Das Alte Testament ist ein ununterbrochener Bericht von Gottes Verhalten sowohl einzelnen Persönlichkeiten wie ganzen Völkern gegenüber, und von ihrer Stellung zur göttlichen Gnade. Unter den vielen Bündnissen, die erwähnt werden, sei hier besonders der sinaitische Bund und seine Beziehung zu dem neuen Bunde oder dem Evangelium Christi sowie die Beziehung beider zu der Christlichen Wissenschaft in Betracht gezogen. Diese Beziehung setzt Mrs. Eddy sehr deutlich auf Seite 65 von „Miscellaneous Writings“ auseinander, wo sie sagt: „Die Christliche Wissenschaft bedingt zum Demonstrieren von Heilungen sowohl das Gesetz als das Evangelium; ich habe beide beim Demonstrieren gelehrt, und zwar durch mitfolgende Zeichen. Gesetz und Evangelium sind eine Einheit bei der Wiederherstellung des Gleichgewichts des Gemüts und des Körpers und bei des Menschen Abrechnung mit seinem Schöpfer. Die Ergebnisse lassen ersehen, daß das strenge Befolgen des einen das Fehlen des anderen nicht aufwiegen kann, da das göttliche Gesetz des Heilens aus beiden besteht.“ Und diese Tatsache wird durch die Worte Christi Jesu in der Bergpredigt bestätigt: „Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn ich sage euch wahrlich: Bis daß Himmel und Erde zergehe, wird nicht zergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüttel vom Gesetz, bis daß es alles geschehe.“
Als es Moses auf Gottes Befehl hin übernahm, die Kinder Israel von Ägypten nach Kanaan zu führen, wurde jedes Hindernis, das sich ihrem Vordringen entgegenstellte, durch die herrliche Bekundung geistiger Macht über materielle Umstände überwunden. Die Befreiung aus der Gewalt des Heeres Pharaos am Roten Meer, wo sich das Wasser vor den Kindern Israel teilte, aber ihre Verfolger verschlang; das Stillen ihres Durstes in der Wüste Sur, wo das bittere Wasser süß gemacht wurde; die Versorgung mit Manna in der Wüste Sin — alle diese Ereignisse waren Beweise von Gottes schützender Fürsorge. Dennoch aber murrten die Reisenden, und viele schauten sehnsuchtsvoll zurück und machten dem Moses und Aaron Vorwürfe, weil sie sie von den „Fleischtöpfen“ Ägyptens weggeführt hatten. Daraufhin wurden dem Moses die zehn Gebote gegeben, deren unmittelbarer Zweck der war, diese umherschweifenden Gedanken in das verheißene Land sittlicher und geistiger Freiheit zu führen.
Die Verkündigung der zehn Gebote war von weit höherem Wert als die Wunder, die Moses tat, um den jeweiligen Bedürfnissen der israelitischen Wanderer abzuhelfen; denn sie sollten die Grundlage für das sittliche und religiöse Gesetz aller Völker unter allen Umständen und zu allen Zeiten bilden. Nur Moses wußte die Wichtigkeit des sinaitischen Bundes zu schätzen, wiewohl die Ältesten des Volkes Israel und das Volk denselben annahmen und sagten: „Alle Worte, die der Herr gesagt hat, wollen wir tun.“ Das Volk konnte jedoch den ägyptischen Einfluß nicht so leicht loswerden; daher richtete es bald darauf das goldene Kalb auf und zog vor, vor demselben zu tanzen und zu singen, anstatt über die Bedeutung der sinaitischen Gebote nachzudenken. Mose Treue und die beständigen Verirrungen des Volkes waren vorbildlich für die Aufnahme, die des neuen Bundes während des Herannahens der Zeit harrte, da dieser Bund den Menschen auf göttliche Weise überbracht werden sollte.
Der neue und lebendige Weg, von dem im zehnten Kapitel des Briefes an die Hebräer die Rede ist, der Weg, den Jesus Christus offenbarte, stand sofort der ganzen Menschheit frei. Er wurde mit Recht das Evangelium genannt, denn er brachte in göttlichem Auftrag die frohe Botschaft, daß Gott Geist und Liebe ist. Das göttliche Wesen des Evangeliums wurde sofort durch die vielen Heilungen von menschlichen Leiden bewiesen. Viele nahmen das Evangelium mit erneuernder Dankbarkeit auf und weihten ihr Leben der Verbreitung seines heiligen Einflusses; aber die Mehrzahl derer, die mit diesem neuen Bunde zur Zeit, als er geschlossen wurde, in Berührung kamen, wiesen ihn gleichgültig, ungläubig, zornig, oder gar mit Anwendung von Verfolgung zurück, wodurch sie dasselbe mentale Verhalten bekundeten wie diejenigen, die vor Jahrhunderten das goldene Kalb höher achteten als die geistige Führung.
Das Christentum gewann im Laufe der Jahre immer mehr Anhänger, war aber dabei dem Einfluß der vielerlei Schulen und Gedankenströmungen jener Zeit ausgesetzt. Menschen mit den verschiedensten nationalen Eigenschaften und philosophischen Anschauungen nahmen das Christentum an, konnten aber, gleich den Kindern Israel, nicht sofort das ägyptische Joch ihrer ehemaligen Denkweise abwerfen. Religiöse Führer erstanden, die sich bis dahin in die heidnische Philosophie vertieft hatten. Klemens von Alexandrien bemühte sich, jene Philosophie mit der christlichen Offenbarung zu vereinen, indem er fest überzeugt war, daß Gott drei Bündnisse mit dem Menschen geschlossen habe, nämlich das Gesetz, das Evangelium und die Philosophie. Klemens berühmter Ausspruch: „Plato ist der dem attischen Denken angepaßte Moses,“ wurde allgemein von den ersten griechischen Kirchenvätern angenommen, und das hatte zur Folge, daß die Theologie des organisierten Christentums im dritten Jahrhundert mit diesen Anschauungen gefärbt wurde.
Die römischen Kirchenväter erhoben hartnäckigen Widerspruch gegen dieses hellenische Christentum, worauf dann die religiösen Führer im vierten Jahrhundert alle klassische Gelehrsamkeit verwarfen. Es folgte intellektuelle Apathie. Jenseits der Grenzen, die die Geistlichen gezogen hatten, entwickelte sich das Christentum in den Einrichtungen des Rittertums in symmetrischer Weise, wenn auch numerisch beschränkt. Innerhalb der anerkannten religiösen Kreise nahmen sich Gelehrte das Evangelium Christi vor, formulierten seine Theorien, legten sie im Lichte ihrer eigenen Erfahrungen aus und erklärten ihr Werk für endgültig. So geschah es, daß das Neue Testament, welches von Freude und von Verheißungen alles Guten für die Menschheit überfließt, jahrhundertelang unter der strengen Obhut des Scholastikers mit seiner hemmenden Formalität stand, oder in der Gewalt des Asketen war, der nur Freude und Güte für die Zukunft gelten ließ, d. h. nachdem er seinen Körper genügend kasteit hatte, um in das zukünftige Leben versetzt werden zu können.
Hier sei nun bemerkt, daß solche Verirrungen weniger wahrscheinlich gewesen wären, wenn die Heilige Schrift der großen Masse des Volkes zugänglich gewesen wäre. Die Neigung, sich auf den heiligen Hieronymus oder den heiligen Augustin zu verlassen, sowie auch der Mangel an einer Umgangssprache verschloß die Heilige Schrift fast gänzlich, bis Wycliffe, der letzte berühmte Scholastiker, der Welt die erste Übersetzung der Bibel in der Volkssprache und dadurch gleichzeitig den englischsprechenden Völkern die spätere Prosaform der Muttersprache gab.
Die Heilige Schrift und ihr verfügbarer Träger, die englische Sprache, waren dazu ausersehen, eine wichtige Rolle in einem Weiteren großen Bund Gottes mit den Menschen zu spielen, nämlich dem der Christlichen Wissenschaft. Mrs. Eddys sofortige Heilung, die sie erfuhr, als sie Matthäus 9 Vers 2 las, verbindet die Christliche Wissenschaft gleich zu Anfang mit dem Evangelium Christi. Ihre dauernde Liebe zur Bibel ließ sie den mosaischen Bund in seiner ganzen Bedeutung erfassen. Daher schreibt sie in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 174): „Der Donner des Sinai und die Bergpredigt eilen den Zeiten nach und werden sie überholen und in ihrem Lauf allen Irrtum zurechtweisen und das Himmelreich auf Erden verkünden. Wahrheit ist geoffenbart. Sie muß nur betätigt werden.“
Die Christliche Wissenschaft ist also fest auf die Heilige Schrift gegründet. Sie behauptet nicht, etwas zu den zehn Geboten oder zu dem christlichen Evangelium hinzugefügt zu haben; vielmehr sichert sie uns ein richtiges und demonstrierbares Verständnis beider, ein Verständnis, das nicht auf der Meinung religiöser Führer beruht, seien diese noch so fromm, sondern auf dem ewigen Prinzip. Nur eine wissenschaftliche Offenbarung der Gottheit konnte dem Zeitalter nützen, dem die Christliche Wissenschaft zuerst zuteil wurde; denn die Menschen waren in der letzten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts so sehr mit der raschen Entwicklung sogenannter materieller Wissenschaften beschäftigt, daß sie den Ruf eines Bundes, der nicht vom Prinzip unterstützt worden wäre, garnicht vernommen hätten. Die Christliche Wissenschaft war ebensowenig wie das mosaische Gesetz und das Evangelium für eine besondere Periode oder eine besondere Phase des menschlichen Gedankens bestimmt. Da die Christliche Wissenschaft auf das Prinzip gegründet ist, ist sie für jeden von Nutzen, der das Prinzip versteht. Jesus brachte die Allgemeinheit der Anwendbarkeit des wissenschaftlichen Christentums auf die menschliche Knechtschaft mit folgenden Worten zum Ausdruck: „So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen.“
Je besser die Lehren der Christlichen Wissenschaft von der ganzen Welt verstanden werden, desto mehr wird der Vorteil ihrer unabänderlichen Grundlage offenbar. Die Charaktereigenschaften, die bei den Israeliten die Würdigung des sinaitischen Bundes trübte, so daß sie das goldene Kalb errichteten — eine Nachahmung der ägyptischen Verehrung des Ochsen —, sind noch nicht von der Erde verschwunden, denn das Bestreben, die Christliche Wissenschaft durch Anwendung mentaler Verfahrungsarten zu erfassen, die man für „genau das Gleiche“ ausgibt, ist eine auffallende Begleiterscheinung des Wachstums dieser Bewegung gewesen. Mrs. Eddy warnte vor dieser Gefahr, als sie schrieb (Wissenschaft und Gesundheit, S. 464): „Wenn man die Christliche Wissenschaft verfälscht, macht man sie unwirksam.“
Als Schutz gegen die Übergriffe der philosophischen Systeme (seien es moderne oder alte, morgenländische oder weniger entlegene), welche Abweichungen von der Wahrheit sind, bietet uns die Christliche Wissenschaft das unbesiegbare Prinzip. Auf diese Weise wird der unschätzbare Bund für alle Zeiten geschützt. Die Herrschaft der physischen Sinne, wie sie sich in dem immer wiederkehrenden Verlangen nach den „Fleischtöpfen“ Ägyptens kundtut, geht ihrem Untergang in dem Maße entgegen, wie der geistige Sinn wächst, der den Gedanken aus der Knechtschaft der Annahme befreit, daß die Materie Genuß bereite. Die Strenge der Askese wird durch den geistigen Sinn berichtigt, der Gemüt und Körper mit der Klarheit der göttlichen Intelligenz erklärt, und diese Erklärungen sind in dem Lehrbuch dieser Wissenschaft zu finden.
Den mentalen Richtungen, die in der leblosen Formalität der scholastischen Theologie mit ihrer zu großen Betonung syllogistischer Beweisführung und ihrer Unterschätzung des Denkens zum Ausdruck kommen, bietet die Christliche Wissenschaft die belehrende Wahrheit dar, die das Denken mit der Wahrnehmung und Demonstration von Leben, Wahrheit und Leibe fortschrittlich tätig erhält. Solche Tätigkeit verhütet Formalismus und bestätigt Mrs. Eddys Weisheit, wie sie sie dadurch bekundete, daß sie beständig auf persönlicher Demonstration bestand.
Das wissenschaftliche Christentum stellt jeglichem Widerstand, wie tief dieser auch im menschlichen Bewußtsein eingewurzelt sein mag, sowie jeglicher Opposition, sei sie auch noch so fein organisiert, die überwältigende Macht der göttlichen Liebe entgegen, die, wenn sie als Prinzip erkannt wird, die höchste Gewalt ist. Die Annahme und Fortdauer des heutigen Bundes hängt von der Tatsache ab, daß alle Bestimmungen, die er enthält, von einem jeden demonstriert werden können, der sie hinreichend versteht, um die Einheit zu beweisen, die zwischen dem Prinzip und seiner Idee besteht; und diese Einheit rechtfertigt vollständig die Anwendung des Ausdrucks „Bund“ auf die Christliche Wissenschaft.
Die Offenbarung der ewigen Einheit zwischen Gott und dem Menschen, wie die Christliche Wissenschaft sie uns darbietet, ist der ewige, für alle Zeiten bestätigte Bund. In diesem Bund werden „die Heiden“ [Völker] wandeln, „die da selig werden,“ wie in der heiligen Stadt, dem neuen Jerusalem der Offenbarung. „Und es wird nicht hineingehen irgend ein Gemeines und das da Greuel tut und Lüge.“ Die inspirierte Heilige Schrift weist von Anfang bis zu Ende direkt oder durch stillschweigende Folgerung auf die Zeit hin, da die unzertrennliche Beziehung zwischen Gott und dem Menschen allgemein erkannt werden wird, und da, wie Paulus in seinem Brief an die Epheser schreibt: „wir alle hinankommen zu einerlei Glauben und Erkenntnis des Sohnes Gottes und ein vollkommner Mann werden, der da sei im Maße des vollkommenen Alters Christi.“