, sie es als unnötig erkennen würden, sich mit flehentlichen Bitten an Ihn zu wenden. In einem Heim, wo die richtigen Zustände herrschen, haben es die Kinder nicht nötig, ihre Eltern mit Bitten um Brot zu bestürmen; auch erhalten „die Lilien auf dem Felde” ihre Kleidung nicht durch klägliches Bitten. Daher sagte der Meister: „An demselbigen Tage [wenn dies alles verstanden wird] werdet ihr mich nichts fragen”, denn ihr werdet dann erkennen, daß der himmlische Vater alle eure Bedürfnisse befriedigt. Bis ihr aber diese Erkenntnis erlangt habt, „bittet, so werdet ihr nehmen, daß eure Freude vollkommen sei”, und wisset, daß, wenn ihr Brot nötig habt, der Vater euch keinen Stein geben wird.

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