Keine Bezeichnung wird wohl von Christlichen Wissenschaftern so oft auf Christus Jesus angewandt wie die als Wegweiser. In Liebe denken sie daran, daß Jesus denselben Weg gegangen ist, den alle Sterblichen gehen müssen, um das himmlische Ziel zu erreichen, und es beruhigt sie zu wissen, daß er jeden Schritt auf dieser Wanderung erprobt und richtig ausgeführt hat. Sie sehen ein, daß Jesus, wie Paulus sagt, „versucht“ war „allenthalben gleichwie wir, doch ohne Sünde,“ und daß er also nicht allein den Weg wies, sondern auch ein tatsächliches Beispiel dafür lieferte, wie alle Schritte richtig, in allmählichem Fortschritt und siegesgewiß getan werden müssen. In Liebe und Verehrung gedenken sie seiner wundervollen Siege über Sünde, Krankheit und Tod, und sie stimmen Mrs. Eddys Worten über ihn bei, wenn sie auf Seite 26 von „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ sagt: „Wenn wir auch Jesus verehren, und unser Herz von Dankbarkeit überfließt für das, was er für die Sterblichen getan hat — indem er zu dem Thron der Herrlichkeit hinan seinen Pfad der Liebe einsam wanderte und in wortloser Qual für uns den Weg erforschte —, so erspart Jesus uns doch nicht eine einzige individuelle Erfahrung, wenn wir seinen Geboten getreulich folgen.“
Ja, die Christlichen Wissenschafter sind voll und ganz überzeugt von der Größe der Demonstration Jesu. Wie steht es aber mit dem Befolgen seiner Gebote? Wie viele von uns erforschen sein Leben und seine Werke wirklich mit der Absicht herauszufinden, welche Schritte wir tun müssen, und wie wir sie tun müssen, um den von ihm gewiesenen Weg zu gehen? Sind nicht statt dessen viele damit zufrieden, seine Gebote von einem gewissen allgemeinen Standpunkt aus zu betrachten? Und wie viele machen sich klar — obwohl sie gerne begeistert von seinem wunderbaren Lebenswerk sprechen —, daß, da Jesus unser Wegweiser ist, alle seine Worte und Werke von größter Bedeutung für uns sind, wenn wir hingehen und „desgleichen“ tun sollen?
Selbst ein geringes Verständnis von dem Buchstaben der Christlichen Wissenschaft ermöglicht es dem Schüler zu verstehen, daß der Weg, den Jesus ging, der Weg vom Sinn zur Seele war. Es war der Weg, der aus den Annahmen eines mutmaßlichen, von Gott getrennten Lebens in der Materie herausführt zu dem Beweis, daß der Mensch stets und in alle Ewigkeit der Sohn Gottes ist — das Bild und Gleichnis des unendlichen Geistes, das Ebenbild von Leben, Wahrheit und Liebe, das stets und in alle Ewigkeit mit dem Vater vereint ist. Jeder Christliche Wissenschafter nimmt dies bedingungslos an. Sind wir uns jedoch alle der Notwendigkeit bewußt, daß wir das Leben unseres Meisters eingehend und ernsthaft erforschen müssen, um das Licht zu erhalten, das wir auf unserem eigenen Wege brauchen? Wie oft stolpern wir blindlings vorwärts ohne den geringsten Versuch, herauszufinden, was Jesus in ähnlichen Lagen tat wie die, in denen wir uns befinden?
Daß solches Studium nicht eifriger betrieben wird, hat wohl seinen Grund teilweise darin, daß falsche Religionslehren ein Hindernis dagegen aufgebaut haben. Die Auslegung der schulmäßigen Theologie, daß die irdischen Erfahrungen Jesu von den unsrigen gänzlich verschieden seien, hat es uns beinahe unmöglich gemacht, den gepriesenen Wegweiser in ihm zu sehen. Die Christliche Wissenschaft hat uns jedoch wieder dazu verholfen und zeigt uns, welche reichen Schätze für uns vorhanden sind, wenn wir das Wesen Jesu daran zu erkennen suchen, wie es sich selbst offenbarte. Sie zeigt uns, daß Jesus so eng verbunden mit Gott wandelte, daß er die Gegenwart des Guten und seine Macht, das Böse zu besiegen, stets beweisen konnte. Er lieferte den tatsächlichen Beweis, daß der Christus immer gegenwärtig ist, um menschliche Annahmen durch die Wahrheit des Seins zu ersetzen. Dieses Verständnis von dem Christus — dem wahren Selbst oder geistigen Menschen — wandte Jesus beständig an, um das Menschliche durch das Göttliche zu ersetzen. Es verlieh ihm die Demut, die sich stets der Macht bewußt war, die darin liegt, daß man kein Gemüt anerkennt außer dem göttlichen Gemüt. Es gab ihm Milde, Erbarmen und Liebe. Es gab ihm die Kraft und den moralischen Mut, jede Annahme des Irrtums sofort bloßzulegen, zu rügen und zu zerstören. Es befähigte ihn zu unwandelbarer Treue zum göttlichen Prinzip! Wir wollen uns klar machen, daß jede göttliche Eigenschaft, die er zum Ausdruck brachte, jede Zuflucht, die er bei dem Christus fand, für uns genau so erreichbar ist wie für ihn,— wenn wir willig sind, Gott denselben unbedingten Gehorsam zu leisten. Jeder Mensch hat nicht nur das Recht, sondern er wird auch vor die Notwendigkeit gestellt werden, die vollkommene Geistigkeit zu erlangen, die Jesus zum Ausdruck brachte.
In seiner Sehnsucht nach Licht hat manches hungernde Herz ausgerufen: Wenn doch Jesus heute bei uns auf Erden wäre, dann würde meine Krankheit geheilt und meine Sünden könnten von mir genommen werden! Nun, die Christliche Wissenschaft ist hier und zeigt uns, daß alles, was Jesus sagte und tat und lehrte, heute so klar verstanden werden kann, daß die Werke, die er tat und uns zu tun befahl, hier und jetzt vollbracht werden können. Mrs. Eddy ermahnt uns immer und immer wieder, auf dem Wege zu gehen, den Jesus wies. Wie können wir aber diesen Weg finden und gehen lernen, wenn wir uns nicht mit dem Erdenleben unseres großen Wegweisers völlig vertraut machen? Welch reiche Ernte würde dem unfehlbar zuteil werden, der sich ehrfürchtig und hingebend in die Tiefen des Charakters Jesu versenkt! Welche Freude und welches Vorrecht ist es also, Jesu Leben und seine Werke genau zu erforschen — zu seinen Füßen zu sitzen wie seine Jünger vor alters — und von seiner tiefen Weisheit und der Größe seiner Erfahrungen zu lernen, wie wir ihn in der Tat als unseren Wegweiser beweisen können!
Sehr oft jedoch geben sich Schüler mit dem bloßen Verständnis seiner Worte zufrieden. Sie freuen sich womöglich darüber, sie so klar erfaßt zu haben, obwohl sie in Wirklichkeit Jesu Worte nur in dem Maße verstehen, wie sie imstande sind, seine Werke zu tun. Die Heilung der Kranken und die Umwandlung der Sünder war der Beweis, den Mrs. Eddy der Welt dafür gab, daß ihre Lehre auf der richtigen Auslegung der Worte Jesu beruht.
In seinem ernsten Bestreben, den Christus zu finden und zum Ausdruck zu bringen, vergißt der Christliche Wissenschafter manchmal, daß er dies nur erreichen kann, wenn er in den Fußtapfen Jesu wandelt. Er muß Jesus verstehen, d.h. nicht nur seine Lehren sondern auch seine Werke, denn so — und nur so — kann er den Christus, die Wahrheit, finden, wie die Christliche Wissenschaft sie offenbart. Das helle Licht, das die Christliche Wissenschaft auf das Leben und die Lehren Jesu wirft, macht sie zum Tröster. Sagte nicht Jesus selbst: „Der Tröster, der heilige Geist, welchen mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch erinnern alles des, das ich euch gesagt habe“? Sollten wir uns daher nicht bemühen, Christus Jesus, unseren Meister, unseren Wegweiser, besser kennen zu lernen, damit wir in seinen Fußtapfen wandeln können? Denn, wie Mrs. Eddy auf Seite 110 von „Miscellaneous Writings“ sagt: „Welch höheres Streben kann es geben als dies, alles in euch zu pflegen, was Jesus liebte, und dabei zu wissen, daß euer Beispiel, mehr als Worte es vermögen, die Sittlichkeit der Menschheit fördert!“