Skip to main content Skip to search Skip to header Skip to footer

Vergib und vergiß

Aus der November 1919-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Paulus gibt in seiner Epistel an die Philipper folgendem weisen Entschluß Ausdruck: „Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich zu dem, das da vorne ist, und jage — nach dem vorgesteckten Ziel — nach dem Kleinod, welches vorhält die himmlische Berufung Gottes in Christo Jesu.” Ein solches christlich-wissenschaftliches Handeln ist gewiß zum Fortschritt unentbehrlich. Es ist töricht, über verpaßte Gelegenheiten nachzugrübeln, wo wir doch alle unsere Augenblicke dazu nötig haben, von unseren gegenwärtigen und zukünftigen Vorrechten Gebrauch zu machen. Mrs. Eddy erklärt in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 429): „Wir schauen vor unsre Füße, und wenn wir weise sind, blicken wir über den einzelnen Schritt hinaus in der Richtung des geistigen Fortschritts.“

Unsere Reise von der Erde zum Himmel besteht in einer mentalen Umwandlung, bei der wir das Böse mit Gutem überwinden und falsche, unharmonische Annahmen durch geistige Ideen ersetzen. Die Schritte, die wir bereits getan haben, bringen uns keinen dauernden Nutzen, wenn wir immer wieder zu dem Irrtum zurückkehren, den die Wahrheit ausgetrieben hat. Nur wenn wir allen Irrtum in sein ursprüngliches Nichts zurückkehren lassen, können wir unser Werk zu Ende führen. Wenn die Gedanken fortwährend zu dem Irrtum zurückkehren, den der Fortschritt notwendigerweise zurücklassen muß, so bringt das diese Irrtümer immer und immer wieder in unseren Erfahrungskreis. Alle Irrtümer des sterblichen Daseins sind bloß Träume, denen man sich hingibt, und diese Träume können wir nur dann überwinden, wenn wir uns weigern, in der Theorie wie in der Praxis die scheinbare Wirklichkeit von irgend etwas zuzugeben, was auf diesen Irrtum Bezug hat.

Weil ein Traum, den wir während des Schlafs haben, für unwirklich gehalten wird, schwindet er sehr bald aus unserem Bewußtsein, so daß er in der Regel gegen Ende des Tages bis auf einzelne Teile vergessen ist, und am nächsten Tage ist er dem Gedächtnis gänzlich entschwunden. Und warum? Einfach weil wir von der völligen Wesenlosigkeit des Traumes überzeugt sind und ihm daher keinen Raum in unserem Denken geben. Wir sehen ihn nicht als eine Begebenheit an und legen ihm keinen Wert bei. Wir sagen, es war nichts als ein Traum, und schlagen ihn uns dann aus dem Sinn.

Die Christliche Wissenschaft offenbart die Tatsache, daß das sterbliche Dasein ein Traum ist, daß wir alles Materielle, alles, was der Meister „das Fleisch“ nennt, welches „nichts nütze“ ist, als eine Reihenfolge mentaler Wandelbilder erkennen lernen müssen; daß die Träume des Tages, mögen sie uns auch mehr ordnungsgemäß erscheinen, genau aus demselben Stoff gemacht sind, aus dem die Träume der Nacht bestehen, und daß es uns als konsequenten Christlichen Wissenschaftern obliegt, diese falschen und unharmonischen Geschehnisse wie die Trugbilder des Schlafes zu vergessen. Wir messen ihnen ebensowenig Dauer und Wirklichkeit bei wie den Träumen der Nacht, und sie zergehen dann ebenso rasch wie diese. Wir prägen sie nicht unserem Gedächtnis dadurch ein, daß wir sie anderen erzählen. Wir können uns die geistigen Tatsachen des Seins nicht wirklich machen, während wir beharrlich das gegenwärtige oder frühere Sinnenzeugnis für wahr halten. Daher lassen wir dahinten, was dahinten ist. Wir können nicht zwei Herrn dienen. Wir können nicht eine Art der Täuschung anerkennen, ohne zugleich allem Irrtum Wirklichkeit zuzugestehen. Wir können nicht unsere eigenen Fehler berichtigen und ihren bösen Folgen entgehen, während wir dem Glauben, daß die Mängel unseres Nächsten wirklich und dauernd seien, dadurch Nahrung geben, daß wir mit anderen von diesen Mängeln reden.

Tatsächlich hören wir dann auf, sterblich zu sein, wenn wir aufhören, materiell zu denken. Indem wir über das Lautere, das Wahre und das Gute nachdenken und so das Böse aus unserem Bewußtsein ausschließen, arbeiten wir unsere Erlösung aus. Drum sagt Mrs. Eddy (Wissenschaft und Gesundheit, S. 201): „Gefäße, die schon voll sind, können wir nicht füllen.“ Wir können nicht in anderen das Verständnis für die geistigen Tatsachen des Seins erwecken, außer wir erwachen selber aus dem Traum materieller Unwahrheiten. Nicht die Dinge, die hinter uns liegen, sondern die Dinge, die uns bevorstehen, sollten Interesse für uns haben. Keiner von uns hat die Absicht, zu Umständen zurückzukehren, denen wir entwachsen sind. Unser Wahlspruch lautet: „Vorwärts und aufwärts.“ Altmodische Dinge von historischem Wert mögen in unserem materiellen Heim am Platz sein, aber in dem Heim der Seele sind sie nicht erwünscht.

Wir betrauern oft unsere Fehler lange nachdem wir sie bereut und abgelegt haben, weil wir fürchten, daß sich unsere Nebenmenschen deren immer noch erinnerten. Wenn wir jedoch nach der goldenen Regel handeln, ist ein jeder ebensosehr bestrebt, seines Nächsten einstmalige Fehler zu vergessen, wie er wünscht, daß dieser seine Fehler vergesse. Naturgemäß ist es uns daran gelegen, daß unsere Fehler vergeben und vergessen werden möchten, und es ist christlich-natürlich, ebenso ernstlich bestrebt zu sein, die Fehler des Mitmenschen zu vergeben und zu vergessen. Solange wir fortfahren, die Fehler unseres Nächsten in dem Maße als Wirklichkeiten anzusehen, daß wir sie im Gedächtnis behalten und vielleicht mit anderen besprechen, können wir nicht hoffen, uns unsere eigenen Fehler und deren unerwünschte Folgen so unwirklich zu machen, daß sie verschwinden.

Die Worte der Heiligen Schrift: „Wer eine Grube macht, der wird selbst hineinfallen,“ hat auf alle Lebensverhältnisse Bezug. Das Böse, das wir anderen zufügen, fällt auf uns zurück. Daher müssen wir den Irrtum völlig und dauernd aus uns entfernen, damit die Wahrheit Raum gewinne. Selbst wenn sich unser Nächster noch nicht genügend gedemütigt hat, um sein Unrecht gegen uns einzugestehen, so können wir dieses doch ruhig hinter uns tun und den Nächsten sein Konto mit Gott ausgleichen lassen.

Es ist nie nötig, auf die Ungeheuer zurückzuschauen, an denen wir vorbeigekommen sind. Wir haben nichts weiter zu tun, als voran zu schreiten und ihnen dadurch aus dem Wege zu gehen. Mit anderen Worten, wenn wir diesen Schrecknissen dadurch ausgewichen sind, daß wir uns ihre Nichtsheit vergegenwärtigt haben, wollen wir uns nicht weiter an sie kehren, sondern wollen getreulich die Erkenntnis der Allheit des Guten festhalten, die nötig war, um genannte Schrecknisse zu vernichten, und ja nicht zu der Annahme zurückkehren, daß sie wirklich seien. Mrs. Eddy sagt in Wissenschaft und Gesundheit (S. 324): „Die Freudigkeit, die falschen Marksteine zu verlassen, und die Freude, sie verschwinden zu sehen — eine solche Gesinnung beschleunigt die endgültige Harmonie.”

Als sich einst ein namhafter Erzieher um das Amt des Vorstehers einer höheren Lehranstalt bewarb, bemühte sich ein alter Schulkamerad, der nicht zur Partei des Kandidaten gehörte, dessen voraussichtliche Unterstützer gegen ihn einzunehmen, indem er behauptete, der Kandidat besitze nicht die nötigen Kenntnisse. Er suchte dies durch die Behauptung zu begründen, daß der Kandidat als Lehrer an der Vorschule über mehrere mathematische Probleme gestolpert sei. Diese Aussage war angeblich der Grund, warum der Mann nicht gewählt wurde. Im Verlaufe der Zeit erwies es sich jedoch, daß dieser Erzieher längst nicht mehr über mathematische Probleme stolperte, ja daß er ein hervorragender Mathematiker geworden war. Später erhielt er einen Posten, der seine höchsten Hoffnungen weit übertraf, und er bekleidete ihn höchst ehrenhaft. Wenige Menschen gehen durchs Leben, ohne mehr oder weniger Fehler zu machen. Christliche Wissenschafter sollten aber klarer als andere Menschen erkennen, daß der Irrtum nicht ewig ist.

Im Lichte dieser Lehre kann man von allen, die für strebsam gelten, erwarten, daß sie ihren Unvollkommenheiten entwachsen und sie ablegen; und da man nur das erntet, was man sät, so ist es durchaus der göttlichen Ordnung gemäß, wenn man seinen Glauben an eine ewige Strafe für solche Fehler fahren läßt. Unser unglücklicher Bruder, der gestern unserer Fürsprache nicht wert war, mag ihrer heute wert sein, und gerade in dem Augenblick, wo wir seine früheren Fehler an den Pranger stellen, hat er sich vielleicht über sie erhoben und ist uns in dem Wettstreit weit zuvorgekommen. Bei einer gewissen Gelegenheit ergingen sich zwei Schüler in lieblosen Bemerkungen über eine törichte Antwort, die ein anderer Schüler an die Wandtafel geschrieben hatte. Aber noch währen sie lachten und spotteten, erschien dieser andere Schüler, ohne die beiden zu bemerken, wischte die törichte Antwort aus und schrieb eine andere hin, die klar und richtig war.

Wenn Freunde in unserer Gegenwart absprechende Bemerkungen über einen Nächsten machen, dann dürfen wir gewiß fragen: „Wann hat sich die Sache zugetragen, auf die sich dein Urteil stützt?“ Das Bewußtsein der Welt macht solch rasche Umwandlungen durch und die Ansichten und Handlungen der Menschen sind so veränderlich, daß es scheint, als könne man seine Zeit besser dazu verwenden, seine eigenen Fehler zu berichtigen, als sich über die Fehler des Nächsten aufzuhalten — es sei denn, diese Fehler seien absolut gefährlich. In solchem Falle muß man die nötigen Schritte zu ihrer Berichtigung tun, aber erst nachdem man sein möglichstes getan hat, den Nächsten zu veranlassen, die Berichtigung selber vorzunehmen. Wandelbilder sind unbestimmt. Sie führen zu keinem endgültigem Schluß.

Jesaja sagt, man werde der vorigen Dinge „nicht mehr gedenken ... noch sie zu Herzen nehmen,“ und den Christlichen Wissenschaftern kann die Zusicherung zum Trost gereichen, daß sie sich mit der Zeit zur völlig klaren Erkenntnis der Unwirklichkeit des sterblichen Traums erheben und dann nicht mehr an ihre früheren Fehler denken werden. Ferner werden sie sich der Tatsache freuen können, daß auch ihre Nächsten diese Fehler vergessen haben. So wird die ganze Welt der biblischen Ermahnung gehorchen: „Was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was keusch, was lieblich, was wohl lautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, dem denket nach!” Jedes Geschöpf im Weltall ist göttlich berechtigt, zu hoffen und zu erwarten, daß alles, was Gott ungleich ist, vernichtet und vergessen werde. Es ist die Pflicht eines jeden Menschen, der sich von lauteren und selbstlosen Beweggründen leiten lassen will, sein möglichstes zu tun, damit dieser Tag recht bald erscheine!

Wenn Sie mehr Inhalte wie diese erforschen möchten, können Sie sich für wöchentliche Herold-Nachrichten anmelden. Sie erhalten Artikel, Audioaufnahmen und Ankündigungen direkt per WhatsApp oder E-Mail. 

Anmelden

Mehr aus dieser Ausgabe / November 1919

  

Die Mission des Herolds

„... die allumfassende Wirksamkeit und Verfügbarkeit der Wahrheit zu verkünden ...“

                                                                                                                            Mary Baker Eddy

Nähere Informationen über den Herold und seine Mission.