An der geistigen Wahrheit zweifeln heißt sowohl die Allheit und die Güte Gottes als auch die Wirklichkeit Seiner Regierung verneinen. Wer weiß, daß Gott, das Gute, regiert, wandelt unversehrt über die Wogen der menschlichen Annahme. Wer zweifelt, verliert den Halt am göttlichen Prinzip und versinkt in den Wassern des Unglaubens—dem Reich des Unwirklichen. Wer den Christus, die Wahrheit, versteht, zweifelt nicht; denn er weiß, daß der materielle Sinn und alle seine Ansprüche erdichtet sind und keine Macht haben, zu schaden. Zweifel bedeutet Zerfall. Zuversicht, Vertrauen auf das Gute, bedeutet Sieg. Daher zweifelt nur die Unwissenheit; der Mensch, der versteht, ist kein Zweifler.
Als Jesus auf dem Meer wandelte, wie im vierzehnten Kapitel des Matthäus-Evangeliums berichtet ist, handelte er in vollkommener Übereinstimmung mit allem, was er bis dahin in Galiläa und Judäa gepredigt und vollbracht hatte. Er hatte des Hauptmanns Knecht geheilt, während er weit von ihm entfernt war, die Tochter des Jairus erweckt, während er bei ihr war, Wasser in Wein verwandelt und mit „fünf Gerstenbroten und zwei Fischen” fünftausend Mann gespeist. Dies alles vollbrachte Jesus durch sein Verständnis der Wissenschaft des Seins. Er lieferte den unwiderlegbaren Beweis, daß die Materie und das Böse kein Gesetz und keine Macht sind, und daß der Geist, Gott, das einzige Gesetz und die einzige Macht ist.
Nachdem Jesus die fünftausend Mann gespeist hatte, wurde er vom persönlichen Sinn und von der Willenskraft der Menge so sehr bestürmt, daß er sie wegschickte und seine Jünger anwies, in einem Schiff an das andere Ufer des Galiläischen Meeres zu fahren, während er sich allein zurückzog, um zu beten. Johannes schreibt über die Wichtigkeit dieses Gebets; er berichtet, daß Jesus merkte, daß diejenigen, die ihm nachfolgten, „kommen würden und ihn haschen, daß sie ihn zum könig machten”. Aus diesem Grunde entwich der Meister „auf einen Berg allein, daß er betete”,—um sich die Wahrheit des Seins zu vergegenwärtigen—und in dieser Weise den wahnsinnigen Ehrgeiz seiner unweisen Freunde zu besiegen, und zu beweisen, daß blinde Gewalt und menschliche Willenskraft machtlos sind, da Gott allein Macht ist. Allein mit Gott, dem göttlichen Gemüt, trat Jesus der sogenannten Macht des tierischen Magnetismus entgegen und meisterte sie. Infolgedessen stillte er den Sturm des Widerstands gegen die Wahrheit, die er offenbar werden ließ. In der Stille und Ruhe des im göttlichen Prinzip verankerten Denkens vergegenwärtigte er sich die Allheit des unbesiegbaren Guten, Gottes, und die Nichtsheit eines mutmaßlichen Gegenteils.
In dem Bewußtsein der allmächtigen und allgegenwärtigen Liebe ging Jesus zu seinen Jüngern, die sich vor dem Toben des materiellen Sinnenzeugnisses fürchteten. Ihnen, die von diesem falschen Sinn beherrscht waren, erschienen die Tatsachen des Seins umgekehrt. Jesus als Herrn über das materielle sogenannte Gesetz auf dem Meer gehen sehen war Grund zur Freude; doch die Jünger, die von dem materiellen anstatt dem geistigen Sinn beherrscht waren, „schrieen vor Furcht”. Da rief sie der sanfte, geduldige Führer ihrer Erlösung, der nur von dem geistigen Sinn beherrscht war, vom Falschen zum Wahren zurück mit den Worten: „Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!” So kehrt der geistige Sinn jeden Irrtumsanspruch um. Er sieht, daß das Böse unwirklich, machtlos, nichts ist. Er weiß, daß das Gute, Gott, das einzig Wirkliche, die einzige Macht, alles Bestehende, ist. Er ruft den Menschenkindern zu: „Seid getrost”. Er versteht, daß die Wahrheit die einzige Gegenwart und die einzige Ursache ist; darum versichert er: „Fürchtet euch nicht!”
Petrus, der durch des Meisters Stimme aufgeweckt wurde, legte etwas von seiner Furcht ab und sagte: „Herr, bist du es, so heiß mich zu dir kommen auf dem Wasser”. Das „heiß mich zu dir kommen” des Petrus ließ ein Erwachen aus dem Traum des materiellen Sinnes erkennen; doch die daran geknüpfte Bedingung deutete an, daß die Annahme einem vollen Glauben an den Christus, die Wahrheit, noch nicht gewichen war. Jesus aber sagte ohne Zögern und augenblicklich: „Komm her!” Die leiseste gläubige Anrufung des Christus, der Wahrheit, begegnet einer augenblicklichen Ermutigung. „Wenn des Menschen Sohn kommen wird, meinst du, daß er auch werde Glauben finden auf Erden?” Hier kam „des Menschen Sohn” dem Petrus entgegen und fand so viel Glauben, daß Petrus „auf dem Wasser ging, daß er zu Jesu käme”.
Der Bericht enthält keine Unklarheit. Petrus ging auf dem Wasser, wie Jesus auf dem Wasser ging. Sein Glaube an den Christus, die Wahrheit, hatte sich so hoch im geistigen Verständnis erhoben, daß er dieses Maß von Herrschaft zum Ausdruck bringen konnte. Der galiläische Fischer veranschaulichte durch sein Beispiel die Worte seines Meisters: „Euch geschehe nach eurem Glauben”. Obwohl Simon Petrus weniger als zwei Jahre Jünger gewesen war, befähigte ihn dennoch sein Vertrauen auf den Christus, die Wahrheit, auf dem Wasser zu gehen! Nicht die Länge der Zeit, nicht Gelehrsamkeit, nicht lange Erfahrung macht die Demonstration möglich—sondern „Euch geschehe nach eurem Glauben”.
Solange Petrus die Augen auf den Christus richtete, war er erfolgreich; als er aber der Furcht gestattete, sich zwischen ihn und die Wahrheit zu drängen, konnte er nicht weiter. „Er sah aber einen starken Wind; da erschrak er und hob an zu sinken, schrie und sprach: Herr, hilf mir!” Solange sich Petrus keines Widerstands gegen Wahrheit bewußt wurde, genügte sein einfacher Glaube, ihm Herrschaft zu geben; als aber der materielle Sinn für einen Sturm der Widersetzung zeugte, begann er zu sinken.
Um der Feindseligkeit, die durch die Gegenwart der Wahrheit aufgestört wird, entgegenzutreten, muß der Glaube durch Verständnis fruchtbar gemacht werden. Wer in der Wahrheit Fortschritte machen will, muß seinen Grad des Verständnisses von der Unwirklichkeit des Bösen leben, um dadurch fähig zu werden, dessen Nichtsheit zu beweisen. Verständnis sieht die Wahrheit als alles und sieht daher nichts zwischen der Wahrheit und der Idee der Wahrheit—dem vollkommenen geistigen Menschen Gottes—und verwirklicht für immer, daß der Herr erlöst; daß heißt das Verständnis erkennt, daß der Mensch Gottes auf ewig mit seinem Schöpfer vereint, geschützt gegen Irrtum und geborgen in der Wahrheit, ist.
Als Petrus seine Arbeit aus Furcht nicht richtig tun konnte, suchte er einsichtsvoll die helfende Hand dessen, der ein besseres Verständnis hatte. Petrus sah das als wirklich, was unwirklich war. Er gab dem Macht, was keine Macht hat. Er wurde durch die eigenen Befürchtungen und falschen Annahmen niedergedrückt; doch er glaubte unerschütterlich an die Macht von Jesu Verständnis, zu erretten, und er rief aus: „Herr, hilf mir!” Die Hilfe war augenblicklich. Da er sich vollständig auf Christus, die Wahrheit, verließ, fiel seine Last von ihm ab. In dem Bericht heißt es: „Jesus aber reckte alsbald die Hand aus und ergriff ihn”. Wie groß auch die Furcht, wie gering das Verständnis, wie ernst die Frage sei,—alle, die ihre ganze Zuversicht auf die Wahrheit setzen, erkennen mit David, daß „der Herr wird ihnen beistehen und wird sie erretten; ... und ihnen helfen; denn sie trauen auf ihn”.
Petrus überwand die Furcht, die die anderen Jünger, die mit ihm im Schiff waren, niederdrückte. Er war der erste, der den Christus, die Wahrheit, erkannte und sein Vertrauen auf ihn setzte. Er war der einzige von Jesu Jüngern seiner Zeit und später, der, soweit wir Berichte haben, auf dem Wasser ging; dennoch wies ihn Jesus zurecht mit den Worten: „O du Kleingläubiger, warum zweifeltest du?” Warum zweifelte Petrus? Er hatte Jesus allerlei Krankheiten heilen und die Toten auferwecken sehen. In seinem Namen hatte Simon selbst Teufel ausgetrieben und die Kranken geheilt. Außerdem sah er Jesus auf dem Wasser gehen, und der Meister hatte ihn versichert, daß auch er es tun könne. Er wußte, daß Jesus nie etwas mißlang, und daß er nie etwas gebot, was nicht ausführbar war. Warum zweifelte er dennoch?
Ein höheres Verständnis, das den Zweifel beseitigte, erwartete den Petrus. Nachdem der geliebte Meister von ihnen geschieden war, dämmerte eine neue Zeit auf, in der sein Glaube stärker war als der eines „Kleingläubigen”. Petrus heilte augenblicklich den von Geburt an Lahmen. Er sagte zu Äneas, der acht Jahre lang auf dem Bette gelegen hatte: „Jesus Christus macht dich gesund; stehe auf und bette dir selber! Und alsobald stand er auf”. Er erweckte die Tabea zum Leben. Als er im Gefängnis war und die Vollstreckung des Todesurteils erwartete, wurden die Kerkertüren durch das Glaubensgebet geöffnet, und er ging frei hinaus. Er trat den Wogen des sogenannten sterblichen Gemüts furchtlos entgegen. Wir wissen, was Petrus von der Furcht und von allem Zweifel befreite. Am Tage der Pfingsten, als die Jünger „alle einmütig beieinander” waren, ging des Meisters Verheißung, die er ihnen kurz vor seiner Himmelfahrt gegeben hatte, in Erfüllung, und sie „wurden alle voll des heiligen Geistes”. Sie wurden mit geistigem Verständnis ausgerüstet. Nun vollbrachten sie mehr als nur glauben. Bis zu einem gewissen Grade verstanden sie das der Wissenschaft zugrunde liegende göttliche Prinzip des einen Gemüts. Daher sagt unsere geliebte Führerin, Mary Baker Eddy, in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 483): „Jenen natürlichen Christlichen Wissenschaftern, jenen alten Propheten, sowie Christus Jesus hat Gott den Geist der Christlichen Wissenschaft gewißlich geoffenbart, wenn auch nicht deren absoluten Buchstaben”.
In der Geschichte ernster Christlicher Wissenschafter wiederholt sich oft die Erfahrung des Petrus. In Finsternis und in Zweifel, inmitten der tosenden Wogen des sterblichen Gemüts, beim Erscheinen des Christus, der Wahrheit, schreien sie vor Furcht. Wenn ihnen die Stimme der Wahrheit die Versicherung gab: „Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!” glaubten sie an die Person, verstanden aber nicht das göttliche Prinzip Christi Jesu. Oft haben sie den Glauben nicht für genügend gefunden, um dem Sturm des eigenwilligen Widerstands entgegenzutreten und haben die Zurechtweisung verdient: „O du Kleingläubiger, warum zweifeltest du?” Indem sie sich dann mit einem erweckten Sinn für Gottes Macht und Güte über Drangsal und Zweifel erheben, gewinnen sie die Vision geistigen Verständnisses. In dieser Weise mit dem neuen Verständnis der göttlichen Wissenschaft erfüllt verschwinden fast alle Befürchtungen, erheben sich nahezu keine Zweifel mehr; und sie wissen, an wen sie glauben. Sie haben gesehen, gehört, sind gehorsam gewesen und sind dem Ruf des Christus gefolgt. Sie haben dann, wie die Jünger Christi Jesu, ausgerufen: „Du bist wahrlich Gottes Sohn!”
Wer Christus als den Sohn Gottes erkennt, wer weiß, daß die Christliche Wissenschaft die von Jesus geoffenbarte und demonstrierte Wahrheit ist, und wer die Offenbarerin der Wahrheit dieses Zeitalters anerkennt und liebt, ist in gewissem Grade von Furcht und Zweifel frei. Solche wahren Christlichen Wissenschafter, die einen Lichtblick von dem Tag der Pfingsten haben, sagen zu anderen, die entweder von der Größe der Forderungen des Geistes erdrückt oder von den Wogen des Irrtums überwältigt werden: „Sei getrost ... warum zweifeltest du?”
