Ein weiser Schriftsteller hat erklärt: „Unter Freundschaft versteht man die größte Liebe, die größte Nützlichkeit, den offenherzigsten Gedankenaustausch, die strengste Wahrheit, den aufrichtigsten Rat und die engste Seelengemeinschaft, deren tapfere Männer und Frauen fähig sind”. Was für eine wahre Auslegung von Freundschaft dies doch ist! Denn wer, der einen echten Freund gehabt hat, hat in diesem nicht die hervorragenden Eigenschaften Herzensgüte, Hilfsbereitschaft, Offenheit. Geduld, unerschütterliche Ergebenheit und Treue, Vertrauen und tiefstes Mitgefühl in Absicht und Handlung gefunden? Im Buch der Sprüche lesen wir: „Ein Freund liebt allezeit”, und wahre Freundschaft könnte nie weniger als eine solch unerschütterliche Hingebung ausdrücken.
Die Freundschaft klopft nun an die Tür jedes einzelnen, und es gibt wenig, das die Menschen genauer und näher angeht, als ein rechtes Verständnis dieser Frage. Überall hängen die wahren Beziehungen zwischen den Menschen ganz von einer rechten Wertschätzung der Freundschaft ab, da viel von dem scheinbaren Elend in der Welt die Folge der falschen Begriffe in dieser Hinsicht ist. Ja, wenn die Menschen sich als untreu gegen den Namen Freund erwiesen haben, waren überaus peinliche Zustände die unausbleibliche Folge. Denn gerade die Grundlage menschlicher Gemeinschaften ist dann erschüttert worden, und ganze Aufbaue menschlicher Interesse sind oft in herzzerreißender Weise zugrunde gegangen.
Die Christliche Wissenschaft erhöht die wahre Freundschaft, gerade wie sie auch alles andere, was edel und christlich ist, emporhebt. In „Retrospection and Introspection” (Rückblick und Einblick, S. 8) hat Mrs. Eddy geschrieben: „Die Erde kennt kein größeres Wunder als Vollkommenheit und eine ungetrübte Freundschaft”. Die Christlichen Wissenschafter werden daher aufgefordert, in dieser wie in jeder andern Hinsicht dem höchsten Vorbilde gemäß zu leben. Sie dürfen ebensowenig glauben, sie können sich dadurch als untreu gegen die Wahrheit und die Liebe erweisen, daß sie weniger als wirkliche Freundschaft ausdrücken, wie sie das Widerspiegeln irgend einer andern heiligen Eigenschaft, die das Glück des einzelnen oder aller Menschen betrifft, nicht versäumen dürfen. Im Gegenteil, es ist fraglos ihre Pflicht, zu lernen, was die Christliche Wissenschaft über Freundschaft lehrt, und dann diese Lehre beständig zu betätigen.
Die Bibel und die Schriften der Mrs. Eddy enthalten viel ungeheuer Wertvolles zur Erläuterung dieser Frage, und der Schüler, der darin Unterweisung sucht, wird mit solch klaren Begriffen von dem, was wahre Freundlichkeit bedeutet, belohnt, daß er in dem Maße, wie er ihnen gerecht wird—sie anwendet—, vor den bösen Wirkungen der Unfreundlichkeit geschützt wird, sei es, daß diese ihn von innen oder von außen zu bestürmen beanspruche.
Wahre Freundschaft nimmt wie alles Wahre ihren Anfang bei Gott. Als Abraham „der Freund Gottes” genannt wurde, wurde den Menschen gezeigt, daß das rechte Verständnis von Freundschaft stets mit einem richtigen Verständnis dessen beginnen muß, was Treue gegen Gott in sich schließt. Denn wie kann man treu gegen seinen Bruder sein, wenn man nicht in erster Linie treu gegen Gott ist? Hat man die Treue gegen die Wahrheit und die Liebe bewiesen, die die Christliche Wissenschaft möglich macht, so erkennt man, daß dies auch die gleiche Treue gegen seinen Bruder in sich schließen muß. Wie lang könnte man sich für den „Freund Gottes” halten, wenn man des guten Willens, des Wohlwollens und anderer solcher Eigenschaften ermangeln würde, aus denen die wahre Freundlichkeit, mit der man seinen Bruder behandelt, besteht?
Es ist nicht schwer, sich der Freundlichkeit gegenüber freundlich zu erzeigen. Sind andere freundlich gegen uns, so ist es im allgemeinen etwas Einfaches, ihnen Freundlichkeit zu erwidern. Solange die Menschen uns Treue erweisen, finden wir es nicht schwierig, treu gegen sie zu sein. Aber dem Beispiel unseres gesegneten Meisters folgen, mag jedoch ein größeres Bemühen erfordern. Sogar als Judas kam, um ihn zu verraten, nannte ihn Jesus „Freund”! Und unsere geliebte Führerin sagt in „Miscellaneous Writings” (S. 267): „Unsere schlimmsten Feinde sind die besten Freunde unseres Wachstums”. Den höchsten Begriff von Freundschaft hegen, wenn wir offensichtlich betrogen, verleumdet, verraten worden sind,—in solchen Zeiten treu die selbstlose Liebe beweisen, die die Christliche Wissenschaft einprägt,—heißt, uns in nähere Beziehung zu Christus, dem besten Freund, den wir kennen lernen können, erheben:
Es gibt noch eine andere Art von Freundschaft, die ungeheure Forderungen an die selbstlose Liebe stellt. Mrs. Eddy schildert sie mit folgenden Worten (Miscellaneous Writings, S. 118): „Wie ernstlich sich die menschliche Liebe auch immer danach sehnt, einen Fehler zu vergeben, und ihn einen Freund auf angenehme Art vergessen zu lassen, so kann doch unser Mitleid weder den Irrtum sühnen, das Wachstum des einzelnen fördern noch das unwandelbare Gebot der Liebe:, Halte meine Gebote‘ ändern”. Die Freundschaft ist daher ein göttliches Vorbild, das in unser Denken und Leben eingeschlossen werden muß. Was auch immer die Umstände seien, es ist immer unsere Pflicht und unser Vorrecht, nie versagende Freundlichkeit gegen alle Menschen zu bewahren. Tun wir dies, so kann jeder von uns versichert sein, daß er sich würdig macht, nicht bloß der Freund der Menschen, sondern auch „der Freund Gottes” genannt zu werden.
Dem aber, der überschwenglich tun kann über alles, das wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die da in uns wirkt, dem sei Ehre.—Epheser 3:20, 21.
