Es liegt im Wesen des endlichen Gemüts, Pläne für die Zukunft zu machen und den Gang und die Gestaltung der Dinge vorherbestimmen zu wollen. Eine Kenntnis dessen, was ihm für morgen bevorsteht, erscheint ihm notwendig, um heute vorgehen zu können. Diese Neigung entsteht aus einem Mangel an höherer Einsicht und Fähigkeit; sie ist das Ergebnis einer materiellen Auffassung von Ursache und Wirkung. Die Erkenntnis, daß es einen Urgrund, eine erste Ursache geben muß, die durch sich selbst besteht, führt zu der weiteren Erkenntnis, daß diese Ursache ein einziges, unendliches, allerhabenes, unwandelbares und in sich selbst abgeschlossenes Ganze ist. Hieraus folgt, daß alle wahre Tätigkeit die Wirkung dieser Ursache sein muß, und daß jegliche bestimmende und gestaltende Kraft allein von dieser Ursache ausgehen kann und nicht in der Wirkung liegt. Wenn die Wirkung einen selbstbestimmenden Einfluß ausüben könnte, so wäre sie ihrem Charakter nach ursächlich. Dies ist, wissenschaftlich gesprochen, unmöglich.
Die Erkenntnis, daß Gott der Urgrund, die einzige Ursache ist, bildet die Grundlage wissenschaftlichen Vertrauens. Sie bringt die Gewißheit mit sich, daß die Wirksamkeit oder der Ausdruck der einen unwandelbaren Ursache ewig fortdauern muß. Diese Gewißheit entsteht nicht im menschlichen Gemüt; sie ist die Folge der Erkenntnis des göttlichen Gemüts. Das Wesen Gottes verstehen heißt, auf Gott vertrauen. In Wissenschaft und Gesundheit (S. 286) sagt Mrs. Eddy: „Das Verständnis der Wahrheit verleiht volles Vertrauen zur Wahrheit.”
Man hört viel über Gottvertrauen reden. Wie viele von uns kennen aber die wirkliche Bedeutung dieses Wortes? Manche erwarten in blindem Vertrauen. Gott werde Pläne zur Ausführung bringen und Wünsche verwirklichen, die nach ihrem Ermessen recht und gut sind. Sodann gibt es ein sogenanntes Vertrauen, das im Grunde genommen nichts weiter ist als ein hilfloses Sichfügen angesichts einer höheren Macht. Gotteserkenntnis ist die einzige Grundlage des vernunftgemäßen Vertrauens und wahren Betens. Die alte Art des Betens, die im Bitten um Erfüllung menschlicher Wünsche und Zwecke besteht, muß dem wissenschaftlichen Gebet, dem Gebet der geistigen Erkenntnis, weichen. Dieses Gebet entspringt dem Bewußtsein, welches als Ausdruck der göttlichen Weisheit Gott kennt — dem Bewußtsein, in welchem die Erkenntnis herrscht, daß alle bestimmende und gestaltende Macht Gott gehört. Kein menschliches Planen oder Vorausbestimmen, kein menschliches Begehren findet Raum in dem Gebet, das die Erkenntnis der Allwissenheit und Allmacht Gottes zur Grundlage hat.
Wenn ein Sterblicher empfindet, daß seine eignen Begriffe von Recht und Unrecht unsicher und unklar sind, so wendet er sich in der Regel um Rat und Hilfe an einen andern Sterblichen, dessen Weisheit und Urteilskraft er für höher hält als die eigne. Seit frühester Zeit hat die Neigung vorgeherrscht, sich von andern den rechten Weg zeigen zu lassen. Der Apostel Paulus wurde fortwährend um menschlichen Rat angegangen, in Fragen des Ehestands und der Scheidung, über Beschneidung, Essen und Trinken, über Lebensführung und Verhalten gegenüber andern religiösen Gemeinschaften, und über vieles andre.
Die arme Menschheit wußte nichts besseres zu tun als sich wegen Führung aus Menschenweisheit zu verlassen. Endlich erschien die Christliche Wissenschaft mit der Botschaft, daß es einen ewigen, unkörperlichen Erlöser gibt, einen Tröster, der, wie Jesus sagte, die Menschheit „in alle Wahrheit,” zum absoluten Guten führt, denn „er wird nicht von ihm selber reden,” d. h. er wird keine menschliche Persönlichkeit sein. Durch die Offenbarung Gottes als Gemüt und des Menschen als der Idee des Gemüts wird es klar, daß die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen keinem Wandel unterworfen ist, und daß die Idee, der Mensch, auf immer vom Gemüt beherrscht wird. Diese geistige Erkenntnis ist des Menschen ewiger Führer; „er heißt Wunderbar, Rat.” Mit Personen oder persönlichen Anschauungen hat er aber nichts gemein.
Die Christliche Wissenschaft beseitigt die Vorstellung, daß zwischen Gott und dem Menschen Schranken beständen. Sie offenbart Gott als allgegenwärtiges Gemüt, das durch die Ideen erkannt werden kann, durch die es zum Ausdruck kommt. Über der göttlichen Weisheit und göttlichen Führung steht kein menschlicher Wächter. Der Mensch braucht die erwartete Antwort nicht durch einen Vermittler entgegenzunehmen; er kann sie unmittelbar von Gott empfangen. Die Erkenntnis, daß es eine Antwort von Gott gibt, die gänzlich frei ist von endlicher, menschlicher Anschauung, läßt den langersehnten Frieden in so manches ringende Herz einziehen, das früher in seiner Unkenntnis über Gott und den Menschen nicht wußte, wie es die menschliche Anschauung aus der Wagschale nehmen und dem Prinzip die Herstellung des Gleichgewichts überlassen sollte. Jede menschliche Anschauung in bezug auf das Rechte und Gute ist bestenfalls ein schwaches Rohr zur Stütze. Dieses Sichverlassen auf menschliche Meinungen und menschlichen Rat muß durch wissenschaftliches Vertrauen auf den absoluten und vollkommenen Führer, das göttliche Gemüt, ersetzt werden. Ferner muß die Erkenntnis vorhanden sein, daß dieses Gemüt und seine Ideen allgegenwärtig sind und von allen Menschen ohne Unterschied unmittelbar erkannt werden können. Sie sind die „Engel Seiner Gegenwart” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 512) und werden die menschlichen Schritte lenken.
Das Verlangen des menschlichen Gemüts nach der Kenntnis des ihm Bevorstehenden zeigt sich unter anderm in seinem Streben, etwas Bestimmtes über das zukünftige Leben zu erfahren. Der Wunsch, schon jetzt zu wissen, ob wir uns gegenseitig kennen oder uns früherer Beziehungen und Verhältnisse erinnern werden, sowie unzählige andre Fragen haben viel Grübeln und viel Unruhe verursacht. Die Antwort ist aber immer dieselbe geblieben, nämlich, solche Fragen könnte niemand beantworten, sie müßten unerforschliches Geheimnis bleiben. Und solange die gegenwärtige materielle Vorstellung vom Leben und vom Menschen die Grundlage des Denkens und Glaubens bildet, wird dieses Geheimnis auch weiterbestehen. Die Christliche Wissenschaft offenbart das wahre Wesen des Lebens und des Menschen; sie macht klar, daß beide jetzt und immerdar der Ausdruck des unendlichen Geistes sind, und daß die Einteilung in gegenwärtiges und zukünftiges Leben nur einem falschen materiellen Sinn vom Menschen entspricht. Dieser irrigen Anschauung zufolge hat die Hoffnung auf eine künftige Welt dieselbe Grundlage wie die Hoffnung in der gegenwärtigen.
Alle falschen Vorstellungen, aus denen sich der sterbliche Mensch zusammensetzt, müssen früher oder später den wahren Ideen weichen, die den wirklichen Menschen ausmachen. Die irrige Sinnenvorstellung ist dem Wandel unterworfen; die Wahrheit aber und ihr Wirken sind unveränderlich. Materielle Anschauungen, Vorstellungen und Theorien fahren lassen und die wahren Ideen suchen, dies bringt uns den Trost eines Glaubens, dessen Grundlage wissenschaftliche Erkenntnis ist. Welche Freude ist es doch, zu wissen, daß jede wahre Idee, die wir erlangen, auf ewig unser ist, daß sie niemals aus unserm Bewußtsein entschwinden, niemals von der dem Wechsel unterworfenen materiellen Vorstellung berührt werden kann! Wir lassen ab vom bangen oder neugierigen Erwarten und verbleiben in der freudigen Gewißheit, daß die Christus-Idee auf immer erkennbar und beweisbar ist, und daß der Erlöser, der uns zur gegenwärtigen Stunde beschützt und führt, jederzeit für uns sorgen wird, in welcher Lebenslage wir uns auch befinden mögen. Die einzige Vorbereitung für die Zukunft ist die Erkenntnis und Demonstration der Wahrheit in der gegenwärtigen Erfahrung.
In der christlich-wissenschaftlichen Praxis findet die menschliche Neigung zum Planen uns Entwerfen keinen Platz. Die Unterscheidungslinie zwischen der geistigen Wirklichkeit und der falschen sterblichen Vorstellung muß klar erkannt werden. Sodann muß man an der geistigen Idee festhalten. Die sterbliche Vorstellungswelt bleibt immer materiell, denn die Materie liegt allen Sinnesvorstellungen zugrunde. Die Einteilung in Geist und Materie seitens des sterblichen Gemüts beruht nur auf der Vorstellung dieses Gemüts von sich selbst, denn das göttliche Gemüt kennt keinen solchen Unterschied. Das Hinzutreten einer menschlichen Vorstellung, mag sie sich selber noch so gut vorkommen, bedeutet nur ein Hindernis bei der Ausübung der Christlichen Wissenschaft und läßt deren Wirken nicht voll zur Geltung kommen. Im menschlichen Gemüt, das sich von den Hilfsmitteln des Gottesmenschen nur eine beschränkte Vorstellung macht, entsteht leicht Furcht. Wenn das erwünschte Gute nicht auf eine Art und Weise kommt, die der endliche Sinn wahrnehmen kann, so verfällt dieses Gemüt leicht dem Zweifel und der Entmutigung.
Die Erkenntnis, daß Gott unendliche Ursache ist, bringt die Gewißheit unendlicher Fähigkeiten mit sich sowie das Bewußtsein von dem Vorhandensein so zahlreicher Mittel und Wege, wie es Sand am Meere gibt. Sie ist ein sicheres Mittel gegen Zweifel und Entmutigung. Jeder Wunsch, mit begrenzenden, menschlichen Plänen dazwischenzutreten, weicht, und an seine Stelle tritt die frohe Bereitwilligkeit, der unwandelbaren Weisheit die Art und Bestimmung ihres Wirkens zu überlassen.
Sonderbar ist nur, daß die Sterblichen auch dann noch an ihren irrigen Vorstellungen festhalten, nachdem ihnen dieselben gar mancherlei Enttäuschung gebracht haben, und nachdem es ihnen klar geworden ist, daß ihre einzige Hoffnung auf Gesundheit und Freude in der Befreiung von diesen falschen Vorstellungen liegt. So sehen wir bisweilen Menschen, die da behaupten zu wissen, daß ein bestimmter menschlicher Zustand, den sie für gut halten, eintreten werde. Allerdings sagte Jesus im Anschluß an seine Rede, daß durch die Gotteserkenntnis Berge versetzt werden könnten: „Darum sage ich euch: Alles, was ihr bittet in eurem Gebet, glaubet nur, daß ihr’s empfahen werdet, so wird’s euch werden.” Aber vom geistigen Standpunkt aus betrachtet kann dieser wundervolle Ausspruch nur heißen, daß das Gebet des Glaubens dem geistigen Bewußtsein entspricht, und daß der Mensch als das Bild Gottes alles besitzt. Leider sind diese Worte oft so ausgelegt worden, als solle man sich selbst oder einen andern als im Besitz des gewünschten materiellen Gegenstandes denken, in der Erwartung, daß sich diese Vorstellung als Materie veräußerlichen werde. Dies ist eine Entstellung der wahren Bedeutung der Worte Jesu. Nichts ist von der mentalen Wirkungsart des wahren Gebetes und von wahrer christlich-wissenschaftlicher Praxis weiter entfernt. Solange sich das menschliche Gemüt auf seine vermeintliche Weisheit, Macht oder Substantialität stützt, hat es den Boden des wahren Glaubens und Betens noch nicht betreten. Das in engem Kreise sich bewegende menschliche Wünschen sowie alles Vorausbestimmenwollen muß zum Schweigen gebracht werden, damit das unendliche Gute kund werde. Daher die Worte des Psalmisten: „Machet die Tore weit und die Türen der Welt hoch, daß der König der Ehren einziehe!”
Zur Erlangung des wahren Verständnisses von Gemüt, seinem Gesetz und seiner unwandelbaren Tätigkeit, des Verständnisses, welches die Grundlage des wissenschaftlichen Vertrauens bildet, bedarf es oft vieler Erfahrungen, denn es müssen so manche lang gehegte menschliche Pläne aufgegeben werden. Diese Erfahrungen entsprechen gewissermaßen der beharrlichen Grabarbeit, um auf die Felsenschicht zu kommen. Klagen und Gefühle des Selbstbedauerns bei den anfänglichen Bemühungen werden sich sicherlich in Freudengesang verwandeln. Wenn der Bau des Glaubens auf dem Felsen der Erkenntnis errichtet ist, mögen sich Stürme erheben, die Winde wehen und an das Haus stoßen, doch es bleibt stehen, denn es ist „auf den Felsen gegründet.” Der Glaube, der sich auf dem Sande erhebt, auf sterblichen Vorstellungen vom Menschen und seinen Bedürfnissen, vergeht schnell, wenn der Platzregen fällt und die Gewässer kommen. Die Grundlage, auf welcher der Glaube der Christlichen Wissenschaft auf immer sicher steht, ist die klare Erkenntnis von dem Wesen der Christlichen Wissenschaft und von dem Wie und Warum ihres heilenden Wirkens. Auf diesen Felsen können wir getrost bauen.
Könnte die Wahrheit in menschlichen Dingen nicht werktätig bewiesen werden, so gäbe es für den sterblichen Menschen keine Erlösung. Wollte man behaupten, das göttliche Gemüt regiere seine eignen Ideen im Reiche des Geistes, das sterbliche Gemüt aber herrsche über seine eignen Vorstellungen im Reiche der Materie, so hieße das alles, was die Materie für sich beansprucht, zugeben und alle Hoffnung auf himmlische Dinge zunichte machen. Wenn das göttliche Gemüt überhaupt die Obergewalt hat, so muß es auf immer und ewig die Obergewalt haben, in jeder Beziehung, überall und unter allen Umständen. Es steht der Menschenweisheit nicht zu, bezüglich des Wirkens des göttlichen Gemüts Bestimmungen zu treffen. Denn von diesem Gemüt, von Gott, dem Allerhöchsten, sagt die Bibel: „Gegen welchem alle, so auf Erden wohnen, als nichts zu rechnen sind. Er macht’s wie er will, beide, mit den Kräften im Himmel und mit denen, so auf Erden wohnen; und niemand kann seiner Hand wehren noch zu ihm sagen: Was machst du?”