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Vergeben und Vergessen

Aus der Juni 1924-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Immer und immer wieder haben die Menschen danach verlangt, zu vergeben,—ja, und auch zu vergessen! Doch wie selten haben sie es verstanden, wahres Vergeben und Vergessen zu vollbringen! In der Tat ist dies im allgemeinen für so schwierig gehalten worden, daß die Menschheit Jesu Ermahnung, „siebzigmal siebenmal” zu vergeben, anscheinend in das Reich des Unmöglichen verwiesen hat. Mancher, der sich Christ nennt, hat sich unter dem Druck eines ihm zugefügten Unrechts eingeredet, Groll und Wiedervergeltung seien christliche Tugenden, und seien sogar zum Wohle desjenigen, der das Unrecht begangen hat, nötig.

Mose lehrte „Auge um Auge, Zahn um Zahn”, weil er an Gott als einen Gott glaubte, der sowohl lieben als auch hassen konnte. Von diesem Standpunkt aus sah er das, was er die Gerechtigkeit Gottes nannte. Darum war er überzeugt, daß die Menschen Feinde hätten, und daß es ganz richtig sei, wenn sie sie haßten. Sein Verständnis von dem großen „Ich bin” (engl. Bibel) überragte indessen bei weitem dasjenige der heidnischen Völker rings um ihn her, die überhaupt keinen Begriff von dem einen und alleinigen Gott hatten.

Dann kam Jesus, der die Welt auf eine höhere Stufe emporhob und den Menschen sagte, daß sie ihre Feinde lieben müßten. Er predigte dies nicht nur, sondern er selbst betätigte auch seine Gebote. Er verstand und demonstrierte vollkommen die Macht zu vergeben; denn er wußte, daß Gott Liebe ist. Die Welt war damals nicht darauf vorbereitet, daß der Weg, auf dem Jesus dies vollbrachte, sich ihr hätte entfalten können. Erst als der „Tröster, der heilige Geist”, der nach Jesu Verheißung die Menschen „in alle Wahrheit leiten” sollte, in der göttlichen Wissenschaft geoffenbart wurde, war die Art, wie man vergibt und vergißt, vollständig erklärt.

Diese Wissenschaft macht mit dem Begriff Feinde ein Ende; sie zeigt die Wirklichkeit und lehrt uns, „wir haben keine Feinde” (Miscellaneous Writings, S. 10). Es erhebt sich daher die große Frage: Wie kann dies bewiesen oder demonstriert werden? Denn solange man glaubt, daß einem Unrecht geschehen ist, wird man fast unvermeidlich darüber grollen und an Feinde glauben. Wenn man glaubt, es könne jemand Unrecht geschehen, so glaubt man auch, daß es jemand gibt, der die Macht hat, unrecht zu tun. Unrecht wird einem daher als sehr wirklich erscheinen. Jede solche Annahme gründet sich natürlich gänzlich auf eine materielle sogenannte Schöpfung mit all ihren bösen Trieben und schädlichen Folgen. Sie läßt einen andern Schöpfer als den einen Gott, der das unendliche Gute ist, zu und vertritt eine andere Schöpfung als Seine vollkommene. Eine solche Annahme baut das Denken auf der Grundlage auf, auf der das ganze Unrecht, das die Welt gekannt hat, begangen worden ist.

Der Christliche Wissenschafter wird die Richtigkeit einer solchen Schlußfolgerung ohne weiteres anerkennen. Und doch scheint er oft zu glauben, es sei ihm Unrecht geschehen; er scheint noch darüber zu grollen, manchmal sogar mit der Absicht wiederzuvergelten; noch oft ruft er verlangend aus: Wie kann ich vergeben—und vergessen lernen? Wie jede andere Lehre in der Christlichen Wissenschaft, muß auch diese nach und nach gelernt werden. Es müssen kleine Siege errungen werden, ehe die größeren möglich sind. Das Verfahren ist immer dasselbe: Wir müssen die absolute Wahrheit, daß Gott Liebe und der Mensch Sein Bild und Gleichnis ist, als die Grundlage all unserer Arbeit annehmen und dann alle weiteren Schritte tun, die zum endgültigen Sieg führen.

Es ist daher ohne weiteres erkennbar, daß wir, um wahrhaft zu vergeben und zu vergessen, stets dasselbe Hindernis, das uns auf unserer Reise himmelwärts beständig entgegentritt, überwinden müssen,—nämlich den Glauben an ein irrtümliches Selbst, ein Selbst in der Materie, das daher von der göttlichen Liebe getrennt ist,—jenes Selbst, von dem Jesus sagte, wir müßten es verleugnen, wenn wir ihm folgen wollen, das Selbst, das er so siegreich überwand, indem er sich weigerte, auch nur für einen Augenblick zuzugeben, daß er weder unrecht tun noch Unrecht leiden könnte, daß er je weniger als das Spiegelbild der Liebe sein könnte. Wie geduldig lernte er die Aufgabe des Vergebens und Vergessens! Und wie mächtig war sein Sieg! Derselbe Sieg ist unser, wenn wir seinem Gebot gehorchen und unentwegt damit fortfahren, alles was nicht Liebe und Wahrheit ist, zu verneinen und zu verwerfen.

Wenn wir auf diese Weise lernen, die Annahme von einem von Gott getrennten Dasein zu verneinen, werden wir sowohl vergeben als auch vergessen können. Ein Versuch, das Böse gegen uns zu richten, wird sich sogar als Segen erweisen. Denn, wenn wir Gott und Seinem Christus treu bleiben, werden wir dadurch gezwungen, den Glauben an ein Selbst, dem Unrecht oder Schaden zugefügt werden könnte, noch gründlicher aufzugeben. Haben wir diesen Punkt gewonnen, so werden wir nicht mehr den Wunsch haben, einander durch Grollen oder Wiedervergelten zu betrüben; und es wird nur Liebe übrig bleiben für den, der gegen uns gesündigt hat. Wenn wir so vergeben haben, werden wir ohne weiteres vergessen können. Denn wie könnten wir uns dessen erinnern, das beim Demonstrieren der Unwirklichkeit des Bösen durch die Vergegenwärtigung der allumfassenden Liebe aus dem Bewußtsein getilgt ist? Was für ein wunderbares Vorrecht haben wir doch,—das Vorrecht, so vergeben und vergessen zu lernen, daß wir schließlich beweisen werden, „wir haben keine Feinde”!

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