Eine der mehr oder weniger regelmäßig wiederkehrenden und daher ziemlich stark abgenutzten Einwendungen gegen die Christliche Wissenschaft ist die, daß es unchristlich, ja beinahe gotteslästerlich sei, wenn die Anhänger dieser Lehre behaupteten, daß in unsern Tagen die Kranken so geheilt werden könnten und tatsächlich so geheilt würden, wie vor neunzehnhundert Jahren „allerlei Seuche und Krankheit im Volk” durch Jesus geheilt wurden.
Diese Kritik beruht zum großen Teil auf der Annahme, daß die Heilkraft, welche der Meister ausübte, eine ihm vom himmlischen Vater besonders verliehene Gabe sei, und daß er sie nur auf diejenigen übertragen habe, die persönlich mit ihm in Berührung kamen, insbesondere auf „die Zwölfe” und „die Siebenzig,” die seine unmittelbaren Nachfolger waren. Diese Annahme wird durch die Erklärung des Meisters widerlegt, daß die Zeichen, die er tat, „folgen werden denen, die da glauben.” Es gibt jedoch noch andre Beweise, daß es ein Irrtum ist, zu glauben, die Kraft des Heilens sei nur einigen wenigen zuerteilt worden. Der Apostel Paulus kam erst später aus das Feld der christlichen Tätigkeit; und doch wird ihm gewiß niemand die Heilkraft absprechen, die er, den Berichten des Neuen Testaments zufolge, in so vielen Fällen bewies.
Ferner ist aus den Schriften der Geschichtsschreiber und Kirchenväter deutlich zu ersehen, daß bis weit ins dritte Jahrhundert hinein das Heilen der Kranken und selbst das Erwecken der Toten als das Ergebnis eines christlichen Lebenswandels und des christlichen Gebets angesehen wurde. Justinus, der Märtyrer, sagte zu den Gegnern des Christentums: „Und nun könnet ihr aus dem ersehen, was unter euren eignen Augen geschieht, daß es in der ganzen Welt und in eurer eignen Stadt zahllose Besessene gibt, die geheilt worden sind und geheilt werden durch viele unsrer Christen, die sie im Namen Jesu Christi beschwören, welcher unter Pontius Pilatus gekreuzigt wurde, und daß die Teufel aus den Menschen getrieben und hilflos gemacht wurden, obgleich diese Menschen von all den andern Beschwörern und von denen, die Zauberformeln und Arzneimittel gebrauchten, nicht geheilt werden konnten.”
Von Irenäus, der vom Jahre 120 bis 202 nach Christi Geburt lebte, haben wir in bezug auf das christliche Heilen und dessen Ausübung während seiner Zeit folgende Worte: „Wieder andre heilen die Kranken durch Händeauflegen, und sie werden gesund. Ja noch mehr, wie ich schon gesagt habe, selbst die Toten wurden erweckt und sind viele Jahre lang bei uns gewesen.” Origenes schrieb von dem Heilungswerk, das von den Christen seiner Zeit betrieben wurde: „Der Name Jesu kann immer noch bei den Menschen Geistesstörung beseitigen, Teufel austreiben und Krankheiten heilen.”
Der Glaube, daß das christliche Heilen für eine kleine Anzahl Menschen bestimmt gewesen sei, denen es vergönnt war, mit dem Meister in persönlichem Umgang zu stehen, wird somit nicht nur durch die Bibel sondern auch durch spätere historische Schriften widerlegt. Daß Mrs. Eddy dieses Heilungswerk wieder eingeführt hat, und daß diejenigen, die ihre Lehren angenommen haben, die Werke tun, von denen der Meister sagte, sie sollten in seinem Namen getan werden, ist eine Tatsache, die leicht festgestellt werden kann, und sie wird daher jetzt von vielen zugegeben, die noch vor wenigen Jahren nicht glauben konnten, daß solche Dinge in unsern Tagen möglich seien. Solche, die das Heilungswerk der Christlichen Wissenschaft nicht dem unsres Wegweisers gleichstellen wollen, seien darauf hingewiesen, daß Jesus erklärte, er sei nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, sondern es zu erfüllen, und durch dieses Erfüllen brachte er ein allgemeines Gesetz zur anschaulichen Erkenntnis.
Jesus darf nicht als ein Mensch angesehen werden, dem außergewöhnliche Heilkraft zuerteilt wurde. Er war, wie Mrs. Eddy aus Seite 589 von Wissenschaft und Gesundheit sagt, „der höchste menschliche, körperliche Begriff von der göttlichen Idee, die den Irrtum rügt und zerstört und die Unsterblichkeit des Menschen ans Licht bringt.” Als „lieber Sohn,” an welchem der Vater „Wohlgefallen” hatte, war er in reicherem Maße mit der Erkenntnis Gottes ausgestattet als seine Mitarbeiter, und er erkannte es als seine Aufgabe, diese Erkenntnis der ganzen Menschheit mitzuteilen. Er schuf nichts Neues, sondern verscheuchte einfach den Nebel der Unwissenheit mit dem Lichte der Wahrheit.
Die Urchristen wurden durch ihren gerechten Lebenswandel, durch ihre rechte Idee von Gott befähigt, die Falschheit der Vorstellung, daß Gott der Urheber von Krankheit oder einem andern Übel sei, deutlich zu erkennen, und dieser erleuchtete Sinn bewirkte ihre Heilung. Derselbe erleuchtete Sinn, den uns die Christliche Wissenschaft wiedergebracht hat, heilt und erneuert die Menschheit in unsern Tagen. Die Christlichen Wissenschafter liefern fortwährend den Beweis, daß dieses Heilen nicht ein besonderes Vorrecht ist, sondern allen freisteht, die die wahre Gotteserkenntnis erlangt haben.