Es ist ein wichtiges Zeichen unsrer Zeit, daß man allgemein die schlimmen Wirkungen erkennt, die die Furcht auf Gesundheit und Glück ausübt, und daß man immer mehr einsieht, wie notwendig es ist, die Furcht zu überwinden. Von der Kanzel und der Rednerbühne herab, in der Presse und in der Schule, von allen Richtungen her ertönen die Aufforderungen, diesen schädlichen Feind der Menschheit auszumerzen und dadurch Harmonie, Wohlfahrt und Wohlbefinden sicherzustellen. Die Literatur wird durchsucht nach Aussprüchen großer Männer der Vergangenheit über diesen Gegenstand, und Äußerungen eines römischen Kaisers oder eines Kirchenvaters, eines Franziskanermönchs oder eines amerikanischen Philosophen, die die Richtigkeit des Kreuzzugs gegen die Furcht bestätigen, werden mit Begeisterung aufgenommen.
Die Schüler der Christlichen Wissenschaft sind sich darüber einig, daß diese Bewegung die rechte Richtung einschlägt und ein überaus ermutigendes Zeichen dafür ist, daß sich die Ereignisse vorwärts und aufwärts bewegen. Aber während die dringende Notwendigkeit, die Furcht auszumerzen, in jeder Hinsicht hervorgehoben wird, beobachtet man mit gewissem Erstaunen, daß niemand ein praktisches Mittel zur Erlangung dieses münschenswerten Zieles darbietet. Es hat keinen großen Wert, jemand zu sagen, er solle sich nicht fürchten, wenn man ihm nicht gleichzeitig zeigt, wie er sich von der Furcht frei machen kann. Wäre es nicht ungefähr dasselbe, als wenn man die große Notwendigkeit betonte, Krankheiten zu bekämpfen, ohne zugleich die Mittel anzugeben, wie es geschehen kann?
Die Christlichen Wissenschafter sind nicht im Zweifel über den Ursprung dieser allgemeinen Bewegung zur Überwindung der Furcht. Während des halben Jahrhunderts, seitdem Mrs. Eddy der Welt ihre Entdeckung gegeben und mit ihr die bestimmte Lehre über die schlimmen Folgen der Furcht und die Notwendigkeit ihrer Zerstörung, ist ihr Gesichtspunkt in solchem Umfang angenommen worden, daß dadurch dieser energische, immer mehr um sich greifende Feldzug gegen einen der ärgsten Feinde der Menschheit, gegen die zersetzende und einschränkende Furcht, hervorgerufen wurde. Zur Förderung dieser wünschenswerten Betätigung erfüllt die Christliche Wissenschaft einen dreifachen Zweck. Sie legt nicht nur die scheinbare Ursache der Furcht dar und erklärt ihre Folgen, sondern sie liefert auch ein Mittel für ihre vollständige Heilung.
Emerson sagt treffend in seinem „Amerikanischen Gelehrten”: „Furcht entspringt immer der Unwissenheit.” Furcht kann also nur einem Bewußtsein innewohnen, das sich über die Tatsachen des Seins, über die Allmacht, Allwissenheit und Allgegenwart Gottes, des unendlichen Guten, in Unwissenheit befindet. Eine Unkenntnis dieser grundlegenden Tatsachen macht den Boden des menschlichen Gemüts wie geschaffen für die Ausbreitung der Furcht und ihrer üblen Genossen, des Zweifels, des Kummers, des Argwohns und der Entmutigung. Tritt jedoch Verständnis an die Stelle der Unwissenheit, so verschwindet die Furcht in die Nichtsheit, aus der sie hervorgegangen. Weiter lehrt die Christliche Wissenschaft, daß Furcht letzen Endes immer aus dem Glauben an die Wirklichkeit des Bösen entspringt. Das ist nur eine Abänderung des Emerson’schen Satzes; denn da das menschliche Gemüt sein Vertrauen auf irgendeine Macht setzt, bedeutet Unkenntnis der Allheit und Güte Gottes zugleich einen Glauben an eine andre Gegenwart und Macht, die Gott entgegengesetzt und Ihm ungleich ist. Der Glaube, der dieses mutmaßliche Gegenteil des Guten, Böses genannt, als Wirklichkeit ansieht, beschäftigt sich notwendigerweise mit einer Macht und einem Reich, das dem Guten unähnlich ist; daher ist der Glaube an das Böse der Ursprung der Furcht. Und wenn dies der Ursprung der Furcht ist, kommt ihre Heilung dann nicht dadurch zustande, daß man die Wahrheit über Gott und Sein vollkommenes Weltall, einschließlich des Menschen, kennen lernt? Mrs. Eddy schreibt auf Seite 474 von „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift”: „Wahrheit zerstört Unwahrheit und Irrtum, denn Licht und Finsternis können nicht beieinander wohnen. Das Licht vertreibt die Finsternis, und die Heilige Schrift erklärt:, Da wird keine Nacht sein.‘ Für Wahrheit gibt es keinen Irrtum — alles ist Wahrheit.” Die weitreichende Wirkung der Wahrheit könnte kaum stärker betont werden.
Trotz der bestimmten Lehren unsrer Führerin besteht scheinbar die Neigung, gerade die Bedingungen im Gemüt zu hegen, die die Furcht am meisten unterstützen. Wenn es uns nicht gelingt, uns zu dem Verständnis von der großen Tatsache der Allheit Gottes emporzuschwingen und sie ganz und gar in uns aufzunehmen, kann sich eine zähe Annahme von der Wirklichkeit des Bösen in einem entfernten Winkel unsres Bewußtseins versteckt halten und da vielleicht unbewußt verweilen, bis sie in Zeiten der Not mit oft beunruhigender Plötzlichkeit und Stärke hervorbricht. Die Christlichen Wissenschafter besitzen das eine sichere Hilfsmittel dagegen. Es besteht darin, die Wahrheit beständig unser Bewußstsein durchsuchen zu lassen, damit auch die geringste Spur eines verborgenen Glaubens an das Böse entdeckt und ausgemerzt und so die letzte Grundlage der Furcht zerstört werden möge. Von der Gründlichkeit, mit der man diese Suche und Zerstörung betreibt, hängt es ab, wie frei man von Furcht sein wird. Diese Aufgabe ist allen Christlichen Wissenschaftern wohl bekannt, aber trotzdem wird sie nicht immer gründlich gelöst. Nichts ist jedoch notwendiger, und keine Demonstration ist reicher an guten Folgen.
Überdies, verstoßen wir nicht geradezu gegen das Erste Gebot, wenn wir uns der Furcht ergeben? Etwas fürchten heißt einer Macht außer Gott, dem Guten, Wirklichkeit beimessen. Ist das nicht eine Art Unglaube, eine Nichtanerkennung der Tatsachen des Seins? Die beständige Gegenwart des Guten, das kein Element des Bösen und nicht die geringste Unvollkommenheit enthält, erkennen und beweisen, heißt die Furcht aus dem Bewußtsein verbannen, denn dadurch wird ihre eigentliche Quelle, der Glaube an die Wirklichkeit des Bösen, zerstört.
Johannes gab uns ein überaus wirksames Heilmittel. Die vollkommene Liebe, die da ist Gott, das göttliche Gemüt, zerstört durch den Christus jede Spur des Glaubens an etwas, das dem Guten unähnlich ist. „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die völlige Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht hat Pein. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht völlig in der Liebe.” Vollkommene Liebe treibt in der Tat die Furcht aus. Für das Bewußtsein, das nur von der göttlichen Liebe, dem unendlichen Guten, erfüllt ist, kommt die Wirklichkeit des Bösen auch nicht einen einzigen Augenblick in Betracht, denn für ein solches Bewußtsein hat das Böse keine Wesenheit. Da der Furcht die Grundlage entzogen ist, hat sie nichts, worauf sie sich aufbauen, keinen Boden, in dem sie sich verbreiten könnte. Die Christlichen Wissenschafter danken Gott für dieses Verständnis, durch das sie Furchtlosigkeit beweisen können.
