Durch die Bemühungen tiefdenkender und ernster Männer, die den Wert der in der Bibel enthaltenen Lehre zu würdigen wußten, ist diese Wahrheitsbotschaft in alle Sprachen der Welt übersetzt worden. Unter den Völkern, die keine Schriftsprache hatten, ist diese Lehre durch eigens erfundene Schriftzeichen verbreitet worden, die die Laute der gesprochenen Sprache wiedergeben. Die Frage entsteht nun: Worin besteht der Wert dieser Schriften? Weshalb werden sie so hoch gehalten und von allen Völkern auf Erden gelesen?
Unsre Heilige Schrift ist das Ergebnis der tiefen Betrachtungen und des Gebets derer, die als heilige Männer bezeichnet worden sind. In ihr finden sich auch die Aufzeichnungen über das Vorhersehen der Propheten, die völkische Fragen und Zustände besser verstanden als die Staatsmänner der damaligen Zeit, und die die Folgen der bestehenden Verwaltungsweise auf das Volk klar voraussahen. Es war ihnen möglich, die Zukunft der Völker und Reiche vorherzusagen. Ein bemerkenswerter Umstand bei den neuzeitlichen Ausgrabungen in geschichtlich ereignisreichen Ländern ist die Entdeckung von Aufzeichnungen auf Denkmälern, Tafeln usw., die das Wort der längst dahingegangenen Propheten bestätigen. In der Bibel haben wir auch die Offenbarung der Wahrheit durch diejenigen Seher, deren ausgebildetes geistiges Wahrnehmungsvermögen ihnen ein gewisses Verständnis für die „Tiefen der Gottheit” ermöglichte. Zudem bietet uns die Heilige Schrift eine überaus lebendige Lehrmethode.
Unser Meister lehrte eine Zeitlang nach Art der Rabbiner; dann kam aber eine Zeit, da er nur in Gleichnissen redete. Es sind noch einige Bruchstücke seiner mündlich erteilten Lehren vorhanden, sowie einige Sätze aus seinen Predigten und öffentlichen Ansprachen. Sind diese Aufzeichnungen auch bruchstückartig, so haben wir doch bei den Gleichnissen allen Grund zu glauben, daß sie uns vollständig erhalten geblieben sind. Dogmatische Lehren sind der Fälschung seitens derer ausgesetzt, die sie nicht verstehen und an den Worten Änderungen vornehmen, bis eine ihnen verständliche Sprache entsteht. Andrerseits ist eine lebendige Darstellung leicht zu behalten. Selbst wenn der Hörer den ihr zugrundeliegenden Sinn nicht versteht oder nicht die richtigen Folgerungen aus der Lehre zu ziehen weiß, so ist doch kaum anzunehmen, daß er die äußere Form der Erzählung ändern wird. Wir haben daher an den Gleichnissen und anschaulichen Erzählungen, deren sich Jesus bediente, eine Lehrform, die aller Wahrscheinlichkeit nach seine ursprüngliche Art der Darlegung enthält. Diese in Bildern dargestellte Lehre wird jetzt allmählich verstanden, und zwar in dem Maße, wie die Menschen, dem Beispiele Christi Jesu folgend, Demonstrationen vollbringen, wie sie von seinen Jüngern und den Urchristen als Beweis göttlicher Kraft vollbracht wurden.
Wir brauchen hier nicht näher aus die kanonischen Bücher einzugehen, oder zu erklären, wie man diese verschiedenen Schriften gesammelt hat und wie ihre Echtheit festgestellt worden ist. Für unsre Zwecke genügt es, wenn wir die darin enthaltene Lehre richtig bewerten. Es sei von vornherein bemerkt, daß es sich hier um Aufzeichnungen über das Leben von Menschen handelt, die zu verschiedenen Zeiten entweder durch tugendhaftes Wesen sich hervortaten, oder durch verfehltes Handeln die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenkten. Wenn aus den Bibelberichten alle Irrungen der Menschen entfernt und nur ihre Siege verzeichnet worden wären, so hätte die Lehre dadurch an Wert eingebüßt. In unserm gegenwärtigen Bewußtseinszustand ist es nötig, daß uns die guten wie die üblen Folgen unsres Tuns vor Augen geführt werden; und das Leben derer, die Fehler begangen und dieselben hernach bereut haben, dient uns zur Lehre und zur Warnung. Andrerseits übt die Geschichte derer, die Erfolge zu verzeichnen hatten, eine erhebende Wirkung auf uns aus, wenn wir ihre erfolgreiche Laufbahn in der rechten Weise betrachten. Sehen wir aber die, deren Größe in ihrer Güte lag, als Bevorzugte des Himmels an, denen, gleich Höflingen, die königlichen Güter und Reichtümer ausschließlich zugänglich waren, so gehen wir mit unsrer Vorstellung fehl. Erkennen wir hingegen, daß sie das ursächliche Prinzip erfaßt hatten und ihr Verständnis von demselben — von jener göttlichen Kraft, deren Erkenntnis und praktische Anwendung allen Menschen zusteht — nutzbar zu machen wußten, dann haben wir die richtige Anschauung.
Nur zu oft bleibt den Menschen der wahre Sinn von Inspiration verschlossen. Sie sprechen in bezug auf die Heilige Schrift von Inspiration und verstehen darunter gewisse formulierte und daher dogmatische Anschauungen betreffs der Bibel. Wenn von Inspiration die Rede ist, so sollten wir an Männer denken, die von dem Einfluß der göttlichen Intelligenz berührt wurden. In der zweiten Epistel des Petrus kommt die Art dieses Einflusses in den Worten klar zum Ausdruck: „Die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem heiligen Geist.” Wenn also die Verfasser der Heiligen Schrift durch den Einfluß des göttlichen Geistes himmlisch gesinnt wurden und ein klareres geistiges Sehvermögen erlangten, so darf man annehmen, daß derselbe Zustand der Erhebung und dasselbe Sehendwerden auch denen zuteil werden wird, die die Schrift verständnisvoll lesen.
Man denke z. B. an die innige Liebe des Paulus zu Timotheus, den er seinen „rechtschaffenen Sohn im Glauben” nennt. Er betont den Umstand, daß dieser Jüngling aus einem der Wahrheit ergebenen Geschlecht stammte und von Kindheit an mit der Heiligen Schrift vertraut war, die die Menschen „unterweisen” kann „zur Seligkeit”. Er spricht von dem „ungefärbten Glauben” seiner Mutter Eunike und seiner Großmutter Lois und würdigt die Tatsache, daß der Sohn bzw. Enkel dieser treuen Anhänger der Schriftlehre durch ihren Glauben und ihre Unterweisung gesegnet wurde. Sodann gibt er ihm in folgenden Worten einen Maßstab, nach welchem er den Wert der Schriften beurteilen konnte: „Denn alle Schrift von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung [oder Zurechtweisung) in der Gerechtigkeit, daß ein Mensch Gottes sei vollkommen zu allem guten Werk geschickt.”
Da der Zweck der Schrift der ist, Jünger der Gerechtigkeit zu gewinnen und sie in der Wahrheit zu unterweisen, so ist es klar, daß das Verfahren, Böses mit Gutem zu überwinden, auch näher dargelegt wird. Wir dürfen nicht erwarten, in der Bibel die Geschichte vollkommener Helden zu finden, wie Schauspieldichter und Romanschriftsteller sich dieselben ausdenken. Der Apostel Jakobus nennt einen der größten Propheten „einen Menschen”, der „gleichen Anfechtungen unterworfen” war, „wie wir” [Zürcher Bibel]. Ob er vollkommen war oder nicht, kommt hierbei weniger in Betracht als der Umstand, daß er die Macht und Wirksamkeit des Prinzips, das er verstand, bewiesen hat. Auch David wird oft in diesem Sinne genannt. Als er dem Irrtum verfiel, war er kein Mensch nach dem Herzen Gottes. Die Stärke seiner rechten Beweggründe kam durch Demut und Reue zum Ausdruck, nachdem er den Weg des Unrechts betreten hatte. Sein Bußpsalm hat Millionen von Menschen getröstet, die mit der Versuchung kämpften und sie zu überwinden suchten.
In der Bibel kommt ein Idealmensch zur Darstellung, nämlich Christus Jesus. Und dennoch war er nicht, wie die Helden der Sage, mit außergewöhnlichen und übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet, denn wir lesen, daß er „versucht” war „allenthalben gleichwie wir, doch ohne Sünde.” Er tat sein Werk wie ein Meister, unter dessen geübter Hand die Fehler des Anfängers nicht vorkommen. Doch mußte auch er lernen, und die Andeutung im Ebräerbrief, daß die göttliche Macht oder Gott, „durch den alle Dinge sind, der da viel Kinder hat zur Herrlichkeit geführet”, es für nötig fand, „den Herzog ihrer Seligkeit durch Leiden vollkommen” zu machen, weist hin auf den Gang der Unterweisung in der Gerechtigkeit, der Jesus zur Meisterschaft oder vollkommenen Herrschaft führte.
Es muß zugegeben werden, daß beim Predigen in vergangenen Zeiten die Bibel meistens wenn nicht ausschließlich als Unterlage benutzt wurde. Aber nicht immer hat das Predigen zur Folge gehabt, daß die Menschen in eine Gemeinschaft des Glaubens und Verständnisses gebracht wurden. Es bestehen Hunderte von Sekten, was zur Genüge den Mangel an Einheit beweist. Dennoch ist die Lehre der Heiligen Schrift in allen ihren Teilen übereinstimmend, und wenn die Menschen die Propheten so verständen, wie der Meister sie erklärte, dann würde ihre Einheit im Glauben und im Verständnis jetzt ebenso zum Ausdruck kommen, wie damals bei seinen unmittelbaren Schülern.
Es ist eine unbestrittene Tatsache, daß in unsern Tagen Tausende von Menschen durch Bekehrung von Sündern und Heilen von Kranken Beweise erbringen und Ergebnisse aufzuweisen haben, die den von den Aposteln vollbrachten Werken nahekommen. Diejenigen, die Ähnliches zu demonstrieren vermögen, müssen somit dieselbe Erkenntnis der Wahrheit erlangt haben, die die Jünger hatten. Folgende Worte Mrs. Eddys sind daher überaus zutreffend: „Jesus war nicht ordiniert, wie unsre Kirchen Pastoren ordinieren. Es sind keine Aufzeichnungen darüber vorhanden, daß er sich beim Predigen eines Konzeptes bediente. Er sprach in ihren Synagogen, las aus der Schrift vor und erklärte dieselbe; und Gott hat dem gegenwärtigen Zeitalter Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift gegeben, um Sein Wort zu erläutern” („Miscellaneous Writings“, S. 158).
Eine neue Ära begann für die Welt, als durch unsre Führerin die Art des öffentlichen Lehrens eingeführt wurde, die jetzt in den christlich-wissenschaftlichen Kirchen und Gemeinschaften gepflegt wird. Dieses öffentliche Lehren zerfällt in zwei Teile, nämlich in Unterricht und Bestätigung. Beim Lesen aus der Bibel in den Sonntagsgottesdiensten wird die von Heiligen und Aposteln hochgehaltene und bewiesene Wahrheit erklärt und den Zuhörern nahegebracht. Sodann wird diese Wahrheit durch die in den Stellen aus Wissenschaft und Gesundheit gegebene Auslegung in die Form gebracht, die zu ihrer praktischen Ausübung nötig ist. Der Zuhörer wird nicht nur gelehrt, wie er glauben, sondern auch wie er denken und handeln soll. Zur weiteren Ermutigung derer, die im Zweifel sein mögen hinsichtlich des Wertes der praktischen Ausübung, die mit dieser Lehre verbunden ist, bieten die Mittwochabend-Versammlungen Gelegenheit, von bestimmten Ergebnissen im Leben derer zu hören, denen durch die hier gelehrte Wahrheit Heilung zuteil worden ist. So mancher Zuhörer hat bei einem christlich-wissenschaftlichen Zeugnisabend an die Versammlungen der ursprünglichen Christen denken müssen, da sie sich zusammenfanden, um einander mit der freudigen Botschaft zu ermutigen, daß sie „das Gute des Herrn” zu sehen vermocht hätten „im Lande der Lebendigen.”
Jeder Mensch, der Liebe zu seinen Mitmenschen hegt, wird von dem Gefühl froher Hoffnung durchdrungen, wenn er den Erlösungsberichten teilnehmend lauscht, die bei diesen Zeugnisabenden abgegeben werden. Er wird die Aufrichtigkeit und Freude derer erkennen, die ihre Befreiung von mentaler, moralischer und physischer Krankheit verkünden. Und wenn er des Umstandes gedenkt, daß alle Reformen in individueller Sinnesänderung ihren Anfang nehmen, sich dann auf Vereinigungen von Menschen, also auf Völker erstrecken und schließlich Erdteile in ihren Kreis ziehen, so wird er auch erkennen, daß diese Erneuerung des Lebens des einzelnen eine weltweite Erlösung voraussehen läßt.
Das öffentliche Lesen der Heiligen Schrift ist nicht die einzige Verfahrungsart, die zum Verständnis der Bibel verhilft. Die Lektionen werden in einer Form geboten, die jedem einzelnen eine Gelegenheit gibt zum täglichen Studium der Bibel und der in Wissenschaft und Gesundheit gebotenen Auslegung. Man empfindet ein Gefühl der Erhebung, wenn man der Tausenden von Menschen in der ganzen Welt gedenkt, die täglich über dieselben Stellen aus der Heiligen Schrift nachsinnen und sich bemühen, die Auslegung der darin enthaltenen Wahrheit in einem wohltätigen Einfluß auf alle Menschen zum Ausdruck zu bringen. Es hat jemand treffend gesagt, die beste Bildung, die ein Mensch genießen könne, sei die selbsterworbene Bildung. Er kennt seine eignen Bedürfnisse am besten, und durch geduldiges Streben nach Tüchtigkeit erwirbt er nicht bloßes Wissen, sondern Weisheit.
Ein hingebendes und eingehendes Studium des Lehrbuchs der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, erklärt die Schrift zweifellos in einer Weise, die den Menschen nicht nur zur Weisheit hinsichtlich des künftigen Lebens verhilft, sondern auch hinsichtlich des gegenwärtigen. Verbunden mit der Weisheit findet sich auch stets das edelste und echteste Wohlwollen. Wie Verwandte durch Liebe vereint sind, so wird auch die Christliche Wissenschaft schließlich alle Menschen und Völker durch das Verständnis vereinen, daß Gott unser Vater ist, auf Erden wie im Himmel.
