Skip to main content Skip to search Skip to header Skip to footer

Joseph und die Grube

Aus der Juli 1923-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Der bei Bibellesern so beliebte junge Joseph war, wie wir wissen, ein Jüngling, der Gesichte und Träume hatte und von hohen Idealen beseelt war. Diese Ideale und seine geistigen Gaben sollten in seinem Mannesalter eine wichtige Rolle in den Angelegenheiten seines Landes spielen und diesem in der Zeit der Hungersnot und des Elends zum Segen werden. Und doch, wie wurden seine Träume mißverstanden und verhöhnt! Wie reizten sie das menschliche Gemüt auf, und wieviel Unheil wurde durch die Eifersucht und den Haß angerichtet, der durch sie aufgestört wurde! Weil er den Traum von den Garben hatte, in welchem die Garben seiner Brüder sich vor seiner Garbe neigten, glaubten die Brüder, er wolle sich über sie erheben, und haßten ihn darum noch mehr. Ihre materielle Gesinnung fühlte sich unbehaglich in seiner Gegenwart, eben weil ihr Stolz und ihr Ehrgeiz aufgedeckt wurde. Ja, die geistige Natur Josephs brachte in diesen weniger geistig veranlagten Menschen die tierischen Regungen an die Oberfläche, die betrügen, sich verschwören und morden wollen und die Joseph schließlich in die Grube warfen und in ein fremdes Land verkauften.

Doch, in Josephs Natur lag es zu segnen; er beanspruchte nichts für sich selbst. War es dann gerecht und billig, fragen wir unwillkürlich, daß diesem Jüngling eine solche Behandlung zuteil wurde? Wenn Gott gütig und allmächtig wäre, würde Er dann solche Ungerechtigkeit dulden? Warum strafte Er die falschen Brüder nicht und setzte Joseph in Freiheit? Aber wenn wir tiefer blicken, müssen wir uns fragen: Ja, hat denn wirklich das Böse den Sieg davongetragen in der Grube? Obwohl Joseph in die Fremde verkauft wurde, ist ihm doch kein Übel begegnet; im Gegenteil, er wurde wohlhabend und sehr beliebt. Auch später, als er durch weibliche Falschheit ins Gefängnis kam, siegte das Böse nicht; denn er ging als Fürst daraus hervor. Schließlich neigten sich auch seine Brüder vor ihm: Haß, Gifersucht und Neid neigten sich, wie in dem Traum, vor der Überlegenheit des Geistes. Und Joseph erzeigte sich barmherzig gegen seine Brüder; er speiste und tröstete sie und sagte: „Ihr habt mich nicht hergesandt, sondern Gott” — nicht das Böse, sondern das Gute hatte in seinem Leben obgesiegt. Obwohl das Böse gewissermaßen sein Ziel zu erreichen schien, wurde doch seine Wirkung durch die Wirkung des Guten überwunden, denn Joseph, der sich auf den geistigen Sinn stützte, hatte inmitten aller Ungerechtigkeit Liebe wiedergespiegelt.

Sehen wir, wie die Unschuldigen für die Schuldigen leiden und die Untadelhaften getadelt werden, so laßt uns über den zeitweiligen Erfolg des Bösen hinwegsehen, ja unsern Blick über die menschliche Gerechtigkeit hoch hinausrichten. Dann werden wir verstehen lernen, daß alles Unrecht im menschlichen Leben schließlich seine Umkehrung findet und daß Gottes Herrlichkeit bewiesen werden wird, wenn wir uns der göttlichen Gerechtigkeit unterftellen. Ist es aber gerecht, entringt sich uns die Frage, daß unschuldige Völker beraubt, daß ihre Heimstätten und Städte zerstört und Frauen und Kinder getötet werden? Gewiß nicht! Die Hand Gottes, der göttlichen Gerechtigkeit, hat an allen diesen Untaten keinen Anteil. Aber trotz der Grausamkeiten, Meßeleien und Kriege dieser letzten Zeit wird die ganze Welt gesegnet. Mitten in dem riesenhaften Kampfe zwischen Gut und Böse wird der Welt die wahre Volksherrschaft gegeben. Selbstaufopferung und Brüderschaft kommen mehr denn je zum Ausdruck; Stolz, Selbstsucht und falsche Überlieferungen werden niedergerissen, und ein reines Christentum wird verwirklicht. Obwohl unzählige Ungerechtigkeiten begangen worden sind, die menschlich nie ausgeglichen werden können, so segnet doch die göttliche Gerechtigkeit, dadurch daß sie den Geist der Wiedervergeltung vertreiben und den Haß überwinden hilft, den Rechtgesinnten mit Frieden, Herrschaft und Freude, und vergilt schließlich durch die völlige Vernichtung des Übels.

Wie verschieden ist doch die göttliche Gerechtigkeit, eine Eigenschaft des göttlichen Prinzips, das auf die Gerechten wie auf die Ungerechten scheint, von der menschlichen Auffassung von Gerechtigkeit! Sie vergilt nicht Auge um Auge oder Zahn um Zahn, sondern überwindet und heilt die Ungerechtigkeit stillschweigend dadurch, daß sie Böses mit Gutem vergilt. Wenn sie zum Krieg gezwungen wird, dann kämpft sie ohne Haß. Entschlossen, ja streng, und doch milde und freundlich, klammert sie sich nicht an den bloßen Buchstaben des Gesetzes, sondern strahlt Barmherzigkeit, Liebe und Versöhnlichkeit wieder. Sie segnet den Übeltäter, zerstört aber das Übel. Können wir somit nicht alle Vergeltung vertrauensvoll in die Hände der göttlichen Gerechtigkeit legen und liebevoll unsern Weg verfolgen? Weisheit und göttliche Gerechtigkeit gehen Hand in Hand. Sie sind die Richter für die ganze Welt. Werden sie nicht ein recht Gericht richten?

Andrerseits kann die sogenannte menschliche Gerechtigkeit, die das Vergehen wie eine Wirklichkeit behandelt, die Ungerechtigkeit nie wirklich heilen, sondern ihr höchstens Einhalt gebieten. Da sie die Lage selbst in Ordnung bringen will, sagt diese menschliche Gerechtigkeit: Stehe ein für deine Rechte, wehre dich und vergilt Gleiches mit Gleichem. Hat aber das sogenannte sterbliche Gemüt, das in seinem Mangel an Weisheit das Böse nicht verhindern kann, das Recht und die Weisheit, es zu vergelten? Wenn diese falsche Auffassung von Gerechtigkeit nicht durch das göttliche Prinzip gemäßigt wird, so kann sie sogar zu Ungerechtigkeit und Unduldsamkeit führen; denn sie trägt den Keim von Unwillen, Groll und Gewalt in sich. Sie möchte mit dem Blitzstrahl rechten; möchte dem Unrecht das Recht erklären, das es doch nie verstehen will. Sie möchte Vollkommenheit von der Unvollkommenheit erzwingen, und vergibt oft das, was nicht vergeben werden darf. Da sie kein Verständnis vom Prinzip hat, kann eine solche Auffassung von Gerechtigkeit leicht von menschlichen Gefühlen übermannt werden, was dazu führt, daß ihre Versuche, gerecht zu sein, fehlschlagen. Sollten wir daher nicht die menschliche Gerechtigkeit der göttlichen dienen lassen?

Wer persönliche Rechte aufgibt, wer dem, der ihn schlägt, die andre Backe auch darbietet, wer sich vor dem Unwetter beugt unter das Gesetz der göttlichen Gerechtigkeit, der unterwirft sich nicht dem Übel. Daß der Meister scheinbar seine Kreuzigung zuließ, heißt nicht, daß er sich dem Übel unterwarf. Nein, er besiegte es unter göttlicher Leitung. Er war gütig gegen Judas; aber Judas erhielt seine Strafe, während der Meister gesegnet wurde und durch seine Himmelfahrt die Krone gewann. Mrs. Eddy, die Undankbarkeit, Ungerechtigkeit und Kränkung im Übermaß erfuhr, sagt in The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany (S. 165): „Die Gerechten leiden für die Ungerechten; und durch diesen Geist lebt und entwickelt sich der Mensch und durch ihn regiert Gott.”

Es gibt wenige, die nicht durch falsche Brüder Unrecht erlitten haben. Ja, es mag Zeiten geben, von denen wir mit David sagen: „Ich wäre verzagt, wenn ich nicht doch geglaubt hätte, daß ich die Güte des Herrn sehen würde.” Psalm 27:13, nach der engl. Bibelübersetzung. Es gibt gewisse Dinge, die fast unverzeihlich, fast unerträglich scheinen. Trotzdem dürfen wir Ungerechtigkeiten nicht in unserm Bewusstsein hegen, nicht über sie nachgrübeln oder gar Groll darüber empfinden, wenn wir Fortschritte machen und glücklich sein wollen. Wer das Verlangen hat, sich zu „rächen,” hat keinen Sieg zu erwarten. Jesus konnte seine Macht über das Böse beweisen, weil er von dem Verlangen nach Wiedervergeltung frei war. Hätte er den Beweisgründen eines menschlichen Begriffs von Gerechtigkeit nachgegeben, so hätte das Gesetz der göttlichen Gerechtigkeit vielleicht den Sieg davongetragen in seinem Leben. Wenn wir keinen Groll empfinden, obwohl wir wissen, daß Verschwörung gegen uns im Gange ist, dann erheben wir uns über die Bedrückung und tragen den Sieg über das Unrecht davon.

Murre daher nicht, wenn du in die Grube des Mißverständnisses geworfen oder in ein fremdes Land verkauft wirst, wo die Ungerechtigkeit die Oberhand hat und die Gerechten für die Ungerechten leiden. Schaue in jeder Richtung über die menschlichen Angelegenheiten hinaus, und du wirst gewahr werden, daß Gott über den Seinen wacht. Du wirst verstehen, daß du dich nicht zu fürchten brauchst, weil Ungerechtigkeit von kurzer Dauer ist und schließlich auf sich selbst zurückwirkt. Mißverständnisse, Beleidigungen, Verrat, alles kann zum Lobe Gottes dienen und im Guten enden. So laßt uns die bitteren Tränen trocknen, mit falschen Brüdern freundlich umgehen und unter den Wolken der Ungerechtigkeit geduldig weiterarbeiten. Dann wird die Macht der göttlichen Liebe obsiegen im Kerker und in der Grube, und wir werden durch die gegenwärtigen Ungerechtigkeiten hindurch Gottes ewige Gerechtigkeit erblicken.

Wenn Sie mehr Inhalte wie diese erforschen möchten, können Sie sich für wöchentliche Herold-Nachrichten anmelden. Sie erhalten Artikel, Audioaufnahmen und Ankündigungen direkt per WhatsApp oder E-Mail. 

Anmelden

Mehr aus dieser Ausgabe / Juli 1923

  

Die Mission des Herolds

„... die allumfassende Wirksamkeit und Verfügbarkeit der Wahrheit zu verkünden ...“

                                                                                                                            Mary Baker Eddy

Nähere Informationen über den Herold und seine Mission.