In allen ihren Schriften hebt Mrs. Eddy immer wieder hervor, daß man das Übel nicht als Person behandeln darf. Da das Übel nichts Greifbares oder mit dem Auge Erkennbares ist, so kann es offenbar nicht auf einer materiellen oder persönlichen Basis überwunden werden. Die Christian Science liefert die einzig praktische Lösung für die Aufgabe, und zwar auf Grund der Tatsache, daß das Übel nur als die Annahme besteht, daß es eine dem Guten entgegengesetzte Wirklichkeit gebe, die einen Gott unähnlichen Menschen erschaffen könne.
Die Christian Science bezeichnet das Übel als ein falsche Annahme. Ist Gott Allmacht und Allgegenwart, so kann es keine entgegengesetzte Kraft, kein entgegengesetztes Sein geben, es sei denn der falschen Annahme gemäß. Diese Annahme ist keine Person und ist nie eine Person gewesen, ebensowenig wie man sich die Annahme, die Erde sei flach, als Person denken kann. Weder Adam noch die Sterblichen heutzutage sind die Urheber dieser Annahme. Durch das Verschwinden aller irrigen Annahmen vor der wachsenden Erkenntnis des Guten büßen wir nichts ein — im Gegenteil, unser Menschentum wird nur erhöht. Es ergibt sich also, daß Irrtum nicht zum Menschen gehört, d. h. keinen Teil seines Wesens bildet. Die Stellung der Christian Science wird durch die beweisbare Tatsache unterstützt, daß schlechte Einflüsse in dem Maße verschwinden, wie man sich der Regierung des Guten unterstellt, und dies führt zu der unvermeidlichen Folgerung, daß das Übel einem von Gutem erfüllten Bewußtsein absolut nichts anhaben kann.
Der Glaube an persönliches Übel hat die Sterblichen, von Kain bis heute, dazu geführt, mit einander zu kämpfen, in dem Wahn, das Entfernen des Beleidigers werde die Ursache ihres Unwillens und ihrer Furcht beseitigen. Selbst die Kinder Israel, die doch eine höhere Anschauung von Gott vertraten, glaubten, ihre Feinde seien Personen, anstatt falsche Annahmen. Sie töteten ihre Gegner, um ihre eigne Freiheit zu erlangen, und glaubten dadurch den göttlichen Willen auszuführen. Die Geschichte zeigt jedoch, daß das Übel niemals durch solche Mittel verringert oder zerstört worden ist. Die Vernichtung von Personen hat den Völkern oder dem Einzelnen nie dazu verholfen, Mißstände zu beseitigen. Jede nachfolgende Generation hat mit dem selben Übel wie die vorhergehende zu kämpfen gehabt; die einzige Hilfe bestand in der Erlangung eines höheren Begriffs von Nächstenliebe, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit.
Die Christian Science kehrt den materiellen Begriff von den Dingen um, indem sie zeigt, daß unsere Gegner nicht Persönlichkeiten sind, sondern Erscheinungsformen bösen Denkens, die ihre Gegenwart und ihren Einfluß nicht außerhalb, sondern innerhalb des eigenen Bewußtseins geltend machen. Man darf daher das Übel nicht als in einer anderen Person befindlich oder gar als eine andere Person betrachten, sondern man muß ihm im eigenen Bewußtsein begegnen und muß es da überwinden. Haß, Arglist und andere Formen des Irrtums treten uns vielleicht scheinbar als persönliche Angriffe entgegen — aber nur scheinbar, denn wenn die Person auch beseitigt wäre, so bliebe doch immer noch in unserem eigenen Denken der Irrtum zurück, mit dem wir rechnen und den wir berichtigen müssen. Da die Christian Science die Anschauung von Gott als der alleinigen Intelligenz vertritt, so kann sie keinen Versuch gutheißen, dem als Person gedachten Übel zu entrinnen oder dasselbe als Person zu überwinden. Falsche Annahmen haben einen mentalen Entstehungsgrund, bestehen im Denken und müssen auf dem Wege mentaler Besserung entfernt werden. Man kann ihnen nicht von der Basis äußerlicher Wirkung aus beikommen oder entgegenwirken. Mißt man der Sünde Intelligenz und Willensäußerung bei, so erweckt und nährt dies ein Gefühl der Wiedervergeltung. Behandelt man das Übel jedoch als einen Irrtum, als etwas, dem nicht mehr Intelligenz oder persönliches Element innewohnt als der Annahme, zweimal zwei sei fünf, so ist die nötige gedankliche Freiheit zur Vergebung des Unrechts gewährleistet, und im Verhältnis zu derselben findet beim Menschen Erlösung vom Übel statt.
Was auch immer den Menschen als sündhaft und unvollkommen darstellt, entspringt der Grundannahme, es gebe eine von Gott getrennte Macht. Jesus nannte diese Annahme einen Lügner und Vater derselbigen. Wollen die Christian Scientisten des Meisters Nachfolger sein, so müssen sie Übel jeder Art von dieser Basis aus behandeln. Es ist klar, daß eine Lüge niemals ein Mensch ist, obwohl man aus Unwissenheit sich soweit täuschen lassen kann, daß man das Unwahre glaubt und dem Trug Vorschub leistet, worauf man die nachteiligen Folgen hinnehmen muß. In einem solchen Fall geht jedoch die Lüge nicht im Individuum auf, auch verliert sie ihr falsches Wesen nicht. Ein Schüler der Christian Science, der sich an die in „Science and Health“ enthaltenen Lehren hält, erkennt den jeweiligen Anspruch des Übels und verneint ihn dann von jenem absolut unpersönlichen Standpunkt aus. Wer da versucht, dem Übel auf andere Weise zu begegnen, der versteht diese Lehre noch nicht.
Es ist für einen Anhänger der Christian Science verhältnismäßig leicht, das Übel der Krankheit von seinem Begriff von Persönlichkeit zu trennen, und es fällt ihm vielleicht nicht schwer, diese mentale Haltung auch in Fällen zu wahren, wo es sich um beabsichtigtes Unrecht handelt, solange er selbst davon nicht betroffen wird. Die Probe kommt jedoch dann, wenn er glaubt, es habe jemand die Absicht, ihm zu schaden. Stellt er sich in solchen Fällen das Übel als einen Mißbegriff, als eine Falschheit vor und behandelt er es dementsprechend? Gehorcht er dem Gebote des Meisters: „Ich aber sage euch, daß ihr nicht widerstreben sollt dem Übel”, d. h. daß ihr ihm nicht die Anerkennung der Wirklichkeit geben sollt, die es beansprucht; oder betrachtet er das Übel als zum Menschen gehörig und macht er aus dem Gotteskinde einen Sünder?
Ein klares Erfassen dieses Punktes und zielbewußtes Streben sind gleich wichtig, denn man muß der Annahme, daß das Übel Intelligenz besitzt, der Wahrheit gemäß entgegentreten. Wir kommen so lange unter den Einfluß des Übels, bis wir Gott als den einzigen Geist (Mind) erkennen lernen. Wenn wir glauben, eine Persönlichkeit arbeite gegen uns, so dringt durch diese Annahme nur zu leicht das Gegenstück jenes Übels in unser Bewußtsein. Dazu kommt es sicher, außer wir erkennen den Irrtum, dem Übel Intelligenz beizumessen. Dieser Irrtum muß berichtigt werden. Verharren wir hingegen in der Überzeugung, daß Gott Alles-in-allem ist, so sind wir in der Lage, das Übel auf mentalem Wege als eine falsche Annahme zurückzuweisen und die christliche Pflicht zu erfüllen, welche von uns verlangt, daß wir diejenigen lieben, die uns nicht wohlgesonnen sind.
Der Versuch, das Übel als Person zu besiegen, stellt einen auf gleiche Stufe mit denen, die ihre Feinde töten möchten, um sie zu überwinden, ein Verfahren, das mit dem von Jesu gelehrten in schroffem Widerspruch steht. Ein anständiger Mensch würde keinem anderen physisch einen Schlag versehen, ja er würde eine solche Regung gar nicht aufkommen lassen. Der mentale Gegenwert ist jedoch in jedem Fall persönlicher Feindschaft oder persönlichen Grolls vorhanden. Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, wie Paulus schreibt, noch sind die Waffen des christlichen Kampfes fleischlich. Würden wir uns größerer Freiheit und Unabhängigkeit erfreuen, wenn diejenigen aus unserer Mitte entfernt wären, die wir als unsere Feinde betrachten? Würden wir die Sache Christi darum eifriger vertreten und bei der Ausarbeitung unserer Erlösung vom Glauben an das Übel besseren Erfolg erzielen? Würden unsere geistigen Neigungen dadurch entselbstet, unsere Wünsche vergeistigt, und würde uns die Fähigkeit gegeben, eine wirksamere Heiltätigkeit zu entfalten, als wir es jetzt vermögen?
In unserem Denken sollten wir stets unseres Bruders Hüter sein. Wenn er der Sünde nachgegeben hat und wenn uns dadurch ein Unrecht geschehen ist, sollten wir in unserem Herzen sagen können: „So verdamme Ich dich auch nicht”. So handelte der Meister. Wir verdunkeln nur unseren Sinn und heften den Irrtum nur fester an unseren Bruder an, wenn wir denken ein anderer wirke persönlich zu unserem Schaden. Zeihen wir einen Menschen während des mentalen Beistandes der böswilligen Malpraxis, so werden wir zu Mithelfern des Übels. Zur sicheren und getreuen Ausübung der Christian Science ist erforderlich, daß deren Anhänger Übel jeder Art von der Persönlichkeit trenne. Es ist unsere Aufgabe, die Behauptung zu widerlegen, daß der Mensch von Gott geschieden sei. Zu einer solchen Anschauung dürfen wir uns nicht bekennen, sondern wir müssen fest halten an des wahren Menschen ewiger Einheit mit dem göttlichen Prinzip.
„Wie oft muß ich denn meinem Bruder, der an mir sündiget, vergeben”? Jesu Antwort auf diese Frage bedeutet, daß der Zeitpunkt nie eintritt, da man Groll gegen jemand hegen darf. Wenn wir auch Ursache haben zu glauben, daß jemand Arges gegen uns im Sinne hat, so brauchen wir nichts zu befürchten, solange wir dafür Liebe wiederspiegeln. Das Übel kann uns nichts anhaben, wenn keine rückwirkenden Elemente in unserem Bewußtsein vorhanden sind. Nicht ob andere über uns falsch denken, sondern ob wir über sie richtig denken — darauf sollte es uns ankommen. Behält man stets im Sinn, daß Gott oder das Gute der einzige Geist ist, so werden sich üble Einflüsterungen bei uns nicht leicht Gehör verschaffen, und schlechte Gedanken werden unser Bewußtsein nicht zur Durchgangsstelle machen können. Die Christian Science liefert uns einen sicheren Schutz gegen alle Angriffe des Übels, nämlich durch die Anerkennung und die Erkenntnis der Unermeßlichkeit der göttlichen Liebe.
Was ist schließlich an der ganzen sogenannten mentalen Malpraxis, die manche mit solcher Scheu oder mit Unwillen zu betrachten geneigt sind? Das Übel besitzt keine Intelligenz. Es kennt Gottes Kinder nicht, kann weder über sie denken, noch ihnen Schaden zufügen. Warum sich also vor etwas fürchten, was weder Person noch Macht ist und daher weder denken, sprechen noch handeln kann? Wir fürchten uns nicht vor einem Schatten, denn was könnte uns ein bloßer Schein anhaben? Ebensowenig würden wir eine Erscheinungsform des sogenannten Übels fürchten, wenn wir wüßten, daß es eine falsche Annahme ist, die, wie die Christian Science lehrt, machtlos ist, sobald ihre Nichtigkeit bloßgestellt wird. Wir sollten einzig und allein darum besorgt sein, daß wir die ganze Menschheit auch wirklich lieben und dem Übel in unserem Bewußtsein keinen Raum gewähren. Damit ist nicht gesagt, daß man eine angebliche üble Wirksamkeit nicht beachten solle. Man bleibe aber der Ermahnung unsrer Führerin eingedenk, sich selber ein Gesetz zu sein, damit einem das Böse nichts anhaben kann. (Siehe „Science and Health“, S. 442.) Der Apostel Petrus fragt: „Und wer ist, der uns schaden könnte, so ihr dem Guten nachkommet?”
Bald ist der Nacht ein End gemacht,
Schon fühl' ich Morgenlüfte wehen.
Der Herr der spricht: „Es werde Licht!”
Da muß, was dunkel ist, vergehen.
Vom Himmelszelt durch alle Welt die Engel freudejauchzend fliegen,
Der Sonne Strahl durchflammt das All. Herr, laß uns kämpfen, laß uns siegen.
