Zwei Freundinnen pflückten an einem Sommernachmittag Seerosen. Die eine hatte sich schon längere Zeit mit der Christlichen Wissenschaft befaßt, der andern erschien ihre eigne, kurz zuvor erlebte Heilung noch wie ein Wunder. Da sie einander jahrelang nicht gesehen hatten, gab es viel zu erzählen. Sie hatten es daher mit dem Nachhausegehen nicht eilig, sondern ließen ihren kleinen Kahn im kühlen Schatten der weidenbehangenen Ufer ruhig dahingleiten und sprachen über den einen Gegenstand, der immer herrlicher wird, je mehr man sich in ihn vertieft.
Mit einem Male wich der frohe Ausdruck aus dem Gesicht der jüngeren Freundin, und es war zu sehen, daß trotz des Segens der Gesundheit, dessen sie teilhaftig geworden war, ihr noch manches Schwierigkeiten bereitete. „Ich möchte vorwärtskommen”, sagte sie, „ich möchte eine gute Christliche Wissenschafterin werden, möchte der Ortskirche und Der Mutter-Kirche beitreten, möchte andre heilen können und so fort. Wie kann ich aber in meiner jetzigen Lage erwarten, jemals etwas zu erreichen. Du kennst die Verhältnisse zu Hause und hast jedenfalls bemerkt, wie ablehnend sich Mutter verhält. Vater lacht immer nur, und die andern verhalten sich ganz teilnahmslos. Ich dachte, durch meine Heilung würden sie sich alle gleich für die Christliche Wissenschaft interessieren. Sie freuen sich natürlich, daß ich gesund bin, und geben zu, daß die Wissenschaft dies vollbracht hat, doch haben sie anscheinend gar keinen Wunsch, der Sache näherzutreten. Und je mehr ich davon rede, desto weniger ist mit ihnen anzufangen. Was kann ich unter so vielen ganz allein ausrichten?
„Ich verliere ganz und gar den Mut”, lauteten die Einwürfe des sterblichen Gemüts weiter. „Wenn ich nur in einer andern Umgebung wäre, würde ich schneller vorwärtskommen. Was nützt es mir aber, vorwärtskommen oder geistig zunehmen zu wollen, wenn alles wider mich zu sein scheint? Wie kann ich in meiner gegenwärtigen Lage erwarten, je etwas zu erreichen?”
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