Wir wollen nun die Behauptung, daß das Übel eine Notwendigkeit sei, etwas näher ins Auge fassen. Die schädlichen Folgen der Furcht werden allgemein zugegeben. Die Furcht ist eine Erscheinungsform des Übels. Sie trübt das Urteil, hindert die Tätigkeit, schwächt das Streben, veranlaßt „des Menschen Unmenschlichkeit gegen den Menschen” und hat mehr mit Krankheit und Tod zu tun, als im allgemeinen angenommen wird. Nun ist aber der Glaube, daß Gott das Übel sende oder in Anwendung bringe, die Hauptursache der Furcht. Die Sterblichen fürchten sich, weil sie an Gottes Fürsorge zweifeln — weil sie denken, Er habe vielleicht ein schlimmes Ereignis oder einen bösen Zustand für sie bestimmt. Darf man nun dem Gott der Liebe etwas derartiges zuschreiben? Wenn Er das Übel senden würde, so wäre Er auch für die Furcht verantwortlich, welche die Menschen peinigt. In der Bibel heißt es jedoch: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht”, und an andrer Stelle lesen wir: „Die völlige Liebe treibet die Furcht aus”. Weder Furcht, noch ihre Folgen, noch der ihnen zugrundeliegende Irrtum kann der wahren Idee von der göttlichen Liebe widerstehen. Mit den folgenden Worten widerlegt Jesus die Vorstellung, daß Gott das Übel sende oder es anwende: „Er läßt sein Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte.” „Fürchte dich nicht, du kleine Herde; denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben.”
Alle Christen geben zu, daß Gott Leben ist und daß Er allem Leben gibt; daß Er Geist ist, daß Sein Wille Gesetz ist, und daß Ihm alle Macht gehört. Dies sind biblische Wahrheiten, denen wir alle, wenigstens der Form nach, beistimmen. Die Handlungsweise jedoch des Durchschnittsmenschen hinsichtlich seiner Gesundheit widerspricht diesen Sätzen schnurstracks. Bei dem Bestreben, die Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen, folgen die meisten Menschen lieber einem medizinischen Werk als dem Neuen Testament. Sie beten fortwährend vor dem Altar der materiellen Annahmen an und opfern sehr oft auf demselben, während das geistige Verständnis kaum in Betracht kommt. Die Mehrzahl der Christen scheint die Materie statt des Geistes als den Ursprung und die Bedingung des Lebens anzusehen, und was Gesetz und Macht betrifft, so gestehen sie Gott weniger zu als den Bakterien.
Materielle Erscheinungen
Wie bekannt ist, geben sich die heutigen materiellen Heilsysteme sehr viel mit Bakterien oder Krankheitskeimen ab. Von gewissen Arten von Mikro-Organismen sagt man, sie hätten einen schädlichen Einfluß auf Gesundheit und Leben, während eine andre Sorte wegen ihrer angeblichen Bereitwilligkeit, die schädliche Sorte aufzufressen, willkommen geheißen wird. Der menschliche Körper wird demnach als ein Kampfplatz für Bakterien angesehen, und um Gesundheit herzustellen, sucht man nach den Bakterien, die in einem bestimmten Fall vermeintlich mehr Nutzen als Schaden bringen, und bringt sie in Anwendung. Solche Theorien stehen offenbar in keiner Beziehung zu Geist oder Gott, denn sie sind rein materiell. Sie lassen den wahren Stand und das geistige Wohl des Menschen gänzlich außer acht und halten das Leben für einen belebten Zustand der Materie.
Wir wollen nun einen Augenblick bei diesem Punkt verweilen und uns die Frage vorlegen: Was ist Materie? In einem unsrer modernen Konversationslexikons finden wir folgende Erklärung: „Alle Theorien in bezug auf die endgültigen Bestandteile der Materie müssen notwendigerweise spekulativ sein.” Viele unsrer heutigen Naturforscher geben zu, daß die Materie unerklärbar ist. Früher wurde sie in Atome zerlegt; in neuerer Zeit sagt man, sie bestehe aus Elektronen oder Jonen. Was diese Einheiten sind, ist jedoch nicht bekannt. Einige Physiker erklären, sie seien möglicherweise Kraftzentren oder Wirbel in einem mutmaßlichen, seinem Wesen nach unbekannten Äther. Daher sagt ein namhafter Gelehrter unsrer Zeit in einer seiner Schriften, die Materie sei in dem mutmaßlichen Wirbel eines mutmaßlichen Äthers verschwunden. Tatsache ist, daß Geist die einzige Substanz ist. Materie hat keine wirkliche Wesenheit; sie besteht aus materiellen Annahmen. Mrs. Eddy gibt uns die wissenschaftliche Erklärung materieller Erscheinungen, wenn sie sagt: „Das sterbliche Gemüt sieht, was es glaubt, ebenso gewiß, wie es glaubt, was es sieht” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 86).
Wie verhält es sich nun mit dem physischen Körper, der doch ein Teil des Menschen zu sein scheint? Die Sterblichen werden ohne Zweifel so lange einen materiellen Körper haben, bis sie dem Glauben an materielle Persönlichkeit entwachsen sind. Dieser Körper ist jedoch nicht immer der gleiche. Die Naturwissenschaft lehrt nämlich, die Bestandteile des Körpers würden beständig zerstört und durch neue ersetzt, so daß der Körper alle paar Jahre eine völlige Veränderung durchmache. Ist nun der Mensch in diesem Wechsel der Materienteilchen mit einbegriffen? Keineswegs! Wie sehr sich auch der sterbliche Körper verändern mag: des Menschen Individualität wird nicht berührt und besteht ununterbrochen weiter. Seine Identität ist ausschließlich mental und geistig, sie wohnt ganz und gar dem Bewußtsein inne. Selbst auf der Ebene der sterblichen Annahme würde man das Physische ohne das Leben nicht einen Menschen nennen. Bewußtsein, Individualität und Identität überdauern alles, was die physischen Sinne wahrnehmen können.
Aus diesem allem ist zu ersehen, wie trügerisch die materiellen Sinne sind. Ihr Zeugnis ist auf die Materie und ihre Erscheinungsformen beschränkt. Sie geben uns keine Auskunft über Geist, Gott, wie Christus Jesus dem Nikodemus bedeutete. Sie nehmen keine Kenntnis vom Geistigen. Daher vermögen sie uns nichts über den wirklichen Menschen zu sagen. Das Wesen des Menschen ist von dem Wesen Gottes abhängig. Es ist ein allgemein anerkannter Grundsatz, daß jedes Erzeugnis oder jede Wirkung ihrer Ursache oder ihrem Prinzip entsprechen muß. Um nun das Erzeugnis zu finden, das die Bezeichnung Mensch verdient, müssen wir von dem Prinzip des Menschen, von Gott ausgehen. Gott und seinen Abkömmling können wir nicht materiell, sondern nur geistig erkennen. Da Gott Geist und Wahrheit, Liebe und Leben ist, müssen Bewußtsein, Individualität und Identität des wahren Menschen das durch diese Synonyme näher bestimmte Wesen Gottes zum Ausdruck bringen. Ist uns dies erst klar geworden, dann erkennen wir, daß der Mensch harmonisch und ewig ist.
Gesundheit
Ich sagte vorhin, Gesundheit und Krankheit seien entgegengesetzte mentale Zustände, die durch entgegengesetzte Arten des Denkens hervorgerufen werden. Diese Behauptung ist sowohl wissenschaftlich, als christlich. Die schlimmste Seite des Krankseins ist das Sterben. Der Tod ist das Ende der sogenannten unheilbaren Krankheiten. Die Ursache vom Tod schließt daher die Ursache von Krankheit in sich, und was Paulus in folgenden Worten über Leben und Tod sagt, gilt auch in bezug auf Gesundheit und Krankheit: „Fleischlich gesinnet sein ist der Tod, und geistlich gesinnet sein ist Leben und Friede.” Mit diesen Worten sagt er ausdrücklich, daß das Leben ein Zustand des Gemüts oder des Denkens ist; er bezeichnet Ursächlichkeit als rein metaphysisch. Die Mentalität, welche krank wird und stirbt, ist fleischlich, d. h. materiell, während das Denken, welches lebt und sich der Segnungen des Lebens erfreut, geistig ist. Dieser Gegenstand erhielt weitere Beleuchtung durch jene Worte Jesu, die viele seiner Jünger veranlagten, sich von ihm abzuwenden und hinfort nicht mehr mit ihm zu wandeln: „Der Geist ist's, der da lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze.” Aus diesem Ausspruch sowie aus verschiedenen andern ähnlichen Inhaltes ist deutlich zu erkennen, daß Jesus das Wort Geist als ein Synonym für Gott ansah; mich sprach Paulus öfters von Gott als von Gemüt. Wir haben also die Worte Jesu Christi, des großen Lehrers, sowie die des Apostels Paulus als Beleg, daß Geist, Gott, das göttliche Gemüt, dem Menschen Leben und Gesundheit gibt, und zwar durch die Mentalität oder das Denken. Es ist daher sowohl wissenschaftlich, als christlich, wenn man behauptet, Gesundheit sei eine mentale und geistige Eigenschaft, die als solche erlangt und erhalten werden muß — d. h. durch das Verständnis vom geistigen Gesetz und den Gehorsam gegen dasselbe. Hieraus erhellt, daß das Heilen in der Christlichen Wissenschaft einen sittlichen, erlösenden Einfluß ausüben muß, der es untrennbar mit dem Christentum verbindet.
Die Christliche Wissenschaft ist ein Gedankensystem, das auf Gott als dem einzigen Gemüt, der einzigen Ursache beruht. Sie hat die Aufgabe, menschlichen Bedürfnissen entgegenzukommen, und zwar auf jede Art und Weise, durch mentale und geistige Mittel. Das Heilen von körperlichen Leiden ist zwar nicht ihre Hauptaufgabe, bildet aber einen großen Teil ihrer Tätigkeit, dem Gebot und Beispiel Jesu gemäß. Die Christen sind dieser Pflicht wohl nie absichtlich aus dem Wege gegangen. Sie haben nach bestem Wissen versucht, den Kranken und Bedürftigen zu helfen, mußten sich aber gestehen, daß ihre Erfolge weit hinter ihren Hoffnungen zurückgeblieben sind. Sie kannten eben das Prinzip und die Verfahrungsart des christlichen Heilens nicht. Diese Kenntnis ging den Christen frühzeitig verloren, weil sie eine persönliche Anschauung von dem Erlöser hatten, ihn für ein übernatürliches Wesen hielten und seine Taten als der Weltordnung widerstreitend ansahen.
Der Verlust dieser Kenntnis bedeutete den Verlust eines wichtigen Bestandteils des Christentums Christi, welches nicht getrennt werden darf. Das Übel ist es, wegen dessen ein Erlöser nötig ist, und die Kraft, die das Übel überwindet, kann nicht auf einen Teil des Übels oder Irrtums beschränkt sein. Die erlösende Wahrheit darf man nicht teilen, weder im Prinzip noch in der Wirkung. Der Apostel Petrus bringt den richtigen Begriff vom Heilen zum Ausdruck, wenn er von Jesus sagt: „Der umhergezogen ist und hat wohlgetan und gesund gemacht alle, die vom Teufel überwältiget waren; denn Gott war mit ihm.”
Jahrhundertelang hat man eine begrenzte Form des Christentums für richtig gehalten. Der Glaube an Geist, Gott, war zum großen Teil materiellen Theorien und Methoden gewichen. Daß es eine Wissenschaft gibt, die sich mit Gott und Seinem geistigen Weltall befaßt, wurde bezweifelt und vielfach in Abrede gestellt. Man glaubte, Wissenschaft und Religion seinen einander fremd, seien unvereinbar. Selbst erklärte Christen hegten diese Ansicht, trotzdem Jesus die Kenntnis vom Wesen Gottes als das grundlegende Erfordernis des Christentums bezeichnete, und Wissenschaft nichts andres ist als nach gewissen Gesetzen geordnete Kenntnis.
Mary Baker Eddy
Da und dort gab es nichtsdestoweniger Familien und einzelne Menschen, die einen lebendigen Glauben an Gott hatten und die geistige Verursachung als eine gegenwärtige und höchst wichtige Tatsache erkannten. Eine solche Person war die Mutter Mary Baker Eddys, und in einer solchen Atmosphäre entwickelte sich Mrs. Eddy und genoß sie ihre Erziehung. Die Tatsachen über Mrs. Eddys Leben sind in ihrer von Sybill Wilbur verfaßten Biographie niedergelegt. Wer einen glaubwürdigen Bericht über den Lebenslauf einer berühmten Frau lesen will, wird dieses Buch sehr interessant und lehrreich finden. Ich werde nicht näher auf dasselbe eingehen, kann aber nicht umhin, aus demselben die Worte eines Mannes anzuführen, der Mrs. Eddy während ihrer Jugendjahre beobachtete. Von ihrem fünfzehnten Jahr an, bis sie in ihrem zweiundzwanzigsten Jahr in den Ehestand trat, wohnte sie in Tilton, New Hampshire, wo Pastor Enoch Corser, ein älterer Herr von umfassender Bildung, an der Kongregationalisten-Kirche stand. Er empfing sie in ihrem siebzehnten Lebensjahr als Glied seiner Gemeinde und traute sie später. Von ihm erhielt sie teilweise ihren Unterricht. Einstmals sagte dieser Pastor in bezug auf sie zu seinem Sohn in ernstem und äußerst bestimmtem Ton, der seine Worte unvergeßlich machte: „Ein aufgewecktes, gutes, edles, ja brillantes Kind! Ich habe noch nie eine Schülerin gehabt, die so tief und unabhängig dachte. Paß auf, die hat eine große Zukunft. Sie ist ein intellektuelles und geistiges Genie.”
Nach solch einer vielversprechenden Jugend entdeckte Mrs. Eddy in ihrem fünfundvierzigsten Lebensjahr die Christliche Wissenschaft und begann ihr großes Werk zum Wohl der Menschheit. Geistiges Wachstum und wissenschaftliche Errungenschaften hatten sie dazu befähigt, die göttliche Wirklichkeit zu erkennen und andern mitzuteilen. Sie war sich der Wichtigkeit der Christlichen Wissenschaft voll und ganz bewußt. Niemand sah den erlösenden Wert dieser Lehre so klar voraus wie sie. Somit hatte sie das volle Recht, sich die Entdeckerin dieser Wissenschaft zu nennen. Das einzige, was sie für ihre Arbeit zum Wohl der Menschen von der Allgemeinheit erwartete, war ein wahrheitsgetreuer Bericht über ihr Leben. Das einzige, was sie von ihren Nachfolgern forderte, war, daß sie ihre Entdeckung verwerten, die Erkenntnis von der echten, wirksamen Christlichen Wissenschaft bewahren und fördern sollten, so daß das sogenannte menschliche Gemüt im Guten wachsen möge, bis der Anspruch auf ein von Gott getrenntes Gemüt verschwindet. Es ist deshalb kein Grund vorhanden, Mrs. Eddy mit schwärmerischer Verehrung zu betrachten; hingegen haben die Menschen im allgemeinen und die Christlichen Wissenschafter im besonderen allen Grund, ihr die tiefste Dankbarkeit, die innigste Liebe und die größte Hochachtung zu zollen.
Als ein Entdecker auf dem Gebiete der Wissenschaft und als ein religiöser Führer hat Mrs. Eddy der Welt das unschätzbare Gut eines wahreren Begriffs von Gott und dem Menschen gegeben. Sie hat eine Selbsterkenntnis gelehrt, die zu unterscheiden weiß zwischen echten Gedanken, die von dem göttlichen Gemüt ausgehen, und den Täuschungen der materiellen Sinne, die in der Verkleidung von Gedanken erscheinen und das Übel ausmachen. Sie hat uns in eine mentale Praxis eingeführt, die diese Selbsterkenntnis umfaßt und die den Schüler befähigt, in steigenden: Maße die Gedanken Gottes zu erkennen, in Übereinstimmung mit denselben zu handeln und alles andre abzuweisen und im Bewußtsein zu vernichten.
Erlösung vom Übel ist von dieser Errungenschaft abhängig. Das Übel kann nur dann unser Wohl gefährden, wenn es in unsre Mentalität oder unser Bewußtsein eindringt Jesus lehrte, daß böse Gedanken den Menschen verunreinigen, und seine weiteren Worte nach Matthäus und Markus zeigen deutlich, daß der Mensch nur durch das, was aus dem Herzen oder Bewußtsein kommt, Schaden erleiden kann. Die folgenden Worte aus den Sprüchen Salomos sind wissenschaftlich: „Behüte dein Herz mit allem Fleiß; denn daraus gehet das Leben.” Solche Aussprüche lassen die Wichtigkeit einer wissenschaftlich-mentalen Praxis erkennen. Die Erscheinungsformen des Übels sind die Arten der sterblichen und materiellen Annahme. Die Bildfläche, wo sie erscheinen und verschwinden, ist das sogenannte menschliche Bewußtsein. Hier muß man dem Übel entgegentreten und es mit der Kraft des göttlichen Gemüts überwinden. Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen, weil Selbsterkenntnis und Selbstbeherrschung durch das Gesetz und die Macht Gottes zur gegenwärtigen Möglichkeit geworden sind. Mrs. Eddy sagt in bezug hierauf: „Wir haben nichts zu fürchten, wenn Liebe am Ruder des Denkens steht, sondern wir können uns an allem erfreuen, was auf Erden und im Himmel ist” („Miscellaneous Writings“, S. 113).
Absolute Wissenschaft
In den religiösen und philosophischen Systemen, die der Christlichen Wissenschaft vorausgingen, wurden Elend, Mangel und Unfälle als zur Weltordnung gehörig angesehen, während man unverdiente Leiden für unvermeidlich hielt und sich in dieselben schickte. In der kurzen Zeit, in der die Christliche Wissenschaft gelehrt und ausgeübt worden ist, hat sie im allgemeinen menschlichen Denken eine große Veränderung hervorgerufen. Ihre Ergebnisse zeigen sich in der Erfahrung derer, die diese Lehre angenommen haben, als Gesundheit, Langlebigkeit, erneuerter Lebenswandel, geistige Gesinnung und dergl. Eine stetig wachsende Zahl erkennt ihre göttliche Abstammung und ihre gottverliehene Herrschaft. Jeder Fall von Heilung, der durch das der Christlichen Wissenschaft zugrundeliegende Prinzip bewirkt wird, bringt uns der Erfüllung jener wissenschaftlichen Prophezeiung des Meisters näher: „Alle Pflanzen, die mein himmlischer Vater nicht pflanzte, die werden ausgereutet.”
Viel Mißverständnis entsteht dadurch, daß der Unterschied, den die Christliche Wissenschaft zwischen dem absoluten und dem wirklichen Sein und dem menschlichen oder sterblichen Begriff vom Sein macht, oft nicht verstanden wird. Wenn die sogenannte menschliche Natur (ein Gemisch von Gutem und Bösem) der wirkliche Mensch wäre, dann hätten wir keine Aussicht, wesentlich anders zu werden als wir jetzt zu sein scheinen. Hoffnung auf Erlösung wird nur durch die Tatsache gerechtfertigt, daß das Gute wirklich und ewig, das Übel aber unwirklich und zeitlich ist. Menschliches Tun und menschliche Zustände werden erst dann besser werden, wenn die Täuschung oder der Irrtum im menschlichen Bewußtsein dem wahren Denken weicht.
Das Übel ist das sterbliche oder materielle Element in dem sogenannten menschlichen Bewußtsein. Das falsche Bewußtsein scheint das wahre Denken zu verdunkeln. Es ist das, was sich für sündig, krank und sterblich hält. Daher besteht Erlösung vom Übel darin, daß man materielle Annahmen aufgibt und sich das geistige Verständnis oder das göttliche Bewußtsein aneignet. Jeder einzelne muß durch fortschreitende Selbstberichtigung sich Gott anpassen. Um dies tun zu können, ist ein absolutes Ideal als Ziel alles Strebens nötig. Der wahre Mensch hat die Eigenschaften seines Schöpfers; er spiegelt das göttliche Gemüt in all seiner Vollkommenheit wieder. Dies war es, was Jesus meinte, als er sagte: „Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist.”
Da das Übel nichts weiter ist als mentaler Irrtum, so muß das Mittel gegen dasselbe im Gemüt zu finden sein. Dieses Mittel ist universal und vollkommen und besteht in der durch das Denken zum Ausdruck kommenden Tätigkeit des göttlichen Gemüts, wodurch der Mensch „redet die Wahrheit von Herzen”, und befähigt wird, die Wirklichkeit und Obergewalt des Guten und die sich daraus ergebende Unwirklichkeit und Nichtigkeit des Übels zu erkennen und zu beweisen. Auf diese Weise „heilet” Gott „alle [unsre] Gebrechen” und richtet das Reich Gottes in uns auf. Das göttliche Prinzip oder Gemüt schafft ein wahres Bewußtsein. Der geistige Sinn, durch den der Mensch mit dem Gemüt verbunden wird, unterscheidet zwischen dem Bösen und dem Guten in einer Weise, die den Menschen veranlaßt und befähigt, das Böse zu verlassen und dem Guten anzuhangen.
Johannes sagt: „Denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt.” Mit andern Worten: „Wahre Gedanken, die ihren Ursprung im göttlichen Gemüt haben, offenbaren die Gegenwart, Tätigkeit und Macht Gottes, und überwinden Übel jeder Art. Diese geistigen Ideen sind die einzigen erlösenden Mittel. Sie besitzen die Kraft des Allmächtigen; sie sind „Gottes Finger”. Durch sie kann Er „überschwenglich tun ... über alles, das wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die da in uns wirket”.
Relativ ausgedrückt ist die wahre Idee der Wirklichkeit eine Tatsache, die man den materiellen Sinnen zum Trotz beweisen muß. Aber in der Wissenschaft ist die Übertragung der Gedanken von Gott auf den Menschen die normale, unaufhörliche Tätigkeit des göttlichen Gemüts, während das Empfangen dieser Gedanken die natürliche und notwendige Tätigkeit des Menschen ist. Die Einheit und Allheit des Gemüts, die Einheit Gottes und des Menschen schließt daher das Übel aus. Gott ist Gemüt —„ein Gott und ist kein andrer außer ihm.” Dies ist die absolute Wahrheit des Seins. Sie ist heute ebenso wahr, als da sie zum erstenmal ausgesprochen wurde.
Paulus sagte: „Habt einerlei Sinn, seid friedsam, so wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein.” Die Christliche Wissenschaft faßt diesen Gedanken in die Worte: Da wir die Widerspiegelung des einen unendlichen Gemüts sind, so ist der Gott der Liebe und des Friedens mit euch.
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