Das vierte Kapitel des Johannes-Evangeliums wird von den Christlichen Wissenschaftern viel gelesen, denn Jesus legt da in wunderbar klaren Worten den Unterschied dar zwischen der geistigen Wirklichkeit und der sterblichen Scheinbarkeit. Wir sehen den Meister am Jakobsbrunnen sitzen, „müde ... von der Reise,” hungrig und durstig und auf seine Jünger wartend, die gegangen waren, um Speise zu kaufen. Als er so dasaß, kam eine Samariterin aus der Stadt, die Wasser schöpfen wollte, und es war somit ganz natürlich, daß er sie um einen Trunk bat. Das Weib jedoch brachte ihr Rassenvorurteil und ihre religiöse Engherzigkeit zum Ausdruck und lehnte die Bitte gleichsam ab. Anstatt aber den Fall vom materiellen Standpunkt aus zu erörtern, wies Jesus auf die geistige Grundlage des Seins hin, die Grundlage, welche alle Menschen zu Brüdern macht. Zuerst sprach er zu ihr von dem „lebendigen Wasser.” Obschon sie nun in den Lehrmeinungen und Überlieferungen ihrer Zeit gut bewandert war, so konnte sie doch des Meisters Worte nicht verstehen. Dieser ließ sich aber nicht beirren, sondern fuhr mit seinen Erklärungen fort, bis er zu dem unsterblichen Ausspruch kam: „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.”
Dieses Weib war offenbar ein denkender Mensch, besaß aber keinen wahren sittlichen Maßstab — wie das ja auch in unsern Tagen leider von so vielen gilt. In Wirklichkeit ist dieser Maßstab nirgends anders zu finden, als „im Geist und in der Wahrheit.” Das Weib hatte dadurch Glückseligkeit erlangen wollen, daß sie aus dem seichten Quell der materiellen Vorstellung trank. Nun aber sollte sie von dem, der Gott als Geist und den Menschen als geistig erkannte, auf ihren Fehler hingewiesen werben. Es berührte gewiß ihr Herz, als Jesus ihr sagte, der Vater wolle wahre Anbeter haben, und geistige Anbetung sei nicht an Zeit und Ort gebunden. Auf Seite 78 von Wissenschaft und Gesundheit lesen wir: „Geist segnet den Menschen, aber der Mensch weiß nicht, ‚von wannen er kommt.‘ Durch ihn werden die Kranken geheilt, die Leidtragenden getröstet, und die Sünder umgewandelt.”
Trotz aller sterblichen und materiellen Annahmen ist erst dann wahre Heilung, wahre sittliche Umwandlung möglich, wenn man die Erkenntnis erlangt hat, daß der Mensch geistig ist, weil Gott Geist ist. Wahre Anbetung ist daher stets im Geist und in der Wahrheit. Die meisten Menschen geben zu, daß in einem künftigen Leben, falls es ein solches gebe, der Mensch geistig sein werde; aber im allgemeinen nimmt man an, er sei jetzt materiell, oder aber materiell und geistig. Die Christliche Wissenschaft hingegen lehrt in unzweideutiger Weise: „Geist ist Gott, und der Mensch ist Sein Bild und Gleichnis. Folglich ist der Mensch nicht materiell; er ist geistig” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 468). Der Meister sagte zu dem Weib aus Samaria: „Es kommt die Zeit und ist schon jetzt, daß die wahrhaftigen Anbeter werden den Vater anbeten im Geist und in der Wahrheit.” Wir tun wohl daran, uns diese Worte recht zu Herzen zu nehmen.
Als die Jünger zurückkehrten, lehnte der Meister die materielle Speise ab, die sie ihm mitgebracht hatten. Er habe andre Speise, sagte er, von der sie nichts wüßten, und die bestehe darin, daß er den Willen des Vaters tue. Die Ansprüche der materiellen Sinne, die sich als Hunger, Durst und Müdigkeit äußern, waren durch seine Bekräftigung geistiger Wahrheiten zeitweilig zum Schweigen gebracht worden, und er sah weit über die damalige Stunde hinaus die Erntezeit, da die Menschheit von der geistig erkannten Wahrheit leben wird. Wir freuen uns dieser herrlichen Aussicht! Die Christlichen Wissenschafter begegnen zuweilen scharfem Widerstand, weil sie in ihren Gottesdienst oder ihre „Anbetung” das Heilen der Kranken ohne materielle Mittel mit einschließen. Sie lassen sich aber nicht beirren, denn sie stützen sich auf die Worte des Meisters: „Wer ... des Wassers trinken wird, das Ich ihm gebe, den wird ewiglich nicht dürsten; sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm ein Brunnen des Wassers werden, das in das ewige Leben quillet.”
Dieses gottverliehene Mittel gegen Not und Elend besteht für einen jeden von uns; und ist auch der Brunnen tief, so sind wir doch im Besitz dessen, womit wir schöpfen können. Die Samariterin wußte nicht, daß die Erkenntnis des Geistes und der Wahrheit in unendliche Tiefen dringt und das lebendige Wasser emporbringt. Wir aber wissen es, dank der treuen Arbeit unsrer verehrten Führerin, Mrs. Eddy. Es ist uns ein Grund zu großer Freude, daß wir die Wahrheit, wie Christus Jesus sie lehrte, selber beweisen können.
