Freuet euch, lobet Gott, seid fröhlich! ist der Sinn des göttlichen Wortes, die klare Botschaft, die die geistig Wachen, die ihr Gewand durch Leiden und geistiges Verständnis rein waschen, in ihrer mächtigen Bedeutung erfassen. Auf dem tränenvollen Antlitz der Mühseligen und Beladenen, die in der Christlichen Wissenschaft vor den Schmerzen und Freuden der Sinne Zuflucht gesucht haben, hat mancher Vertreter der Christlichen Wissenschaft den Ausdruck des Entsetzens wahrgenommen, als ihnen gesagt wurde, daß sie sich freuen müßten, wenn sie in der Christlichen Wissenschaft gänzlich wiederhergestellt werden möchten.
Die Aufmunterung, man soll sich freuen, während einem das Herz beinahe bricht, kommt einem Leidenden, an den sie gerichtet ist, unsinnig, ja sogar wie eine Verhöhnung vor. Wie soll man sich freuen können, wenn einen die ganze Welt von allen Seiten zu bedrängen und es für den erschreckten, leidenden Sinn nur eine schwache Hoffnung zu geben scheint, daß ein Lichtstrahl je wieder zu sehen sein wird? Da sich die menschliche Vernunft der geistigen Forderung: „Freuet euch und frohlocket” widersetzt, so ist sie stets mit dem Einwand des sterblichen Gemüts bereit: Gewiß kann man „sich freuen und frohlocken”, wenn und nachdem man geheilt ist.
Der Vertreter aber, der pflichtgetreu den schmalen Weg gegangen und gehorsam sich gefreut hat, wird dem verständnislosen Einwand oder Widerspruch des Patienten fest aber liebevoll entgegentreten und ihn trotzdem ermutigen, sich zu freuen. Der Patient denkt vielleicht beim Weggehen darüber nach, selbst wenn es ihn für den Augenblick anscheinend verwirrt hat. Ist er aber aufrichtig und willig, um von dem, was ihn in Sünde, Krankheit oder Unglück gefesselt hält, geheilt zu werden, dann gehorcht er. Wenn das ringende Menschenherz in dem ihm bisher unbekannten Reich des Geistes anfangs nach Licht sucht, gleicht seine Lobpreisung Gottes wohl nur einem unsicheren Flüstern. Wenn dann aber der Stolz gedemütigt und das Herz geläutert ist, ruft er aus: Vater, Gott, lehre mich, wie ich mich freuen kann; mache mich dankbar; heile mich!
Ein solches Sehnen birgt seinen Lohn in sich. Das Verlangen nach Licht, nach Wachstum in der Gnade, tue es sich nun in bestimmten Worten oder nur in unausgesprochenen Gedanken kund, ist Gebet. Solches Beten geht dem Lobpreisen voraus. Wer fortfährt, in dieser Weise zu streben, dem entfaltet sich schließlich die herrliche Gewißheit von Gottes immer gegenwärtiger, geduldiger, erbarmender Liebe und von dem, was sie für uns getan hat und noch tut. Das Fröhlichsein kommt dann wirklich aus dem Herzen, nicht nur von den Lippen. Das gedemütigte Herz ist geläutert und froh, und Traurigkeit ist in ungehindertes Lobpreisen verwandelt.
Sich geistig freuen heißt nicht nur singen und fröhlich sein, sondern Gott in allen Dingen anerkennen. Es heißt auf der Hut sein, wachsam sein und den Irrtum beständig verneinen. Sich freuen, im vollen Sinn der geistigen Forderung, heißt auch dem göttlichen Gebot „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben” gehorsam sein. Es heißt der scheinbaren Irrtumswelt erklären, ja, ihr von der Höhe geistigen Verständnisses herab mit großem Mut zurufen: „Der Herr, unser Gott, ist ein einiger Herr”. Bei unserem Wachstum Geist-wärts sich freuen heißt Gott lieben und das Gesetz „Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst” erfüllen; denn ohne aufrichtige Liebe zu Gott und dem Menschen gleicht unsere Freude einer klingenden Schelle und kann nicht an den unendlichen Vater-Mutter Gott heranreichen, von dem „alle Segnungen kommen”.
Sich freuen heißt zu der täglichen Aufgabe, in die unmittelbare Umgebung, wie trübe und uninteressant sie auch sein mag, alles Gute bringen, dessen wir uns bewußt sind. Sich freuen heißt sich willig belehren lassen, wie die einem entgegentretende Schwierigkeit überwunden werden kann, es heißt ein demütiges, selbstloses Verlangen haben, die Arbeit gut und freudig zu tun und in jeder richtigen Weise dienstfertig zu sein. Sich freuen heißt verstehen, daß Arbeit adelt; es heißt durch rechtes Denken jede Einflüsterung, daß man ein Opfer würdeloser Unterwerfung sei, zerstören; es heißt Gott, das Gute, in allen Tätigkeiten der eigenen Erfahrung sehen. Sich freuen heißt sich vergegenwärtigen, daß wir bei jedweder vorliegenden Arbeit, sei sie auch noch so niedrig, den Vater verherrlichen können; es heißt damit beginnen, das Verständnis, das man hat, gerade da zu betätigen, wo man ist,—im Bureau, zu Hause, im Geschäft, auf dem Feld, in den Tiefen des dunklen Bergwerks, auf der See, am Steuer des pfeilgeschwinden Flugwerkzeugs. Ungeachtet der Zustände, Beschränkungen und Beziehungen, die das sogenannte sterbliche Gemüt darbietet, ist Harmonie das Gesetz von Gottes Weltall, in allem, über allem; und Freude ist sein Grundton.
Der herrliche Bericht über den Fall der Stadt Jericho wäre wohl nie geschrieben worden, wären nicht die Getreuen jener Tage gehorsam gewesen und hätten nicht das Gebot befolgt, vorwärts zu gehen, ein Feldgeschrei zu machen, Gott zu preisen, sich zu freuen. Man kann nicht einen Augenblick lang annehmen, daß jene scheinbar unüberwindlichen Mauern niedergefallen wären, wenn nicht die Gott-Getreuen trotz der beständigen Einflüsterungen des sterblichen Gemüts, daß das Unternehmen aussichtslos sei, unerschütterlich ausgehalten hätten, wenn sie nicht trotz aller hindernden Umstände, ja, vielleicht sogar angesichts des lähmenden Spottes der ungläubigen Zuschauer vorwärtsgegangen wären. Gehorsam gegen den Führer, den Erwählten Gottes jenes Tages und jener Stunde, zögerten und klagten sie nicht und erhoben keine Einwendungen. Vorwärts drangen sie, doch nicht mit gesenktem Blick und nur den mühevollen Erdenweg vor sich sehend; sondern sie erhoben ihr Denken zu Gott, sie ließen ihre Stimme erschallen,—und die Mauern von Jericho fielen.
Doch nicht alle Festungen des Bösen wurden mit dem Fall von Jericho zerstört. Manche Stadt Jericho der Gesinnung oder des Denkens erhebt heute anmaßend ihre zeitgemäßen Mauern, um den Glauben der Kinder Gottes auf die Probe zu stellen. Es ertönt heute dasselbe Gebot: Ziehet, weichet nicht, freuet euch! Dasselbe Gesetz ist anwendbar, um die Befestigungen der Sünde, der Krankheit und des Todes niederzureißen; dasselbe göttliche Gebot: Freuet euch! ertönt heute wie damals, als jene geistige Demonstration gemacht wurde. Wer gehorcht, erlebt den gleichen mächtigen Fall der Mauern von jedem Jericho. Der Christliche Wissenschafter, der sich nicht freut, der sich vielleicht eng gegen die harten Mauern seines besonderen Jericho gedrückt glaubt, würde gut daran tun, sein Denken zu prüfen. Findet er, daß er nur mühsam vorankommt und kein Verlangen empfindet, zu lächeln oder die Freude richtiger Tätigkeit zum Ausdruck zu bringen, so kann er sicher sein, daß irgendwo in seinem Denken ein Mangel an Liebe ist, was unverkennbar einen Mangel an Dankbarkeit in sich schließt. Der aufrichtige Forscher wird sogleich nach dem Grund suchen, und, wenn es in ihm zu dämmern anfängt, daß sein Mangel an Freude ein Mangel an Dankbarkeit für bereits erhaltene Segnungen ist, braucht er nicht länger ermahnt zu werden, daß er sich freuen soll. Nichts weckt den wahren Forscher, wenn er in dieser Hinsicht fehlgeht, so erfolgreich auf, als wenn ihm gesagt wird, daß er, um seinen Schwierigkeiten erfolgreich entgegenzutreten, dankbarer sein muß; daß es ihm an Liebe fehlt; daß Selbstbedauern das Verständnis trübt.
Laßt uns wach werden! Laßt uns unsere Augen aufheben zu den Bergen, von denen uns Hilfe kommt, wie der Psalmist es tat; und laßt uns einig und einstimmig frohlocken! Dann wird uns wahre Dankbarkeit die Vergegenwärtigung der Wahrheit von Mrs. Eddys Worten in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 66) bringen: „Liebe pflanzt die höheren Freuden des Geistes, an denen kein Makel der Erde haftet, von neuem fort”.
