Jeder Mensch hat seine Last, schweres, lästiges Gepäck auf müden Schultern. Die Reichen und die Armen, die Hohen und die Niedrigen klammern sich ihr ganzes Leben lang an ihre Last. Sie suchen Vergessenheit in falschen flüchtigen Freuden; doch wenn sich diese als nicht befriedigend und als unzulänglich erwiesen haben, ist der Druck der Last immer noch vorhanden.
Was können wir mit diesen Lasten anfangen? Sollen wir Philosophen werden und uns die Last so leicht wie möglich machen, indem wir die bindenden Stricke zurechtbringen und lächeln anstatt zu weinen? Dies soll ein Weg der Erleichterung sein; aber er nimmt uns die Last nicht ab. Sich die Sorgen so leicht wie möglich machen, ist zwar besser als ihren Druck vergrößern, doch die Last ist immer noch da. Das Menschengeschlecht sucht da und dort Mittel und Wege, um von der Last frei zu werden, aber seine Bemühungen sind immer vergebens.
Lasten scheinen wohl eine heilsame Wirkung zu haben, wenn sie einen in die rechte Richtung treiben, um von falschen Zuständen geheilt zu werden. Der Meister wies den Weg, und während viele ihn gefunden haben, gehen doch viel mehr am Eingang vorüber. Sie tragen ihre schwere Last und möchten sie gern ablegen, wenn sie nur wüßten, wie. Christi Jesu Einladung lautete: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. ... Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht”. Man denke nur, was für eine Unterstützung es für den besorgten Geschäftsmann, auf dem der Alpdruck eines bevorstehenden Zahltags lastet, bedeuten würde, dieses Joch zu finden, das die Last erleichtert!
Nun gibt es einen Weg, unsere Schultern von der schmerzhaften, drückenden Last zu befreien; denn in der Bibel lesen wir auch: „Wirf deine Last auf den Herrn; der wird dich versorgen” (engl. Bibel). Doch ehe wir den Weg der Freiheit betrachten können, müssen wir zwei Dinge verstehen: erstens, daß das Menschengeschlecht eine Last bedrückt, die beseitigt, abgeworfen und vernichtet werden kann; zweitens, daß dies nur dann vollständig geschehen kann, wenn die Bereitwilligkeit vorhanden ist, die ganze Last abzuwerfen. Diese Last besteht aus den Freuden und Sorgen, den Schmerzen und Annehmlichkeiten der körperlichen Sinne. Sie umfaßt den Glauben, daß der Mensch materiell sei und von Gott getrennt lebe. Den Schmerz und die Not möchten die Menschen zwar gern zerstören, doch an ihren falschen Freuden und an ihren Sünden halten sie hartnäckig und eigensinnig fest.
Um über die Möglichkeit des Lasttragens emporgehoben zu werden, muß das Denken vergeistigt und die Bereitwilligkeit bekundet werden, alle Formen materieller Annahmen abzulegen. Das Gebot heißt: „Wirf deine Last”. Es heißt nicht: Du mußt den Teil deiner Last abwerfen, der dir zuwider ist, sondern: Du mußt sie vollständig — die ganze Last — abwerfen. Sonst würde man einem mit einer schweren Last beladenen Menschen gleichen, der den Packriemen an der linken Schulter durchschneidet, während er ihn an der rechten Schulter fester anzieht. Sowohl die Freuden als auch die Schmerzen der Sinne müssen verschwinden.
Wenn wir uns entschließen, die ganze Last abzuwerfen, dann können wir uns die Last selbst genau ansehen. Wissen die Menschen überhaupt, woraus ihre Last besteht,— woraus sie zusammengesetzt ist? Wenn diese Frage nicht beantwortet werden kann, dann bleibt die Last bestehen. Wenn man die Frage durch Verständnis beantwortet, dann kann man erklären, daß Lasten kein Sein, keine Wirklichkeit, keine Kraft, keine Intelligenz haben, da sie nicht in Gott ihren Ursprung haben. Das einzig richtige Vorgehen, eine Last abzulegen, besteht im wissenschaftlichen Erkennen und Beweisen, daß es keine Last gibt. Glaube an die Last, und du trägst sie; glaube von dem Standpunkt der Allheit und der Liebe Gottes aus nicht daran und beweise den Standpunkt, den du einnimmst, und du wirst finden, daß es keine Last zu tragen gibt.
Die meisten Menschen geben zu, wenn auch manchmal etwas widerstrebend, daß Gott die erste, ja, die einzige Ursache ist. Wahre Ursächlichkeit ist göttlich, und Gott, der gut ist, kann nur Gutes hervorbringen. Sind also Sünde, Krankheit, Armut und Furcht von Ihm geschaffen? Ganz gewiß nicht! Die Erkenntnis, daß „alle Dinge durch dasselbe [das Wort] gemacht sind, und ohne dasselbe nichts gemacht ist, was gemacht ist”, befähigt einen, zu beweisen, daß der Mensch, das Bild Gottes, keine Last trägt, und daß nur falsche Erziehung — Unwissenheit — dem hilflosen Opfer — hilflos jedoch nur so lang, bis die Christliche Wissenschaft die bindenden Stricke zerschneidet — eine Last auf den Rücken legt. Wenn also diese Stricke zerschnitten sind, ist es weise, nicht mehr am Leeren, das die Abwesenheit von Gottes Gegenwart behaupten möchte, festzuhalten.
Die Christliche Wissenschaft behauptet nicht, daß die Menschen ihre Leiden sich bloß einbilden. Diese sind für sie so lang wirklich, bis sie deren Unwirklichkeit bewiesen haben, bis sie sich weigern, das Falsche für das Wahre anzunehmen. Ein Traum würde den Tag über weiter als wirklich erscheinen, wenn er nicht durch das Verständnis seiner Unwirklichkeit oder den Druck der täglichen Ereignisse Verständnis würde. Doch die Last wird so lang als wirklich erscheinen, solange da.s materielle Leben als wirklich erscheint, gerade wie die Finsternis ihren Anspruch auf Wirklichkeit geltend macht und man durch sie gebunden ist, solange man sich darin befindet. Die Geistigkeit ist der Erlöser des Menschengeschlechts; denn durch sie kommen die Menschen zum Licht, und die Finsternis erweist sich nur als die Abwesenheit des Lichts.
In Miscellaneous Writings (S. 341) schreibt Mrs. Eddy: „Sind menschliche Hoffnungen trügerisch? Ist die Freude zaghaft? Dann, müder Wanderer, löse die Riemen deiner Schuhe auf; denn der Ort, darauf du stehst, ist heilig. Daran kannst du erkennen, daß du den materiellen Sinn von Leben und Glück aufgibst, um den geistigen Sinn vom Guten zu gewinnen. O, lerne mit Gott verlieren! und du findest das ewige Leben: du gewinnst alles. Daran zweifeln ist unbedingter Verrat am göttlichen Ratschluß”.
