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Das vollkommene Vorbild

Aus der April 1925-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Für den Abend vor dem Allerheiligenfest stellte ein kleiner Knabe in seinem Spielzimmer ein „Gespenst” auf. Er setzte einen grinsenden Kürbis auf eine kleine Stehleiter, die er mit einem weißen Leintuch umhüllte, und brachte zwei aus Karton ausgeschnittene hagere, ausgestreckte Arme daran an. Das Ganze bot einen gruseligen Anblick dar. Am Nachmittag und gegen Abend machte es dem Kinde viel Spaß, in der Nähe des Gespenstes zu spielen und vorzugeben, es fürchte sich davor. Als es aber im Spielzimmer dunkel wurde, begann ein Furchtgefühl das Gesicht des Kleinen zu trüben, und die Gestalt gefiel ihm immer weniger. Als dann die Lampen brannten, schien sich die Furcht auf kurze Zeit zu legen. Aber schließlich schmiegte sich der Knabe an seine Mutter und flüsterte: „Mutter, ich fürchte mich vor dem Gespenst”. „Was?” sagte die Mutter, „du fürchtest dich vor dem Gespenst, das du selbst gemacht hast?” „Ja”, sagte das Kind, „es ist so häßlich, und ich fürchte mich, es anzurühren”.

Da nahm die Mutter das Kind bei der Hand, führte es zu der Gestalt hin und sagte: „Hier, mein Sohn, es gibt da nichts, wovor du dich zu fürchten brauchst. Mutter wird bei dir bleiben, bis du das Ding auseinandergenommen hast, und dann wirst du sehen, daß es nur die Stehleiter, ein Leintuch und ein komischer alter Kürbis ist”. Mit zitternden Fingern begann das Kind den Umhang zu lösen. Er fiel zur Erde und die wohlbekannte Stehleiter kam wieder zum Vorschein. Dann wurden die Kartonhände abgenommen und das Licht in dem grinsenden Kürbis ausgelöscht. Nun wandte sich das Kind freudestrahlend und mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung seiner Mutter zu. „Mutter”, sagte es, „ich habe keine Angst mehr; ich sehe, es ist ja nur das Gespenst, das ich selbst gemacht habe”.

Dieses einfache Begebnis veranschaulicht eine Lage, in die wir älteren Kinder oft kommen. Wenn das Licht der Christlichen Wissenschaft nach innen gerichtet wird, enthüllt es in unserem Bewußtsein oft eine Kreatur, vor der wir uns verzweifelt fürchten. Wir halten sie für etwas Schreckliches mit bestimmter Form und unheilvoller Macht, für etwas, das uns schaden kann. Sie mag sich „Krankheit”, „Unheil”, ja, sogar „Tod” nennen. Daß sie nur ein Gemisch von vielen falschen Annahmen ist, macht sie nicht weniger furchtbar. Bei ihrem Anblick hegen wir vielleicht Bedenken, ihr näher zu treten und sie anzufassen, um sie von ihrer Stellung scheinbarer Macht zu entfernen. Doch wie Mose, dem der Herr gebot, die Schlange, vor der er sich fürchtete, anzufassen, so müssen auch wir das Ding, vor dem wir uns fürchten, wenn wir es vertreiben wollen, ergreifen, zergliedern und als das erkennen, was es ist,—als namenloses Nichts, als eingebildetes Geschöpf, das ebenfalls keine Substanz und keine Wirklichkeit hat. Und wie Mose, dem die Schlange zum stützenden Stabe wurde, werden auch wir erkennen, daß unsere Bereitwilligkeit, die Furcht herauszufordern, uns die Stärke und den Mut brachte, die den wahren Sieg begleiten.

Beim Niederreißen der falschen Schöpfungen werden wir entdecken, daß das Material, aus dem unsere „Gespenster” hergestellt sind, durchaus nicht die Elemente darstellt, die wir im Bewußtsein zurückbehalten möchten. Wir werden entdecken, daß das lästige Ding, das wir „Krankheit” nennen, vielleicht nur eine Anhäufung von Bosheit, Groll, Angst, Selbstsucht u.s.w. ist, und daß wir, um es zu zerstören, die Wirklichkeit dieser falschen Ansprüche verneinen und Liebe, Vergebung, Vertrauen, und ein unbedingtes Zugeständnis, daß Gott das alleinige Dasein ist, an ihre Stelle setzen müssen.

Bei dem Vorgang der Ausrottung dieser falschen Bilder, oder, nach den Worten des Paulus, dem Ausziehen des „alten Menschen” und dem Anziehen des „neuen ..., der da erneuert wird zu der Erkenntnis nach dem Ebenbilde des, der ihn geschaffen hat”, ist es trostreich zu wissen, daß wir bei dieser Arbeit nicht allein sind. Denn wie die Mutter den kleinen Knaben sanft bei der Hand nahm und sich neben ihn stellte, während er sich zitternd an seine Aufgabe machte, so ist auch uns der zärtliche Vater-Mutter Gott stets nahe und führt uns und vernichtet mit Seiner unwandelbaren Liebe den falschen Anspruch der Furcht, indem Er uns die göttlichen Eigenschaften gibt, durch die wir die falschen Annahmen ersetzen können. Es ist auch tröstlich, sich daran zu erinnern, daß wir nicht in der Finsternis arbeiten; daß das Licht der geoffenbarten Wissenschaft immer um uns her scheint; und daß wir in seiner Erleuchtung klar sehen können, wie die Irrtumsansprüche zerlegt und zerstört werden müssen.

Mrs. Eddy schreibt in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 353): „Die Jetztzeit hat den Begriff von Gespenster-annahmen noch nicht ganz überwunden. Mehr oder weniger hält sie noch an ihnen fest”; und auf Seite 187 desselben Buchs sagt sie: „Hier kannst du sehen, wie der sogenannte materielle Sinn seine eignen Gedankenformen schafft, wie er ihnen materielle Namen gibt und sie dann anbetet und fürchtet”. Wie der Glaube an Gespenster die Folge der Unwissenheit ist, so gehen auch die falschen Auffassungen von Gott und dem Menschen aus der Unwissenheit über den wahren Daseinszustand hervor. Und wie die Furcht vor Gespenstern dadurch zerstört wird, daß wir verstehen lernen, daß es in Wirklichkeit keine Gespenster gibt, so verschwinden auch Sünde, Krankheit und Tod durch das Verständnis, daß sie nicht von Gott geschaffen sind und daher keine Wirklichkeit haben. In beiden Fällen hat das Wissen die Unwissenheit verdrängt, das Verständnis die Furcht ersetzt und in dieser Weise die Substanz einer neuen Gesinnung gebildet.

Wir lesen in Wissenschaft und Gesundheit (S. 248): „Wir alle sind Bildhauer, die an verschiedenartigen Gestalten arbeiten und den Gedanken modeln und meißeln. Was für ein Vorbild steht vor dem sterblichen Gemüt? Ist es Unvollkommenheit, Freude, Kummer, Sünde, Leiden? Hast du dir das Sterbliche zum Vorbild genommen? Bildest du es nach? Dann wirst du in deiner Arbeit von verderbten Bildhauern und scheußlichen Gestalten heimgesucht”; und im nächsten Abschnitt sagt Mrs. Eddy: „Wir müssen vollkommene Vorbilder im Gedanken formen und beständig auf sie hinschauen, sonst werden wir sie niemals zu einem großen und edlen Leben ausgestalten”. Diese Stelle scheint anzudeuten, daß wir mit Gedanken arbeiten, und daß der wahre Mensch, den wir kennen und zum Ausdruck bringen möchten, aus richtigen Ideen besteht. Diese Ideen sind von Gott verliehen; ihre Zahl ist unerschöpflich, und sie sind immer anwendbar. Auch ist das Vorbild immer vor uns; ist es denn nicht der immer gegenwärtige Christus, die vollkommene Idee Gottes? Wir haben daher keine Entschuldigung, wenn wir eine falsche Auffassung über die Schöpfung im Bewußtsein festhalten, und keinen Grund, uns vor ihr zu fürchten. Wir haben allen Grund, auf das Christusvorbild zu blicken, die göttlichen Eigenschaften zu ergreifen und den vollkommenen Menschen zu finden und zum Ausdruck zu bringen.

Im Philipperbrief finden wir die ausgezeichnete Zusammenfassung der Eigenschaften des wirklichen Menschen, die wir besitzen müssen, wenn wir das Bild und Gleichnis des vollkommenen Einen hervorbringen wollen: „Weiter, liebe Brüder, was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was keusch, was lieblich, was wohl lautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, dem denket nach!” Hier haben wir sowohl das Material als auch die Anleitung, um vollkommen zu bauen. Wir sollen rechte Gedanken denken.

Die Christliche Wissenschaft lehrt uns, daß es nur ein Gemüt—Gott, das Gute—gibt. Daraus folgt, daß die einzigen Gedanken, die es gibt, die Gedanken sind, die von diesem Gemüt ausgehen. Wie zuversichtlich, furchtlos und freudig können wir also unserer Arbeit nachgehen! Wie beglückend ist es, zu wissen, daß das Werk der Schöpfung trotz allem bereits vollkommen und vollständig ist, und daß unsere Pflicht darin besteht, dieses harmonische Ganze widerzuspiegeln!

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