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Mary Baker Eddy (1821–1921)

Aus der August 1921-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Das menschliche Gemüt ist aus Leidenschaften zusammengesetzt. Aus diesem Grunde gibt es keine Tugend, die es sich schwerer zu eigen macht, als die der Duldsamkeit. Vor neunzehnhundert Jahren aber ereignete sich ein merkwürdig Ding. Ein syrischer Zimmermann, aus dem Dorfe Nazareth, kam in das Jordantal predigend, und wie er predigte wurde es klar, daß er seinen Zuhörern eine neue Geschichte erzählte, daß er ihnen eine unbekannte Philosophie auslegte, ihnen eine neue Wissenschaft demonstrierte. Eines Tages als er, seine Jünger lehrend, am Ölberg saß, machte er eine Verheißung, die ihnen merkwürdig scheinen mußte. „Himmel und Erde,“ sagte er, „werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht.“ Doch mußte ihnen die Erde und der Himmel sehr wirklich erschienen sein als er das sagte, der Felsen des Tempels unerschütterlich und die Schlucht zu Kidron ein Teil der Ewigkeit. Eine Darlegung der Wahrheit aber ist unzerstörbar. Das menschliche Gemüt, mit seinem Reich von materiellem Phänomena, hat nie ganz so wirklich geschienen wie an dem Tage; seither waren seine Leidenschaften immer in Furcht vor ihrer eigenen Nichtsheit, und immer konnte ein schwaches Gemurmel der Duldsamkeit in den Straßen gehört werden.

Dessenungeachtet ist die Welt noch immer was Dr. Johnson eine gute Hasserin genannt hätte. Aber die Heftigkeit ihres Hasses ist gebrochen. Das Böse fährt natürlich fort Wahrheit zu hassen, das ist eine Notwendigkeit für die Fortdauer seiner eigenen angenommenen Existenz. Aber es hat nicht mehr die Macht, wie bevor der Stern der Hirten über Bethlehem stand. Um die anhaltende Bitterkeit sektiererischer Meinungsverschiedenheit zu illustrieren, erzählte der Geschichtsschreiber Froude, wie, vor wenig mehr als einem halben Jahrhundert, zwei anglikanische Bischöfe der Konvokation (Versammlung des englischen Klerus) ein Buch zeigten, in welchem Luther als ein Ketzer beschrieben wurde, der seinesgleichen nur in Joe Smith finde. (Josef Smith, Stifter der Mormonen.) Man bedenke, daß seit dem Tage, da Luther seine berühmten Thesen an die Kirchentüre zu Wittenberg schlug, vier Jahrhunderte vorübergegangen sind, und diese beiden protestantischen Prälaten hegten noch solche Gefühle. Es ist darum nicht zu verwundern, daß Mrs. Eddy, als sie die verlorene Wissenschaft des Christus-Heilens, die sie Christian Science genannt hatte, wieder entdeckte, einige der schlafenden Donner des odium theologicum erweckte.

Mrs. Eddys Entdeckung kam zu einer Zeit, da der Engel geistigen Forschens die Wasser des menschlichen Denkens bewegte. Der Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten war soeben beendigt worden und das Land war bis ins Innerste erschüttert durch Lincoln's wunderbare Aufforderung zur Liebe für Gott und Mensch. Auf dem Kontinent Europas hatte die Empörung gegen den Wienervertrag und seinem Materialismus in dem Aufstand der Magyaren, in den Barrikaden von Paris und den Predigten von Mazzini und Garibaldi Ausdruck gefunden; während Preußen und Österreich, die sich vereinigt hatten um Dänemark zu berauben, miteinander über die Beute zankten. England war solchen Gewalttaten ausgewichen; das Niederreißen von einer halben Meile Parkgeländer und das Zerstampfen einiger Blumenbeete genügten um ein Reformgesetz durchzubringen. So bewegte sich die Welt an jenem Februar Abend, als Mrs. Eddy auf einem Fußpfad in Lynn auf dem Eis glitt und die Verletzungen erlitt, von denen sie durch das Lesen ihrer Bibel geheilt wurde, nachdem der Arzt die Hoffnung aufgegeben. „Und siehe, da brachten sie zu ihm einen Gichtbrüchigen, der lag auf einem Bette. Da nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Sei getrost, mein Sohn; deine Sünden sind dir vergeben. Und siehe, etliche unter den Schriftgelehrten sprachen bei sich selbst: Dieser lästert Gott. Da aber Jesus ihre Gedanken sah, sprach er: Warum denkt ihr so Arges in euren Herzen? Welches ist leichter: zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Stehe auf und wandle? Auf daß ihr aber wisset, daß des Menschen Sohn Macht habe, auf Erden die Sünden zu vergeben (sprach er zu dem Gichtbrüchigen): Stehe auf, hebe dein Bett auf und gehe heim! Und er stand auf und ging heim. Da das Volk das sah, verwunderte es sich und pries Gott, der solche Macht den Menschen gegeben hat.“

Die plötzliche Vergegenwärtigung der Bedeutung dieser Schriftstelle „öffnete“ die Heilige Schrift für sie. Während zwanzig Jahren hatte sie auf ihre eigene Art versucht das große Rätsel der Philosophen, das Problem der Ursächlichkeit, zu ergründen. Und jetzt, auf ihrem Bette liegend, empfing sie ihre erste klare Wahrnehmung dessen, was Christus Jesus an jenem Tage auf dem Ölberge gemeint, und was er in den Straßen von Kapernaum demonstriert hatte. Der menschliche Begriff von Himmel und Erde hatte sich in diesen achtzehn Jahrhunderten wunderbar verändert, aber hier war sie, in einem Lande von dem die Schriftgelehrten und Pharisäer nie gehört hatten, die Geschichte von der Heilung des Gichtbrüchigen zu Kapernaum lesend, mit zunehmendem geistigem Verständnis von dem was es alles bedeutete. Wie Johannes stand auch sie in der Gegenwart des ewigen Lebens am Auferstehungsmorgen „und sah und glaubte es.“ Was war es das Johannes gesehen hatte? Was war es das Mrs. Eddy sah? Etwas das sie sich selbst noch kaum erklären konnte. „Selbst dem homöopathischen Arzt der mit mir war,“ schreibt sie auf Seite 24 von „Retrospection and Introspection,“ „und sich meiner Heilung freute, konnte ich damals den modus meiner Befreiung nicht erklären. Ich konnte ihn nur versichern, daß der göttliche Geist ein Wunder vollbracht hatte — ein Wunder, welches, wie ich später lernte, in vollkommenem wissenschaftlichem Einklang mit dem göttlichen Gesetz stand.“ Was Mrs. Eddy an jenem Tage, so voll Ehrfurcht, erfahren hatte, war die Offenbarung der Unendlichkeit des göttlichen Gemütes, die das Schwert des Geistes ist, welches das Materielle vom Geistigen trennt.

Von ihrer Kindheit an hatte das Prinzip sie auf diesen Tag vorbereitet. Ihre Vorfahren gehörten zu den Covenantern und Puritanern von England und Schottland, die über den Atlantischen Ozean gekommen waren und in den Felsen Neu-Englands die Grundlage für das puritanische Amerika legten. Dieser Puritanismus war etwas mehr als bloßer religiöser Glaube. Es war die Liebe zum Prinzip, die Ehrfurcht vor heiligen Dingen, die Freiheitsliebe, das Beharren auf Wahrheit, der Puritanismus, der das Amerika eines George Washington und eines Abraham Lincoln machte. Diese Dinge sind Attribute Gottes, sie sind die Eigenschaften der Kinder Israels, derer, die in allen Zeitaltern die Bedeutung des Prinzips am besten gesehen und verstanden hatten. In ihrer kleinen Selbstbiographie verweilt Mrs. Eddy liebevoll auf ihren Ahnen, nicht um dessentwillen was es für das Heroldsamt bedeuten möchte, sondern für das, was es in der Geschichte der geistigen Entwicklung eines Menschen darstellt. Und weil sie diese Umstände im geistigen Fortschritt der Welt so zusammenschmieden wollte, schrieb sie (Poems, S. 11):—

Tapferes Britannien, gesegnetes Amerika!
Vereinigt euren Schlachtenplan;
Siegreich, alle die sie leben,—
Die Liebe für Gott und Mensch.

Was sich Mrs. Eddy an jenem Tage auf ihrem Bette in Swampscott tatsächlich vergegenwärtigte, war die Bedeutung dieser Liebe für Gott und Mensch. Sie sah, daß gerade weil es nur ein Gemüt gab, sich die menschlichen Bemühungen nach Gerechtigkeit in dem Jagen nach der Wirkung anstatt nach der Ursache verloren hatten. Eben weil er das so klar verstand, heilte Jesus den Gichtbrüchigen. Nachdem sie das durch ihre Bibel erfaßt hatte, mußte sie lernen täglich ihr Kreuz auf sich zu nehmen, in den Fußtapfen Christi zu gehen, und der Welt den Weg des Herrn klar zu machen. Das war „Die Große Entdeckung,“ die Entdeckung deren Ausarbeitung ihr Lebenswerk wurde, und die zur Gründung der Christian Science Kirche führte. Über all das hat sie auf Seite 25 von „Retrospection and Introspection“ geschrieben: „Die Bibel war mein Lehrbuch. Sie beantwortete meine Fragen, wie ich geheilt worden war; aber die Heilige Schrift hatte für mich eine neue Bedeutung, eine neue Sprache. Ihr geistiger Sinn erschien; und ich erkannte zum erstenmal in ihrer geistigen Bedeutung die Lehre und Demonstration Jesu, das Prinzip und die Regel der geistigen Wissenschaft und des metaphysischen Heilens, in einem Worte, die Christian Science.“

Die Geschichte von Mrs. Eddys irdischem Leben ist darum ungefähr in zwei Teile geteilt: Der Erste, von jenem sechszehnten Tag im Monat Juli des Jahres 1821 an, als sie auf der Farm bei Bow, in New Hampshire, wo sie ihre Kindheit verbrachte, geboren ward, bis zu dem Tage „Der Großen Entdeckung;“ eine Zeit, welche bewußt und unbewußt der Vorbereitung zu der wunderbaren Arbeit, die vor ihr lag, gewidmet war; der Andere, die Jahre, die dem Augenblick Der Großen Entdeckung folgten, Tage der Saatzeit und der Ernte. Diese Geschichte, eine Geschichte die sich über die ganze Welt erstreckt, auf einigen wenigen Seiten zu erzählen zu versuchen ist unmöglich. Doch ist es nicht unmöglich ein wenig von der Bedeutung derselben, wenn auch nur schwach, anzudeuten.

Mrs. Eddy war eine große Denkerin, und wie alle großen Denker litt sie darunter, daß sie ihrer Zeit voraus war. Ein jeder, der liest was die leitenden Theologen und die großen Gelehrten heute über das Thema der Versöhnung oder der ewigen Strafe schreiben, muß von Mitleid ergriffen werden für eine Generation, welche ihre eigene Intelligenz lächerlich macht und ihre eigene Mannheit durch dasselbe elende Gift, welches erst über Wycliffe und dann über Luther ergossen worden war, entehrt. Wycliffe und Luther gaben ihren Gegnern Schlag auf Schlag zurück. Mrs. Eddy wußte, daß der Tag solcher Kriegführung vorüber war. Mit unerschütterlich gutem Humor, heiterer Ironie und unentwegtem Mut antwortete sie ihren Verleumdern, indem sie ihnen riet die Herausforderung des Neuen Testamentes anzunehmen und ihren Glauben durch ihre Werke zu beweisen. Es war das auch eine schreckliche Herausforderung; denn sie trieb sie dazu die klare Bedeutung der Befehle des Evangeliums in Abrede zu stellen, doch nach und nach wurden ihre Stimmen merkwürdig still. Gelegentlich erhebt sich heute noch eine solche Stimme aus der Vergangenheit, aber niemand achtet darauf. Auf der philosophischen und wissenschaftlichen Seite der Frage war die Kluft vielleicht noch größer. Ein großer Naturwissenschafter, der vor einer Generation Wissenschaft und Gesundheit gelesen hatte, erklärte, daß die Schreiberin etwas erfaßt habe, aber er sei nicht sicher was es sei. Das war die Stimme eines Predigers in der Wüste. Von den Übrigen waren etliche gleichgültig, die meisten geringschätzend und einige rasend. Heute ist die anmaßende selbstbewußte Sicherheit verschwunden, und an ihre Stelle ist eine freundlichere Vernünftigkeit und eine größere Willigkeit wenigstens zu hören getreten. Das Geheimnis liegt darin, daß das menschliche Gemüt gerne mit der Unwirklichkeit der Materie als eine philosophische Spekulation spielt, sich aber dagegen auflehnt ihre Nichtsheit, die zugleich seine eigene Nichtsheit ist, als eine praktische Tatsache anzuerkennen, weil es einsieht, daß es von der Voraussetzung zur Demonstration übergehen muß. Mit außerordentlichem Scharfsinn sagt Mrs. Eddy auf Seite 345 von Wissenschaft und Gesundheit: „Dieser Gedanke von der menschlichen, materiellen Nichtsheit, den die Wissenschaft einprägt, bringt das fleischliche Gemüt zur Wut und ist die Hauptursache von der Feindschaft des fleischlichen Gemüts.“

Kurzum, die Christian Science hat schon längst ihre Windeln weggelegt. Sie hat ihre Stricke um die ganze Erde gewunden, nicht Stricke der Materie sondern des Gemütes, nicht durch Theorie sondern durch Demonstration. Ihre Zukunft liegt in ihren eignen Händen und diese Zukunft wird in dem einzigen Wort — Demonstration — zusammengefaßt. Mrs. Eddy betrachtete diese Tatsache ehrlich, wie sie sich jeder Frage gegenüberstellte, auf Seite viii vom Vorwort von Wissenschaft und Gesundheit. „Die Frage,“ schreibt sie dort, „was ist Wahrheit, wird durch Demonstration beantwortet — durch das Heilen von Krankheit, wie von Sünde; und diese Demonstration zeigt, daß das christliche Heilen am meisten Gesundheit verleiht und die besten Menschen zeitigt. Auf dieser Basis wird die Christliche Wissenschaft einen ehrlichen Kampf kämpfen.“ Genau dieselbe Gelegenheit war der Kirche des ersten Jahrhunderts der christlichen Zeitrechnung geboten worden, aber sie hatte sich ihrer nicht teilhaftig gemacht. Man lese die Briefe an die sieben Kirchen in Asien mit denen das Buch der Offenbarung beginnt, und das Geheimnis ist nicht länger ein Geheimnis. Damals schon hatte sich die Materie eingeschlichen, damals schon wichen sie von der Reinheit ab. Als die materielle Wolke dichter wurde verschwand die Macht des Heilens. Das war unvermeidlich. Um in dem Nebel der „dunkeln Zeitalter“ zu verschwinden brauchte das Christentum nur noch den ausgestreckten Arm Konstantins, der es in den Schutz, die Reichtümer und die Eitelkeiten der Welt hüllte. Und wieder ist die Arena der Welt der Arbeit der christlichen Heiler geöffnet worden, diesmal durch die Werke von Mary Baker Eddy. Ihre Geistigkeit, ihre Selbstlosigkeit, ihr Mut, hat ihnen die Gelegenheit errungen, und sie hat sie eines gerechten Kampfes versichert. Jahrelang kämpfte sie diesen Kampf beinahe allein. Vierundvierzig Jahre nach dem Tage Der Großen Entdeckung stand sie im Vordergrund der Schlacht, umgürtet mit der Wahrheit, gestiefelt mit Frieden, mit dem Panzer der Gerechtigkeit angetan, den Schild des Glaubens am Arm, den Helm des Heils auf dem Haupte und das Schwert des Geistes in der Hand. Das Ergebnis ist die Christian Science, die mächtiger ist als das Schwert Pharaos, mit größerem Wissen begabt als das der Griechen und die weiter reicht als das Reich der Cäsaren. Es ist die Stadt die auf einem Berge liegt.

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