Solche Kirchensitzungen, die wahre geistige Tätigkeit und Einheit beim Zusammenarbeiten zum Ausdruck bringen, stellen keine besonderen zu lösenden Aufgaben dar; es gibt aber in jedem tätigen Felde noch andere, wenn auch nicht so zahlreiche Sitzungen, die das neue Mitglied zuweilen beunruhigen. Der der Kirche neu Beitretende ist geneigt zu denken, alle Kirchensitzungen seien Feste freudiger, liebevoller Eintracht. Er schließt sich der Organisation gewöhnlich in dem Glauben an, daß er in ihr die verwirklichte Vollkommenheit, die allerhabene Herrschaft der Geistigkeit und Liebe finden werde. Er vergißt, daß der Glaube an einen persönlichen Sterblichen oder an eine Versammlung von Sterblichen erst bei der Erlangung der vollkommenen Geistigkeit der vollendeten Verwirklichung der Wahrheit des Seins Raum gegeben haben wird.
Der Forscher weiß aus eigener Erfahrung, daß der einzelne Christliche Wissenschafter noch nicht alle Erscheinungsformen des Übels überwunden hat. Ist dann etwas Sonderbares an der Scheintatsache, daß es eine Versammlung von Wissenschaftern noch nicht zustande gebracht hat? Wenn wir alle einsehen würden, daß jedem Irrtum entgegentreten und ihn überwinden gerade der Zweck unserer Organisation ist, dann würde uns das Staunen über den Vorgang erspart bleiben. Das sogenannte sterbliche Gemüt hat sein falsches Gesetz aufgestellt, daß alle Organisationsformen gewissen Irrtumsformen unterworfen seien,— persönlichem Ehrgeiz, Beherrschung und Zwang, Eifersucht und Neid, Entzweiung, Widerstand, Meinungsverschiedenheit. Das sterbliche Gemüt schließt die christlich-wissenschaftliche Organisation gewiß nicht von der Erfüllung dieses Gesetzes aus; nur die metaphysische Arbeit ihrer Mitglieder kann es tun.
Die Arbeit der Organisation bietet dem Christlichen Wissenschafter Ort und Gelegenheit, den zahllosen Ansprüchen vieler Denkarten zu begegnen und die geistigen Wahrheiten des Seins, die er durch Forschen, Gebet und metaphysische Betätigung kennen gelernt hat, auf sie anzuwenden. Eine jahrelange sogenannte Betätigung der Christlichen Wissenschaft bietet einem wohl nicht immer die mannigfaltigen Gelegenheiten zur Überwindung des Selbst, zur Aufdeckung gewisser Irrtumsformen und zur Durchdringung vieler ihrer Verkleidungen, die die tätige Arbeit in der Organisation bieten kann. Es ist jedoch fraglos, daß die planmäßige Ausübung der Heiltätigkeit die denkbar größte Hilfe bei jeder andern Arbeit für unsere Sache und die Arbeit ist, die durch nichts anderes ersetzt werden kann.
Derjenige Forscher, der an seinem vermeintlichen Frieden so zähe festhält, daß er sich der zuweilen strengen mentalen Zucht des tätigen Dienstes in unserer Organisation nicht unterziehen will, schiebt die Notwendigkeit einer Erfahrung, die zu denselben Ergebnissen führen wird, nur hinaus. „Unser Stolz macht das Urteil eines andern bitter, unser Eigenwille läßt die Tat eines andern beleidigend erscheinen, unsere Selbstsucht fühlt sich durch die Anmaßung eines andern gekränkt”, sagt unsere Führerin auf Seite 224 von Miscellaneous Writings; und wir wissen, daß „jeder Sterbliche es einmal, hier oder hiernach, mit der sterblichen Annahme von einer Gott entgegengesetzten Macht aufnehmen und sie überwinden muß”, wie sie auf Seite 569 von „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” schreibt. Solange die überaus heftigen Irrtumsanmaßungen, die unserer Bewegung entgegentreten, uns den Frieden rauben, unser Vorgehen verwirren, uns betrüben, quälen, verführen oder erzürnen können, solange ist in unserem Denken etwas vorhanden, das dem Christus unähnlich ist und überwunden werden muß. Bis zu jenem glorreichen Tage also, an dem wir mit Paulus sagen können, daß wir der Dinge keines achten, ist es ganz besonders nötig, daß wir weiter in den Reihen der christlich-wissenschaftlichen Bewegung stehen.
Vor allem verwirrt den jungen Forscher vielleicht die Frage der Liebe. Es kann sein, daß er sich mit einer sehr falschen Auffassung von Liebe der Bewegung anschließt. Mrs. Eddy hat in mehr als einem Aufsatz das vollständige Erlangen der Liebe als den endgültigen Sieg des geistigen Wachstums dargestellt, wonach unsere ersten Bemühungen, diese göttliche Eigenschaft zu erkennen und zu bekunden, sehr wahrscheinlich nur schwach sein können. Das neue Mitglied kann etwas als Liebe hinnehmen und nimmt im allgemeinen alles als Liebe hin, was sich unter diesem Namen darbietet: Leutseligkeit als Versteck der Heuchelei, großartige Redensarten, den Buchstaben, der den Geist verbirgt. Diese müssen jedoch aufgedeckt, zergliedert und schließlich zerstört werden.
Es ist durchaus nicht alles Liebe, was sich Liebe nennt. Liebe ist immer ehrlich, immer aufrichtig, immer freimütig, obwohl weise. Liebe dient immer, sie will immer das höchste Gute für die größte Zahl. Liebe in unserer Bewegung stellt die Wohlfahrt der Bewegung und den Gehorsam gegen das Kirchenhandbuch und gegen ihre Führerin stets der Rücksichtnahme auf das Selbst voran. Liebe fürchtet sich nie vor dem Irrtum, fürchtet sich nie, ihn aufzudecken; sie entschuldigt ihn nie und ist nie gleichgültig gegen ihn. Liebe verdammt nie die Person, und nie nennt sie den Irrtum eine Person. Liebe — die wirkliche Liebe, die den Menschen Gottes als den einzigen Menschen ansieht, Gottes Macht für die einzige Macht hält — weiß genug, um die Annahmen, die diese Allheit oder diesen vollkommenen Menschen leugnen möchten, zunichte zu machen.
Der neue Forscher wird oft dadurch verwirrt, daß er glaubt, er habe Neigung zum Angreifen, was oft einem Denken zugeschrieben wird, das in Wirklichkeit äußerst klar und daher tätig ist, und dem ein uneingeschränktes Maß von Begeisterung zugrunde liegt. Andererseits können Eigenwille und Angriff in ihren Verfahren sehr ruhig sein. Ein starrer Sinn von Eigenwillen oder Stillstand wird vom Neuling oft irrtümlicherweise als Geistigkeit angesehen; während das Aufwallen des freudigen Arbeiters, der der Allheit Gottes so sicher ist, daß er seine Freude bekundet, mit angreifender Anmaßung verwechselt werden kann. Wird das Selbst verfochten, so kann es schnell erkannt werden; ist es aber göttlicher Eifer, so wird dieser stets bestrebt sein, sich für das Wachstum der Christlichen Wissenschaft, nie im Interesse des Selbst, zu betätigen. Das falsche Urteil kann dahin neigen, den köstlichen Eifer des neuen Mitglieds zu ertöten. Die Begeisterung für die Dinge des Geistes und für unsere Sache und ihre Tätigkeiten,— die Begeisterung, die auf einer wahren Wertschätzung von deren Bedeutung beruht, ist etwas, was gepflegt, gehegt, bewahrt und ausgedrückt werden soll.
Geistiges Wachstum allein kann die Weisheit verleihen, die immer weiß, wann man in Kirchensitzungen und bei anderen Gelegenheiten reden und wann man schweigen soll. Daß der Irrtum geschäftig redet und gerade durch diese List versucht, das Gute zum Schweigen zu bringen, ist kein Grund, weshalb das Mitglied, das eine heilende Wahrheit sieht, die es vorbringen kann, schweigen soll. Warum gerade das tun, was das Übel haben will? Wir müssen sicher sein, daß wir bei solchen Gelegenheiten nach dem Antrieb des göttlichen Gemüts handeln,— daß unsere Mitteilung angebracht, heilend, weise, kurz gefaßt ist. Der Christliche Wissenschafter muß wie der junge Salomo jederzeit demütig um „ein gehorsames Herz” beten; denn gerade das braucht er wahrlich stets am meisten.
Der mentale Damm der Verwirrung, der Mesmerismus stumpfer Untätigkeit, den der Irrtum bisweilen über eine Sitzung ausgießt, ist vielleicht von allen unerwünschten Umständen derjenige, über den man sich am schwierigsten erheben und den man am schwierigsten durchschauen kann. Sein erstes und oft erfolgreiches Bestreben ist, das Gesamtbewußtsein so zu betäuben, daß wir nicht gewahr werden sollen, daß wir uns über etwas erheben müssen, ehe das Unheil geschehen ist. Nur ausreichende christlich-metaphysische vorbereitende Arbeit kann dies verhindern. Zu einer Sitzung mit dem Gedanken kommen, es brauche nicht viel Arbeit getan zu werden, weil es keine wichtige Sitzung sei und der Irrtum sie daher nicht beachten werde, führt zu traurigen Überraschungen. Keine mit der Christlichen Wissenschaft zusammenhängende Sitzung ist unwichtig. Der Anspruch des Übels, indem es vorgibt, die göttliche Intelligenz und ihren Reichtum an Hilfsquellen nachzumachen, ist scheinbar immer gegenwärtig und tätig. Dies bedeutet nicht, daß wir uns davor zu fürchten brauchen,— bei weitem nicht! „Das Übel ist nicht etwas, das wir zu fürchten und vor dem wir zu fliehen brauchen”, sagt uns Mrs. Eddy in Miscellaneous Writings (S. 284), und sie fährt fort, „oder das wirklicher wird, wenn man es bekämpft. Wenn man das Übel in Ruhe läßt, wird es wirklicher, angriffslustiger und vergrößert seine Ansprüche; tritt man ihm aber mit der Wissenschaft entgegen, so kann und wird es durch diese besiegt”.
Die Schnelligkeit und Gründlichkeit, mit der wir in dieser Weise den Irrtum als die Lüge sehen können, die er ist, hängt von der Bereitschaft unserer Gesinnung ab. Nie können wir die Arbeit anderen überlassen. Die Tatsache, daß wir anwesend sind — und wir sollten sicherlich stets bestrebt sein, den Sitzungen der Zweig-Kirche, deren Mitglieder wir sind, beizuwohnen —, zeigt, daß wir teil daran haben. Manche Gemeinde hat nach Sitzungen, die bei richtiger metaphysischer Vorbereitung reiche Früchte getragen hätten, ganz unerwartete und unerklärliche, fast unheilvolle Ergebnisse erlebt. Zehn Minuten überstürzter Arbeit bei der Sitzung wird das — je nach dem Erfordernis minuten-, stundenoder tagelange — hingebende, vorbereitende Gebet vor der Sitzung nicht ersetzen.
Bei jenen wichtigen Gelegenheiten, die die Beamtenwahl erfordern, sollte gewiß besondere Arbeit getan werden, um Weisheit zu erlangen. Der Wissenschafter sollte verstehen, daß er für den Gedankenzustand stimmt, der sich am besten für einen gegebenen Posten eignet, daß er durch sein eigenes rechtes Denken dieses Amt später unterstützen muß, und daß dies etwas ganz anderes ist als für eine Person stimmen und eine Person, die ein Amt bekleidet, mental unterstützen. Das neue Mitglied kann sich nicht früh genug selbst dazu erziehen, in allen seinen Entscheidungen dem Prinzip und allem, was das Prinzip ihm offenbart, anstatt seinen persönlichen Freunden und ihren fehlbaren Anschauungen unabhängig treu zu sein. Dies ist für das Wachstum des einzelnen und der Gesamtheit unerläßlich.
Manchmal ist der Forscher über eine äußerst ruhig und angenehm verlaufene Sitzung ganz entzückt und freut sich über die zum Ausdruck gekommene Harmonie. Die echte Harmonie ist immer Grund zur Dankbarkeit; doch die bloße Tatsache, daß eine Sitzung sehr ruhig verlief, ist kein Beweis, daß geistige Einheit herrschte, und keine Gewähr dafür, daß jeder unternommene menschliche Schritt von allen Mitgliedern in gleicher Weise angesehen wird. Es ist bei weitem besser, daß voneinander abweichende Ansichten offen besprochen und andächtig erwogen werden, damit schließlich eine rechte Verständigung erreicht werde, als daß diese Unstimmigkeiten nur zugedeckt oder zurückgehalten und später ans Licht gebracht werden. Keine Kirche ist gesund, in der aufrichtige Mitglieder das Gefühl haben, daß sie sich nicht frei aussprechen können. Laßt uns daher beweisen, daß der beherrschende Einfluß in jeder Zweig-Kirche nie die Person, sondern immer das allmächtige Gemüt, die göttliche Liebe, und die Freiheit ist, die aus dem demütigen Verlangen jedes Mitglieds hervorgeht, die Vorrechte der Organisation, auf die alle gleiches Anrecht haben, mit jedem andern Mitglied zu teilen. So werden wir mit stets zunehmender Geistigkeit jene demokratische Regierung, die in unserem Kirchenhandbuch für die Zweig-Kirche vorgesehen ist, ausarbeiten.
Selbst das jüngste Mitglied sollte sich nicht fürchten, auszusprechen, was es sicher erkennt. „Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth”. Es gibt nichts zu fürchten, wenn die Gemeinschaft der Gesinnung mit dem göttlichen Gemüt durch dieses Mitglied einen Grund für die Hoffnung ausspricht, die in ihm ist. Gerade die Neuheit seines Standpunktes in einer Frage ist oft für alle Beteiligten eine Hilfe. Wer die Bewegung der Christlichen Wissenschaft unbedingt in den Vordergrund stellt, heißt jedes neue Licht, jeden hilfreichen Vorschlag und jeden geistigen Hinweis willkommen, selbst wenn er aus dem Munde der Unmündigen kommt.
Wenn Irrtum irgend welcher Art uns entgegenzutreten scheint, ist es hilfreich, uns daran zu erinnern, daß unsere Führerin uns ermutigt, den Gedanken vom Irrtum zu der Wahrheit des Seins zu erheben und dann beständig für die Wahrheit selbst zu streiten, wenn wir die Wahrheit den Sieg davontragen sehen wollen (siehe Wissenschaft und Gesundheit, S. 400). Das Erheben des Gedankens ist rein mental; das Streiten für die Wahrheit kann mental geschehen; es kann aber häufig notwendig sein, es mit Worten zu tun. Ein klares Verständnis von der Bedeutung des Wortes „streiten” ermöglicht die Anwendung der Erklärung. Ein Wörterbuch legt es aus als „ernste Anstrengungen machen, um etwas zu erreichen, zu verteidigen, zu erhalten”. Wenn wir also den Gedanken über die falsche Annahme erheben, die immer der einzige sich widersetzende Antrieb, immer der einzige Feind ist, und wenn wir ernstlich bestrebt sind, die Wahrheit im Denken zu erreichen, zu verteidigen und zu bewahren, werden wir den Irrtum unfehlbar verschwinden sehen. Bei manchem siegreichen Überwinden des Übels in Kirchensitzungen hat sich diese Regel herrlich bewährt. Eine christlich-wissenschaftliche Sitzung kann keinen Irrtum brauchen; ihre Aufgabe ist, die falsche Annahme zu überwinden und zu zerstören.
Unsere Liebe zu unserer Organisation und unser Wunsch, sie gedeihen zu sehen, beruhen auf unserer Liebe zu den Menschen und auf unserem Sehnen, diese aus der Finsternis in das Licht zu führen, das wir selbst gefunden haben. Nur immer zunehmende Hingabe und Vergeistigung des Denkens wird uns befähigen, unser Licht leuchten zu lassen und dadurch die Christliche Wissenschaft als unwiderstehliche Anziehung für die Menschen zu beweisen. Durch unsere geliebte Bewegung soll die Erlösung der Menschen ausgearbeitet werden. Laßt uns also, ob alte oder neue Mitglieder, nie durch den scheinbaren, zu überwindenden Irrtum erschreckt werden; laßt uns vielmehr frohlocken, daß wir seine ganze Nichtigkeit verstehen und sie beweisen können.
Die treuen Christlichen Wissenschafter sind sich über alle grundlegenden Tatsachen der Wissenschaft einig; und durch geistiges Wachstum werden wir eines Tages auch über die Verfahrungsarten der Anwendung dieser grundlegenden Wahrheiten auf menschliche Angelegenheiten vollständige Einigung finden. Unterdessen können wir uns über die bewährte Standhaftigkeit Der Mutter-Kirche und ihrer Regierung, wie sie von unserer geliebten Führerin festgesetzt wurde, über das Vorrecht, Mitglieder dieser Kirche und ihrer Zweige zu sein, über das Wachstum des einzelnen und der Gesamtheit, das durch die Arbeit darin erlangt wird, beständig freuen und Gott von ganzem Herzen danken. Wir können aus der mit jedem Tage klarer hervortretenden Tatsache immer mehr Begeisterung schöpfen,— aus der Tatsache, daß
„Vorwärts, wie ein starkes Heer,
Schreitet Gottes Kirche”.
