Eine Monatsschrift brachte kürzlich einen Aufsatz über die Möglichkeiten, die sich uns eröffnen, wenn wir klarer erkennen und uns stärker bewußt werden, daß Gott gegenwärtige Wirklichkeit und wirkende Kraft ist und daß Seine Hilfe uns stets zu Gebote steht. Dieser Aufsatz war vom christlich-wissenschaftlichen Standpunkt aus besonders bemerkenswert, weil die darin erzählten seltenen und schönen Erlebnisse durchaus nicht vereinzelte und ungewöhnliche, sondern tägliche, wenn nicht stündliche Vorkommnisse im Leben derer sind, die in gewissem Grade die Wahrheit von Mrs. Eddys Erklärung in The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany (S. 238) bewiesen haben: „Gott kann verstanden und erkannt werden und wir können uns mit jeder menschlichen Not an Ihn wenden.”
Die Neigung des menschlichen Denkens, alles, was außerhalb des Bereiches des materiellen Sinnenzeugnisses liegt, in das Reich des Geheimnisvollen zu verweisen, hindert natürlich sehr daran, die Tatsache zu würdigen, daß das Unsichtbare, von dem Paulus spricht, wirklich und ausführbar ist. Das wollte Jesus von Nazareth besonders hervorheben, als er sagte, daß ein Mensch, der das Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, „nicht hineinkommen” wird. Ohne diesen kindlichen, aber keineswegs kindischen Gemütszustand, d. h. ohne die Bereitwilligkeit, vorgefaßte Meinungen aufzugeben, und den Fundamentalsatz, daß Gott ist und daß Er daher aus dem erkannt werden kann, das Ihn zum Ausdruck bringt, als Grundlage der Demonstration anzuerkennen, ist jede Möglichkeit, „mit der Wirklichkeit außerhalb der Grenzen unsres persönlichen Selbst in Berührung und Wechselbeziehung zu kommen,” wie es in dem erwähnten Aufsatz heißt, selbstverständlich ausgeschlossen. Daß es eine Wahrheit über alle Dinge gibt und daß diese Wahrheit die unsichtbare aber doch zugängliche Wirklichkeit ist, auf die der Meister in seiner Versicherung: „Und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen,” hinweist, darin liegt der Menschheit einzige Hoffnung auf Erlösung aus den Banden alles Unwahren, auf Befreiung von den Unzulänglichkeiten des Daseins, wie das Dasein heute allgemein aufgefaßt wird.
Ehe der Verfasser dieses Aufsatzes mit der durch die Christliche Wissenschaft geoffenbarten Wahrheit bekannt wurde, machte er eine lange Zeit des Zweifels durch, der zuweilen fast an Unglauben grenzte. Er war in dem Glauben an die herrschende Auffassung von Gott als einem menschenähnlichen Wesen erzogen und gelehrt worden, zu diesem Wesen zu beten, das je nach seinem Gutdünken das Gebet erhören würde oder nicht. Da er sich aber dauerndem Mißerfolg bei der Verwirklichung seiner edelsten Wünsche gegenübersah und sich gefesselt fühlte durch die begründete Überzeugung, wie nutzlos es sei zu erwarten, daß eine unveränderliche Gottheit sich durch menschliches Bitten beeinflussen lasse, empörte sich schließlich sein Gemüt, und er verbrachte viele Jahre in völliger Gleichgültigkeit gegen geistige Dinge. Mit der Zeit wurde er jedoch durch die Not seiner Mitmenschen aufgerüttelt und fühlte sich unbefriedigt durch die Unfruchtbarkeit einer bloß materiellen Lebensweise. Und als er einer Auffassung von Gott begegnete, die allem Anschein nach vielen geholfen hatte — eine Auffassung, die Überlegung und Verständnis verlangte statt bloßer Einwilligung und blinden Glaubens — da zog sein Gemüt die Möglichkeit, geistige Wahrheiten zu beweisen, von neuem in Erwägung.
Die klarere Auffassung von Gott als Geist, als unendliches göttliches Gemüt, die man in den Schriften Mary Baker Eddys, der Entdeckerin und Begründerin der Christlichen Wissenschaft, findet, und vom Menschen als dem Bild und Gleichnis eines makellosen Göttlichen Wesens — trotz allen gegenteiligen Scheins—, erforderte eine sofortige Berichtigung aller früheren Meinungen, und der Drang, die Wahrheit dieses neuentdeckten Ausgangspunktes zu verstehen und in die Tat umzusetzen, war unwiderstehlich. Was not tat, waren Beweise. Es schien vernunftgemäß, so zu folgern: Wenn fleischliche oder materielle Gesinnung der Tod und geistige Gesinnung Leben und Friede ist — wie der Verfasser des Römerbriefes behauptet—, dann würde der Beweis für den Wert des Ausgangspunktes für solches Denken in einem erhöhten Verständnis und Bewußtsein von Leben und wahrem Frieden zu finden sein. Geistiges Denken, soviel war klar, kann nicht von der Materie ausgehen. Es muß von Geist ausgehen, in Geist fortgesetzt werden und auf Geist allein beschränkt sein.
Wird einmal zugegeben, daß sich der große Unsichtbare dem Menschen je geoffenbart hat, daß das göttliche Gemüt Seine eignen reinen und vollkommenen Ideen je mitgeteilt hat, dann ist es klar, daß eine solche Offenbarung und Verleihung stets möglich ist. Daß sie mit den Schlußworten des letzten Kapitels der Bibel aufgehört haben soll, ist eine Voraussetzung, die jeder vernünftigen Grundlage entbehrt. Man sollte vielmehr erwarten, daß der Christus-Sinn, der nach den Worten der Offenbarung erklärt: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an,” seine erhabene Verheißung erfüllen und „zu dem ... eingehen [wird],” der willig ist, die Tür aufzutun. Die darauf folgende Bekundung von Immanuel, von „Gott mit uns,” wird unverkennbar sein. Es wird sich herausstellen, daß sie immer noch Heil unter ihren Flügeln trägt.
Kurz nachdem der Verfasser dieses Feld geistiger Forschung betreten hatte, empfand er eines Tages große körperliche Schmerzen. Er versuchte nun sogleich, sich die Wahrheit, mit der er eben vertraut wurde, selbst zu beweisen. Trotzdem er sich die Tatsache zu vergegenwärtigen suchte, daß es im unendlichen Guten keinen Raum für solche unharmonischen Zustände gibt, blieben diese doch eine ganze Weile hartnäckig bestehen. Er verließ daher seine Arbeit und begab sich unter heftigen Schmerzen nach Hause, wobei er aber in Gedanken ständig daran festhielt, daß Gott helfen kann. Plötzlich hörte er deutlich den Befehl — so als ob sich eine unsichtbare Gegenwart an ihn wendete—: „Seid stille und erkennet, daß ich Gott bin.” Die Schmerzen ließen fast augenblicklich nach, und als er einige Minuten später zu Hause anlangte, war jede Spur davon verschwunden. Ein ander Mal, als der Verfasser Jahre danach gegen einen Zustand ankämpfte, der sein Leben oder seinen Verstand oder beides bedrohte, vernahm er ein „Schweig und verstumme!” in den Worten eines der so beliebten Lieder unsrer Führerin (Gedichte, S. 12):
„Und auf der Erde wilder See
Naht Christus dort,
Spricht liebevoll, daß ich versteh
Sein göttlich Wort.”
Welcher Christliche Wissenschafter hat nicht in der Stunde der Prüfung schon die Erfahrung gemacht, daß die göttliche Liebe ihre eigne sichere Art hat, ihn zu erreichen und seine Not zu stillen? Durch die heiligen Bücher der Bibel, durch die erleuchteten Schriften unsrer Führerin, durch unsre eigne heilige, innere Verbindung mit Gott kann uns die Liebe die Hilfe verleihen, die wir brauchen, und tut es auch. Über zwanzig Jahre ist nun der Verfasser dieses Aufsatzes bestrebt gewesen, die Wirklichkeit und Anwendbarkeit geistiger Wahrheiten zu beweisen, und in dieser Zeit hat er zahllose Beweise von der Wahrheit der segenspendenden Lehren der Christlichen Wissenschaft selbst erlebt und an andern gesehen. Was früher rätselhaft und untunlich, wenn nicht gar unmöglich schien, ist nun ausführbar und zur Gewißheit geworden.
Gegen eins jedoch lehnt sich das sogenannte menschliche Gemüt am stärksten auf, nämlich gegen den Versuch, ihm seinen Glauben an die Materie zu nehmen, obwohl dieser Glaube ihm am meisten Kummer und Sorge verursacht. Und doch ist ohne das Aufgeben der Annahme von Leben in der Materie ein Fortschritt Geist-wärts unmöglich. Die Bibel selbst erklärt, „daß Fleisch und Blut nicht können das Reich Gottes ererben.” Wer geistige Tatsachen beweisen möchte, darf keinen Vergleich schließen und keine unsichere Stellung einnehmen. Entweder ist Geist, Gott, unendlich und daher immergegenwärtig, oder Er ist es nicht. Logischerweise kann es nichts außerhalb der Unendlichkeit geben, noch kann sie etwas enthalten, was ihr unähnlich ist, und bei der täglichen Beweisung dieser Wahrheit erlebt der Christliche Wissenschafter höhere und völlig befriedigende Bekundungen von Immanuel oder „Gott mit uns.”
