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Der rechte Gesichtspunkt

Aus der Juli 1916-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Nicht der menschliche Wille, nicht gesetzliche Bestimmungen verschaffen der Wahrheit Geltung, sondern Ergebnisse oder Beweise. Als man beim Erforschen des Weltenraumes von der Voraussetzung ausging, daß die Erde stillstehe und die Sonne sich um sie bewege, war die Astronomie für den Fortschritt der Menschheit eher ein Hindernis. Je eifriger ein Mensch sie betrieb und von obiger Voraussetzung aus Beobachtungen machte, desto verwirrter mußte er werden, und desto unlösbarer schien das Rätsel, vor dem er stand. Es gab keinen einheitlichen Plan, der allem zugrunde lag; alles stützte sich auf Erfahrungswissen, auf Theorien, alles war bruchstückartig, verworren und wurde in mehr dogmatischer als wissenschaftlicher Weise gelehrt. In der Gelehrtenwelt war man sich nicht einig, persönliche Ansichten herrschten vor, und es kam zu scharfen Konflikten. Für das, was als Wahrheit dargeboten wurde, ließen sich keine Beweise erbringen.

Die Sätze, die der berühmte griechische Astronom Ptolemäus aufgestellt hatte, galten für richtig, obschon sie nicht bewiesen waren. Willkür trat an Stelle der Demonstration. Und doch müssen Tausende, die gelehrt worden waren, die Sonne drehe sich um die Erde, die Richtigkeit dieser Anschauung in Frage gestellt haben. Mit der Zeit trat denn auch der Fehler zutage; es stellte sich heraus, daß er das Ergebnis eines falschen Standpunktes war. Kopernikus war der mutige Forscher, der sich mit der neuen Theorie hervorwagte, die Sonne sei der Mittelpunkt, um den sich die Erde und die Planeten drehten. Zur Lösung der sich bietenden Schwierigkeiten mußte der Sternenhimmel von diesem Gesichtspunkt aus beobachtet werden. Worin bestand nun der Beweis für die Richtigkeit des einen und die Unrichtigkeit des andern Gesichtspunktes? In den Ergebnissen. Das Firmament war nun nicht mehr etwas Unverständliches, Rätselhaftes, denn alle bis dahin geltenden irrigen Annahmen schwanden und machten der besseren Erkenntnis Platz. Verschiedenerlei Ergebnisse rein praktischer Art, Ergebnisse, die auf das tägliche Leben Bezug hatten, folgten als greifbarer Beweis dafür, daß der neue Gesichtspunkt der richtige war.

Nun verstand man die Ursache von Tag und Nacht, von klimatischen Unterschieden. Man stellte die Geschwindigkeit des Erdlaufs sowie die Schwere, Größe und Gestalt der Erde fest und teilte diese in Längen- und Breitengrade ein. Man erkannte das Wesen der Mond- und Sonnenfinsternis, der verschiedenen Mondphasen, wies die Länge des Sonnenjahres nach und machte viele andre wunderbar genaue Berechnungen, wie sie in unsern Kalendern und Lehrbüchern über Astronomie zu finden sind. Dies alles ließ erkennen, daß man sich dem Ziel in der rechten Weise näherte. Die Seeleute konnten die Richtigkeit und daher den praktischen Wert des von Kopernikus vertretenen Standpunktes beweisen. Selbst auf dem Gebiet der Uhrmacherkunst machte sich die neue Entdeckung fühlbar, denn es war nunmehr eine genaue Zeitbestimmung möglich, nach welcher alle Uhren reguliert werden konnten.

Die neue Entdeckung machte sich, ganz abgesehen von der durch sie herbeigeführten Umwälzung auf dem Gebiete der Astronomie, auch im Alltagsleben der Menschen in jeder Weise fühlbar. Allenthalben wirkte der neue Standpunkt aufklärend und befreiend, er wurde durch die erzielten Resultate gerechtfertigt, er bedeutete einen Aufschwung, mehr Licht und Freiheit. Er war kein Ausdruck des Eigenwillens, kein Sichauflehnen seitens einiger übelgesinnter Menschen, die etwa einen Vernichtungskampf gegen die Astronomie vorhatten. Solcher Art war aber die Ansicht, die gewisse fromme Hüter des ptolemäischen Lehrsystems, welches so lange auf Grund der Tradition gelehrt und angenommen worden war, gegenüber dem neuen Standpunkt vertraten. Als das neue System allmählich verstanden wurde, schwand alles Interesse für das alte, nach Ptolemäus genannte geozentrische System. Die alte Lehre konnte sich eben nicht halten gegenüber der neuen, weil diese so viele Resultate als Beweis ihrer Richtigkeit aufzuweisen hatte.

All dies stimmt genau mit den jüngeren Ereignissen auf dem religiösen Gebiet überein. Jahrhundertelang haben die Christen ihr ptolemäisches System gehabt, nämlich die schulmäßige Theologie. Sie begann während derselben Jahrhunderte wie das ptolemäische System sich Geltung zu verschaffen und erklärte, zwischen dem Geistigen und dem Materiellen, zwischen dem Sterblichen und dem Unsterblichen bestehe ein Zusammenwirken, diese Gegensätze lösten einander ab und hätten eine gemeinsame Ursache. Von diesem Gesichtspunkte aus leitete die Scholastik die angebliche Wirklichkeit von Gegensätzlichkeiten her, die Wirklichkeit von Leben und Tod, Krankheit und Gesundheit, Himmel und Hölle, von Engeln und Teufeln, mit einem Wort, vom Guten und Bösen. Sie erklärte, diese Dinge seien alle auf einen Urgrund zurückzuführen. Allenthalben führte dieses System zu Konfusion, Streit, Verfolgungen und Schwierigkeiten ohne Ende. Seinen Lehren zufolge war Erlösung oder Befreiung vom Übel etwas Geheimnisvolles, Mystisches, etwas, was nur den Auserwählten zukam.

Die Folge war, daß die Furcht vor endloser Strafe einen größeren Einfluß auf die Menschen ausübte und dadurch mehr Schaden anrichtete als die anerkannte Lehre im praktischen Leben Gutes bewirken konnte. Es fehlte der Theologie ein wichtiges Element. Hier und dort traten denn auch erleuchtete Menschen auf, die einen klareren Begriff vom Wesen der Theologie hatten, die sie als die universelle Wissenschaft oder die Mutter aller Wissenschaften erkannten. Obwohl nun diese Reformatoren in der Neugestaltung der Schulgelehrsamkeit Beträchtliches leisteten, so war doch die Aufgabe damit noch lange nicht gelöst, und es folgten weitere Spaltungen und Wirrnisse. Tausende von tiefdenkenden Menschen widmeten ihr Leben der Entdeckung des fehlenden Elements, das zur Ordnung des Wirrsals theologischer Anschauungen führen sollte. Ganze Bibliotheken bezeugen den Riesenfleiß, welcher aufgewandt wurde, um der Konfusion ein Ende zu machen und das herrschende Dunkel zu verscheuchen.

Wie nun ein Mensch erscheinen mußte, der die Falschheit des Sinnenzeugnisses bezüglich der Astronomie, der scheinbaren Bewegung der Sonne und des scheinbaren Stillstandes der Erde erkannte, so mußte auch für die Theologie (die absolute Kenntnis Gottes und Seiner Schöpfung) jemand kommen, der bereit war, das Zeugnis der Sinne über die Existenz, die Wirklichkeit und das Wesen der Materie zu verneinen, jemand, der konsequent und beharrlich an dem Satz festhielt, daß Gott Geist und Sein Weltall geistig ist, und der dadurch zu der beweisbaren Erkenntnis gelangte, daß, was die Sinne Materie nennen, keine wirkliche Existenz besitzt, weil allein das Geistige wirklich ist. Mrs. Eddy gebührt das Verdienst und die Auszeichnung, bis zu diesem Punkt vorgedrungen zu sein und das Mittel zur Lösung der bestehenden theologischen Schwierigkeiten gefunden zu haben. Durch ihr selbständiges Forschen nach Wahrheit und ihre Lebenserfahrungen erreichte sie eine Stufe geistiger Erkenntnis, deren Richtigkeit durch Werke so überzeugend zum Ausdruck kam, daß sie nicht bestritten werden konnte.

Auf ihre Entdeckung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen Bezug nehmend, schreibt Mrs. Eddy auf Seite 119 von Wissenschaft und Gesundheit: „Gott ist das natürlich Gute; Er wird nur durch die Idee der Güte dargestellt, während das Böse als unnatürlich angesehen werden sollte, weil es der Natur des Geistes, der Natur Gottes, entgegengesetzt ist.” Und weiter: „Wie die Astronomie die menschliche Wahrnehmung von der Bewegung des Sonnensystems umkehrt, so kehrt die Christliche Wissenschaft die scheinbare Beziehung von Seele und Körper um und macht den Körper dem Gemüt untertan.” Auf Seite 121 sagt sie: „Aber der Mensch, der ohne die Erläuterung der Wissenschaft den Hypothesen des materiellen Sinnes überlassen bleibt, ist wie ein wandernder Komet oder wie ein verödeter Stern, ‚ein müder Wanderer, der aussichtslos nach einer Heimat sucht‘.” Wiederum lesen wir auf Seite 108: „Meine Entdeckung, daß das irrende, sterbliche Gemüt, fälschlicherweise Gemüt genannt, den ganzen Organismus und die ganze Tätigkeit des sterblichen Körpers hervorbringt, regte meine Gedanken an, in neuen Kanälen zu arbeiten und führte mich zu meiner Demonstration des Satzes, daß Gemüt Alles ist, und daß die Materie nichts ist, als zu dem Hauptfaktor in der Gemüts-Wissenschaft.”

Nachdem Mrs. Eddy den richtigen Standpunkt zur Erlangung bestimmter geistiger Kenntnisse eingenommen hatte, bewies sie, daß das Zeugnis der fünf persönlichen Sinne in der Theologie ebenso trügerisch ist, zu ebenso falschen Folgerungen führt und daher eine ebenso unsichere Stütze ist wie ihr Zeugnis in der Astronomie; denn diese Sinne zeugen ebensowenig für die Wahrheit über Gott und die Schöpfung, einschließlich des Menschen, wie sie für die Wahrheit über die Bewegungen der Himmelskörper zeugen. Ihr Zeugnis muß daher berichtigt werden, ehe man zu genauen Schlüssen gelangen und die Wahrheit feststellen kann. Den wahren Gesichtspunkt nicht kennen, heißt Gott verehren, ohne Ihn zu kennen. Durch Mutmaßen kommt man aber in der Religion ebensowenig weiter wie in der Mathematik.

Daß Mrs. Eddy den einzig richtigen Gesichtspunkt entdeckt hat, von dem aus die Religion, das wahre Christentum, richtig und wirksam ausgeübt werden kann, ist an der Umwandlung zu sehen, die im Leben so vieler Menschen stattgefunden hat. Von diesem Gesichtspunkt aus werden Unwissenheit und Disharmonie, Furcht und Krankheit verscheucht und theologische Streitfragen entschieden. Die Herzen der Menschen erweichen, gesündere Zustände treten ein und alles Streben nach Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Ehrenhaftigkeit, Demut und Liebe wird gefördert.

Mrs. Eddy hat somit der Menschheit einen Dienst erwiesen, den diese in dem Verhältnis würdigen wird, wie sie ihn verstehen lernt und die sich daraus ergebenden Vorteile praktisch anwendet. Dieser Dienst ist unendlich größer als der von Kopernikus geleistete, denn die Kenntnis von Gott ist absolute Kenntnis, während die der Astronomie letzten Endes doch nur Beobachtungen auf einem begrenzten Erkenntniskreis umfaßt und einer weiteren Erklärung bedarf. Mrs. Eddy hat einen Gesichtspunkt vertreten, der jetzt immer mehr anerkannt wird und zu dem sich sowohl tiefdenkende Menschen als auch solche bekennen, die physische Heilung suchen und finden und dadurch den Beweis erlangen, daß das Aufhören von Disharmonie während des sterblichen Daseins möglich ist.

Ein wenn auch noch so geringer praktischer Erfolg als Beweis dafür, daß ein Gesetz verstanden wird, ist mehr wert als die abstrakten Philosophien aller Zeiten, welche es an Werken fehlen lassen. Als Nikodemus zu Jesus kam, gab er ohne weiteres hierfür den Grund an mit den Worten: „Wir wissen, daß du bist ein Lehrer von Gott kommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die Du tust, es sei denn Gott mit ihm.” Fast alle Reformatoren haben den großen Fehler begangen, sich über die Sünde zu ereifern, sie mit Gewalt zu bekämpfen und den Sünder zu schmähen, in der Annahme, er werde dadurch gebessert. Eine Theologie nun, die da lehrt, daß die Wahrheit das Heilmittel für den Irrtum ist, bedarf zum Werk der Besserung keiner solchen persönlichen Methoden. Der Gründer des Christentums sagte, seine Lehre unterscheide sich von den heidnischen Lehren dadurch, daß die Werke, die er tat, den Beweis für die Wahrheit dieser Lehre bildeten.

Gibt es eine bessere Widerlegung der alten, schulmäßigen Theorie, daß Religion etwas Geheimnisvolles sei, d. h. ein Gebiet, dessen Gesetze nicht gründlich verstanden oder nicht mit derselben Gewißheit zur Erlangung bestimmter Resultate angewandt werden könnten wie bei den andern sogenannten Wissenschaften — gibt es dafür eine bessere Widerlegung als die Heilungen, die täglich durch die Christliche Wissenschaft vollbracht werden? Solche Wirkungen sind ein Zeichen wahrer Religion, sie sind Bekundungen der Allmacht der Wahrheit.

Als die Verfasserin von Wissenschaft und Gesundheit mit der Erklärung vor die Welt trat, Theologie sei Wissenschaft, exakte Wissenschaft, und ihrer Behauptung die erforderliche Unterweisung folgen ließ, d.h. andern die Mittel an die Hand gab, die Wahrheit ihrer Behauptung zu beweisen, stellte sie die Religion über das rein Empirische, über das Unbestimmbare, Geheimnisvolle. Sie bewies, daß das Christentum etwas andres ist als ein auf Vermutungen gegründetes Streben — etwas andres als unsichere, auf kein klares Ziel gerichtete Bemühungen. Dahin war es von der Schulgelehrsamkeit ausgelegt worden. Mrs. Eddy räumte ihm wieder den Platz ein, der ihm von seinem ersten Ausleger, Jesus dem Christus, zuerkannt worden war, und forderte Werke zum Beweis seiner Echtheit. Jesu Worte: „So jemand will des Willen tun, der wird innewerden, ob diese Lehre von Gott sei, oder ob Ich von mir selbst rede,” stehen im Einklang mit der Christlichen Wissenschaft, derzufolge alle Wahrheit demonstrierbar ist und deren wichtigste Anforderung darin besteht. Gott wahrhaft zu erkennen.

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