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Prophezeiung

Aus der Juni 1920-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Eines der schwierigsten Rätsel, die die autorisierte englische Bibelausgabe dem Leser darbietet, ist die Tatsache, das sie im Englischen des Zeitalters der Königin Elisabeth geschrieben ist. Dies ist weniger selbstverständlich, als es scheint, da ihre Sprache nicht völlig altertümlich ist, wie die Chaucers, und weil Worte unter Beibehaltung ihrer Form und Orthographie vielfach eine andere Bedeutung angenommen haben. Eines der am häufigsten in diesem Zusammenhang erwähnten Worte ist let. Auf die merkwürdigste Weise hat dieses Wort zwischen Shakespeares und unserem Zeitalter seine Bedeutung völlig ins Gegenteil verwandelt. Heute bedeutet es nämlich to permit — erlauben, während es zu Shakespeares Zeit to prevent — verhindern bedeutete. So erklärt Latimer in einer seiner Predigten: „Das Fleisch widersteht dem Worte vom Heiligen Geiste in unseren Herzen und verhindert es, verhindert es“ (lets it), womit natürlich ausgedrückt sein soll, daß es in seiner Behinderung fortfährt. In nämlicher Weise schreibt Shakespeare in Heinrich V,

... und meine Rede bittet,
Zu wissen, was den holden Frieden hemmt (let),
Daß er dies Ungemach nicht bannen könnte
Und uns mit seinen vor'gen Kräften segnen.

Genau ebenso gaben König Jakobs Übersetzer die berühmte Stelle in Paulus Brief an die Thessalonicher: „Nur ... der es jetzt aufhält (let), muß hinweg getan werden.“ Und zwar geschieht dies, obwohl das Wort an vielen anderen Stellen der Übersetzung in seinem späteren Sinne gebraucht wird.

Aber eines der interessantesten dieser altertümlichen Worte ist das Wort Prophet. Die neuzeitliche Bedeutung dieses Wortes ist eine Person, die etwas voraussagt, die durch eine gewisse übernatürliche Begabung imstande ist, in die Zukunft zu sehen und Dinge, die in der Zukunft geschehen werden, in mystischer Weise zu erklären. In Wirklichkeit bedeutet dies ein völliges Mißverständnis dieses Wortes. Der griechische προфήτηѕ war nicht der Verkünder des Orakels sondern dessen Ausleger. In ganz derselben Weise waren die hebräischen Propheten nicht Leute, die geheimnisvolle Ausflüge in die Zukunft unternahmen, sondern Deuter des Gesetzes. Die Hebräer erkannten nie die jetzt als geschichtlich bezeichneten Bücher der Bibel als solche an. Sie nannten sie vielmehr die älteren Propheten zum Unterschied von den jüngeren Propheten, die heute als die großen bezw. kleinen Propheten bekannt sind. Der Prophet nahm also das Gesetz, nämlich die fünf Bücher Mosis und die Geschichte des Volkes Israel, oder die älteren Propheten, im Verein mit den jüngeren Propheten und legte sie in der Weise aus, daß ihre geistige Bedeutung zum Vorschein kam. Und diese geistige Deutung ward seine Prophezeiung. So schreibt denn auch Mrs. Eddy auf Seite 320 von Wissenschaft und Gesundheit: „Die einzige Auslegung der Heiligen Schrift, die von Wichtigkeit ist, ist die geistige.“

Hieraus können wir nun aber mit Leichtigkeit ersehen, daß der Deuter der Heiligen Schrift in gewisser Beziehung die Zukunft voraus sagen mußte. Nur war natürlich durchaus nichts Übernatürliches oder Mystisches an dieser Voraussage. Es war vielmehr nichts als eine genaue, wissenschaftliche Ableitung von Tatsachen. Der Schreiber der messianischen Prophezeiungen in Jesaja, dachte z.B. nicht an Jesus Christus, den Sohn der Maria von Nazareth. Er leitete vielmehr von dem fortwährenden Kampf des Guten mit dem Bösen, die unvermeidliche Folgerung der Erscheinung des Messias, oder Christus in einer Welt des unbeschränkten Hanges zum Tierischen und zu zügelloser Begierde ab. Spätere Zeitalter fanden in Jesus von Nazareth die Folge-Erscheinung jener Prophezeiungen und schlossen so darauf, daß der betreffende Prophet Marias und Jesu Kommen voraus gesehen hatte, ebenso wie den schrecklichen Streit zwischen Gut und Böse, der in den paar Jahren von der Versuchung in der Wüste an bis zur Kreuzigung auf dem Kalvarienberge statt fand. Jedoch verhielt es sich damit ganz anders. Der Prophet, der heute Jesaja genannt wird, sah einfach die unvermeidliche Wirkung der Chemikalisierung des sterblichen Gemütes, wie sie von Mrs. Eddy genannt wird, voraus, wenn seine fast wilde Materialität vor die absolute Wissenschaft des Seins gebracht würde. Gerade so wie heute der Chemiker in seinem Laboratorium die unvermeidliche materielle Wirkung der Mischung gewisser Gase im voraus berechnen kann.

So fanden denn die Propheten Israels ihre Nachfolger in dem Prophezeien der älteren Kirche, einer Art der Bibelauslegung, die etwa zur Zeit der von König Jakob veranlaßten Bibelübersetzung aus dem Gebrauche kam. Der Verlust dieser Ausübung der Prophezeiung wurde unter anderen besonders von Bacon bedauert, der sich in seiner Schrift: „Betrachtungen über den Ausbau und die Beruhigung der englischen Kirche“ wie folgt darüber ausspricht: „Hinsichtlich dieses Punktes gebe ich dreierlei zu: Erstens, wäre es nicht vielleicht wünschenswert, jenen guten Brauch aufleben zu lassen, der für längere Zeit in der Kirche betätigt und allgemein als Prophezeien bezeichnet wurde?“ Dieses Prophezeien erklärte Bacon als die Vereinigung der Pfarrer eines Landesteiles zum Zwecke abwechselnder Auslegung einer bestimmten Bibelstelle vor einer öffentlichen Versammlung. So sehen wir also, daß der Gedanke des Prophezeiens als einer übernatürlichen Gabe, von der ursprünglichen Bedeutung des griechischen Bibeltextes genau so sehr abweicht, wie der Versuch dem Wort Wunder die Bedeutung übernatürlicher Macht, die auf ein paar Menschen und eine bestimmte Zeitspanne beschränkt sei, anstatt der der Demonstration der Wahrheit von Jesu Lehre zu geben. Gerade so wie das Wort Wunder der wissenschaftliche Ausdruck war, den die römischen Philosophen für ihre Demonstration anwandten, so wurde das Wort Prophezeien von den griechischen Philosophen benutzt zur Bezeichnung einfacher Erläuterung ihrer Lehre. Und so sehen wir, wie der große hebräische Philosoph, Paul von Tarsus, der Kirche zu Korinth schreibt: „Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser Weissagen ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.“ Offenbar ist es nicht nötig, das Prinzip dem zu erklären, der es versteht.

Jedermann, der etwas vom Prinzip versteht, wird also mehr oder weniger zu einem Propheten und zwar im Verhältnis dieses seines Verständnisses. Wer die Wahrheit kennt, der muß einfach ihre unausbleiblichen Folge-Erscheinungen voraussehen und bekräftigen. Wer genügende Kenntnis von Naturwissenschaft hat, der kann mit Bestimmtheit behaupten, daß ein ins Wasser geschleuderter Stein untersinken wird. Genau so kann, wer ein hinreichendes Verständnis des göttlichen Prinzips besitzt, mit Bestimmtheit behaupten, daß der Glaube an die Materie ganz unumgänglicher Weise mit dem Tode endet. Dies ist die Bedeutung von Jesu Worten an die Pharisäer und Sadducäer: „Ihr Heuchler! über des Himmels Gestalt könnt ihr urteilen; könnt ihr denn nicht auch über die Zeichen dieser Zeit urteilen?“ Sie verstanden die verhältnismäßig wahre Behauptung, daß ein ins Wasser geworfener Stein sinken werde. Aber ihre Materialität und Heuchelei hielt sie von der Voraussicht der unvermeidlichen Folgen dieser Materialität und Heuchelei auf ihr eigenes Leben und das Leben derer, die sie dem Untergang entgegen führten, ab. Die urteilslose Menge in ihrer Unwissenheit des Prinzips folgte blindlings den Pharisäern in ihrem starren Festhalten an einer materiellen Auffassung des Messias, und sie litt durch solch gedankenlose und materielle Annahme dieser falschen Lehre Schiffbruch.

Ganz anders ist Mrs. Eddys Erklärung der älteren Propheten und des wissenschaftlichen Einflusses von Prophezeiung auf die Probleme der Zeit. „Die alten Propheten,“ so schreibt sie auf Seite 84 von Wissenschaft und Gesundheit, „gewannen ihren Blick in die Zukunft von einem geistigen, unkörperlichen Standpunkt aus, nicht dadurch, daß sie Böses ankündigten und Tatsachen mit Dichtungen verwechselten, oder daß sie die Zukunft von dem Grunde der Körperlichkeit und der menschlichen Annahme aus vorhersagten. Wenn die Menschen genügend in der Wissenschaft vorgeschritten sind, um mit der Wahrheit des Seins in Harmonie zu sein, werden sie unwillkürlich Seher und Propheten, die nicht von Dämonen, Geistern oder Halbgöttern, sondern von dem Geist beherrscht werden. Es ist das Vorrecht des immer gegenwärtigen, göttlichen Gemüts und des Gedankens, der mit diesem Gemüt in Übereinstimmung steht, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft zu kennen.“ Nun ist diese Fähigkeit der Prophezeiung, auf die Mrs. Eddy anspielt, nicht etwa eine mystische Kraft, die durch einen übernatürlichen Einblick in eine andere Daseins-Stufe gewonnen wird. Man erlangt diese Fähigkeit vielmehr, wie sie so klar auseinander setzt, durch die Buße und durch die Erkenntnis des einzelnen, daß er nicht eine materielle Einheit darstellt, sondern eine Idee, die eins ist mit dem göttlichen Gemüte, weil darin enthalten; und dem göttlichen Gemüte bleibt nichts verborgen. Wenn wir daher den alten Menschen und seine Lüste ausziehen und den neuen antun, d. h. wenn wir auf unsere Sohnes-Eigenschaft im Prinzip Anspruch erheben, dann werden wir unwillkürlich die unvermeidliche Entfaltung der Wahrheit erkennen und demgemäß prophezeien.

Gerade in solchem Sinne war Mrs. Eddy selbst eine Prophetin. Sie las die Zeichen der Zeit, und konnte wie Jesaja die Bitterkeit des bevorstehenden Kampfes voraus sehen, wenn der Zerstörer, Christus, die Wahrheit, die Sünde bezwingen werde. Das Böse, so erklärte sie, würde, wie immer, versuchen, die Lüge auf das Gute los zu lassen; und geheime Sünde, geistige Bosheit an hoher Stelle würden den Versuch erneuern, ihren Thron und ihre Krone zu behalten. „Der Zusammenbruch der materiellen Annahmen,“ so schreibt sie auf Seit 96 von Wissenschaft und Gesundheit, „mag Hungersnot und Pestilenz, Not und Elend, Sünde, Krankheit und Tod zu sein scheinen, welche neue Phasen annehmen, bis ihre Nichtsheit zutage tritt. Diese Unruhen werden bis zum Ende des Irrtums fort bestehen, bis alle Disharmonie in geistiger Wahrheit verschlungen sein wird.“ Ist dies nicht eine erneute messianische Prophezeiung?

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