Den Lehren der Christlichen Wissenschaft zufolge wird jedes rechtmäßige Werk irgend einmal und irgendwo belohnt werden. An dieser Tatsache braucht niemand zu zweifeln, denn auf Gottes universale Liebe und auf Seine Gaben können wir uns stets verlassen. Praktiker, Lektoren, Lehrer, Arbeiter in der Sonntagsschule, ja alle, die anderen die Segnungen der Wahrheit mitteilen möchten, bekommen etwas zu tun, was ihrer besonderen Fähigkeit angemessen ist. Wir stehen alle vor der Frage, wie wir dieses Werk betreiben können, damit es die meisten Früchte trägt. Unser Herze hofft, daß die Lahmen gehen, die Blinden sehen, die Tauben hören und die Sünder von sich selbst und ihren vielen Leiden errettet werden möchten. Dieses inbrünstige Gebet bringen wir der Welt gegenüber nicht laut zum Ausdruck; vielmehr steigt es aus dem inneren Heiligtum, wo wir unseren Gottesdienst verrichten, zum Vater empor.
Der Praktiker, der seine Arbeit gründlich, selbstlos und ohne ängstliche Sorge um die Ergebnisse tut, erwartet stets Erfolg, und mit jedem neuen Sieg erhält er neue Offenbarungen des belebenden Einflusses der Wahrheit. Wir dürfen jedoch von einem guten Erfolg nicht ungebührlich begeistert sein, noch dürfen wir den Mut verlieren, weil mehr Arbeit und bessere Arbeit nötig ist, um gute Ergebnisse zu erzielen. Die Gründe dafür sind klar. Erstens vollbringt der Praktiker die Heilung nicht selber. Sein Amt ist untergeordnet, denn der demütigste Arbeiter wendet sich mit einem Glauben, der niemals auch nur einen Augenblick wankt, an Gott als den großen Arzt. Als Schreiber dieses mit dem wissenschaftlichen Studium der Bibel begonnen hatte, fiel es ihm sehr bald auf, daß Jesus von Nazareth den von ihm bewirkten Heilungen scheinbar keine weitere Beachtung schenkte, wie auffällig sie auch gewesen sein mögen. Seine Gedanken waren so von Tatendrang erfüllt und so völlig frei von Zweifel und Furcht, daß allemal, wenn eine falsche Annahme in dem Bewußtsein des Patienten vernichtet war, die Krankheit verschwand, denn sie hatte als eine geistige Wirklichkeit nie bestanden und konnte in dem Bewußtsein des Meisters keinen Raum finden. Warum sollten wir nicht alle mit derselben Genauigkeit des Denkens und mit demselben ungeteilten Vertrauen zuwerke gehen?
Manche junge Schüler, die das Heilungswerk in Angriff genommen haben, geraten wegen ihres Verantwortlichkeitsgefühls in eine sehr ernste Stimmung, und die scheinbare Hartnäckigkeit des Bösen lastet schwer auf ihnen. War es so bei den Siebenzig, die Jesus aussandte, um ihr Verständnis vom Heilen zu erproben? So groß war ihr Glaube und so folgsam waren sie im Denken und Handeln, daß sie mit Lobliedern im Munde zurückkehrten und berichteten, daß ihnen selbst die Teufel untertan seien. Ein frohes Herz gibt sich nie traurigen Betrachtungen hin. Ein betrübter Geist wird gewöhnlich dadurch erzeugt, daß man fortwährend über vergangene Dinge nachdenkt, anstatt sie zu vergessen und sich auf die Arbeit vorzubereiten, die einem von Tag zu Tag aufgetragen wird. Gewiß ist es lobenswert, wenn man seine Arbeit für wichtig hält und sich ihrer Vollbringung voll und ganz widmet; aber der ernste und gründliche Arbeiter ist nie um die Ergebnisse besorgt. Selbstüberhebung ist einem Menschen ebenso schädlich wie Mangel an Vertrauen auf seine Fähigkeit, zu heilen. Paulus schreibt: „Ich schätze mich selbst noch nicht, daß ich's ergriffen habe. Eines aber sage ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich zu dem, das da vorne ist, und jage — nach dem vorgesteckten Ziel — nach dem Kleinod, welches vorhält die himmlische Berufung Gottes in Christo Jesu.“
Aus solchen Stellen ersehen wir, daß es uns keinen Gewinn bringt, wenn wir uns mit alten Lasten abschleppen, nachdem wir ein neues Problem zu lösen bekommen haben. Sodann können wir unsere gegenwärtigen geistigen Fähigkeiten nicht nach dem beurteilen, was wir bisher getan oder nicht getan haben. Die gegenwärtige Stunde stellt ihre Anforderungen an uns; sie verdient unsere größte Anstrengung, gemäß der von uns erlangten Erkenntnis. „Für alle, die sich auf den erhaltenden Unendlichen verlassen, ist das Heute reich an Segnungen.“ So lesen wir zu Anfang des Vorworts im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift.“ Wer möchte in diese Segnungen auch nur einen einzigen Faden einweben, der nicht dahin gehört? Weder Anspruch auf persönliches Verdienst, noch leere Befürchtungen gehören zu dem Kapital, mit dem der Praktiker arbeitet. In der Neuzeit ist wohl kein hervorragenderes Beispiel von Selbstvergessenheit zu finden als Mrs. Eddy es unter schwierigen Umständen bot. Bei ihr war es feste Regel, ihren Feinden zu vergeben, die Verdienste ihrer treuen Schüler anzuerkennen und denen, die sie schmähten, mit einem Lächeln zu begegnen. Nie vergaß sie, so zu handeln. In dieser Weise wurde Mrs. Eddys Freude am Dienen der tägliche Beweis, daß sie in enger Beziehung mit dem Unendlichen stand. Haben wir Beweise dieser Art, daß wir in den Angelegenheiten des täglichen Lebens ihrem Beispiel folgen?
„Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen,“ lesen wir in der Heiligen Schrift. Ist es uns möglich, in der Arbeit, die wir tun, Gott zu sehen oder uns Seiner Macht bewußt zu werden, wenn wir diese Arbeit als die unsrige betrachten? Und doch sagt uns Jesus in der Bergpredigt, wir sollten unser Licht so vor den Leuten leuchten lassen, daß sie unsere guten Werke sehen. Das war „ein Wort, geredet zu seiner Zeit.“ Man lasse die Welt das Vollbrachte sehen; aber während sie schaut, muß man dem Vater bereits mit einem neuen Werk der Liebe und des Erbarmens dienen. Die Furcht dringt selten da ein, wo die richtigen Gedanken Beschäftigung finden. Shakespeare sagt: „Dinge, die man gut und mit Sorgfalt verrichtet hat, sind nicht mit Furcht verknüpft.“ Sehr wahr; und wenn man diese Dinge tut und dabei das eigene Ich vergißt, dann gibt es keine Furcht, keine besondere Begünstigung, keine schwache Nachgiebigkeit der menschlichen Verkehrtheit gegenüber.
Es sollte unser höchstes Streben sein, so tief in den reichen Lebensquell zu schauen, daß die Wiederspiegelung des grünen Laubes über uns unser Auge erfreut. Die Tiefen der Wahrheit sind unergründlich, und der Seher unserer Tage, wie der des Altertums, wächst in dem Maße an Einsicht und Erkenntnis, wie er sich seiner geistigen Herrschaft bewußt wird. Es gibt Dinge, die man im Gedächtnis behalten muß, und Dinge, die man vergessen muß; zwischen diesen muß man mit Klugheit zu unterscheiden lernen.