Sobald jemand, der nach dem Guten trachtet, der geistige Dinge zu verstehen sucht, die Bedeutung der Geistigkeit zu erfassen beginnt, erkennt er, daß er frei werden muß von dem Glauben, daß er der Sohn eines Sterblichen, vom Weibe geboren, der Erbe der Eigentümlichkeiten zahlloser Vorfahren sei. In seinem Gespräche mit Nikodemus erklärte Jesus, daß man von neuem geboren werden müsse, nicht fleischlich, sondern „aus Wasser und Geist”. Damit meinte er, daß die Menschen von alten Annahmen frei werden und von einem neuen Verständnis so beseelt sein müssen, daß sie tatsächlich im geistigen Leben atmen. Bei einer andern Gelegenheit sagte er: „Und sollt niemand Vater heißen auf Erden; denn einer ist euer Vater, der im Himmel ist”; und er anerkannte sich nur als Sohn Gottes, wenn er sich auch „des Menschen Sohn” nannte. Er sprach nicht vom irdischen Menschen als seinem Vorfahren, sondern von sich als dem Vertreter des wahren Menschentums, des Bildes und Gleichnisses Gottes, des wirklichen Menschen, der das beseligende Wesen zum Ausdruck bringt.
Wir nennen Gott „unsern Vater”, weil unser Leben, unser Sein, unsere Nützlichkeit, unsere Freudigkeit unmittelbar von Ihm kommen. Sollen dann die Sterblichen von tierischen Leidenschaften, von dem Glauben an menschliche Vererbung, von weltlichen Bestrebungen beherrscht werden, oder sollen sie die Regierung des Himmelreichs erkennen, das immer nahe ist? In einer Ansprache wies unsere Führerin auf die Bedeutung dieser Regierung hin mit den Worten (Miscellaneous Writings, S. 100): „Reines Menschentum, Freundschaft, Heimat, gegenseitige Liebe bringen einen Vorgeschmack des Himmels auf die Erde. Sie vereinigen irdische und himmlische Freuden und krönen sie mit unendlichen Segnungen”.
Als Paulus Pharisäer war, eiferte er für die Überlieferungen der Alten. Er nahm zu im Judentum, wie er erzählt, über viele seiner Altersgenossen, und sein Eifer trieb ihn soweit, daß er die christliche Kirche verfolgte und zu vernichten suchte. Doch rechtzeitig erreichte ihn die Offenbarung der guten Botschaft. Anschaulich beschrieb er das Ereignis in seinem Briefe an die Galater mit den Worten: „Es gefiel Gott wohl, ... daß er seinen Sohn offenbarte in mir”. Hierauf wurde er zum Apostel ausersehen, der den Heiden das Evangelium predigen sollte. Er hatte die Leute „dieses Weges” verfolgt; aber nun sah er, daß dieser Weg der wahre Weg war, weil er selber die Verwandtschaft des Menschen mit Gott, so wie Christus Jesus sie erklärt hatte, erkannte. Mrs. Eddy schreibt (Miscellaneous Writings, S. 75): „Christus war ‚der Weg‘; denn das Leben und die Wahrheit waren der Weg, der uns durch eine menschliche Person eine geistige Offenbarung der möglichen irdischen Entwicklung des Menschen gab”.
Johannes fragt: „Wer ist aber, der die Welt überwindet, wenn nicht, der da glaubt, daß Jesus Gottes Sohn ist?” Aber in seinem Briefe hatte er bereits erklärt: „Welcher nun bekennt, daß Jesus Gottes Sohn ist, in dem bleibt Gott und er in Gott”. Hier haben wir die Erklärung, daß ein Leben Gott und den Menschen verbindet, daß Vater und Sohn im Wesen eins sind. Die Kundwerdung des wahren Wesens des Menschen in Christus Jesus bewirkte Heilungen, begründete Erlösung und enthüllte das Himmelreich. Da die Pharisäer und ihre Anhänger für wahre Ursächlichkeit keinen Blick hatten, mißdeuteten sie das Leben und das Werk des Meisters vollständig. Sie sagten: „Durch den obersten der Teufel treibt er die Teufel aus” und behaupteten, seine Werke ließen sich durch Mesmerismus erklären. Sie leugneten sein Einssein mit dem Vater; und wer das Böse für Ursächlichkeit hält, wiederholt dieses Leugnen hinsichtlich des Menschen. Das Festhalten an ihrem bösen Glauben machte sie blind gegen die Offenbarung.
Wir sehen also, wie wahr die Erklärung der Mrs. Eddy in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 314) ist: „Infolge ihrer materiellen und sündigen Annahme war der geistige Jesus für die Sterblichen nicht wahrnehmbar”. Es ist beachtenswert, wie ruhig der Meister den Juden antwortete, als sie ihn verhöhnten, weil er „ein Samariter” sei und den Teufel habe. Der Bericht lautet: „Jesus antwortete: Ich habe keinen Teufel, sondern ich ehre meinen Vater, und ihr unehret mich. Ich suche nicht meine Ehre”.
Wie wichtig es ist, Gott die Ehre zu geben und sich so frei zu machen von jedem Glauben, daß das Heilen Mesmerismus sei, und daß Wiedergeburt auf Hypnotismus beruhe,— mit andern Worten, daß ein sogenanntes menschliches Gemüt die Werke Gottes tun könne,— wird durch die Erklärung des Johannes: „Wer da glaubt, daß Jesus sei der Christus, der ist von Gott geboren”, veranschaulicht.
Was befürchten die Menschen bei anderen Menschen? Sie fürchten teuflisches Vorhaben und Handeln, mit anderen Worten, sie glauben, mindestens einige ihrer Mitmenschen seien „ohne Gott in der Welt”. Fürchtet man sich vor jemand, der Gott gehorcht, vor dem Menschen des Prinzips? Fürchtet man das Christus gemüt oder jemand, der die Worte des Apostels befolgt: „Ein jeglicher sei gesinnet, wie Jesus Christus auch war”? Nein, es freut sich vielmehr jeder, der erkennt, wie eine neue Welt dadurch entsteht, daß die Menschen sich loslösen von lebloser Religion, von gesetzloser Staatskunst, von lieblosem Bürgertum, von einer Weltanschauung ohne Sittlichkeit und einer sogenannten Wissenschaft, die nicht heilen kann. Die Offenbarung, die die Menschen befähigt, diese falschen Annahmen aufzugeben, erneuert ihre Gesinnung derart, daß sie durch die Eingebung des Gemüts leben und lieben; und da sie Gott als Gesetzgeber anerkennen, befolgen sie das Gesetz und beweisen dadurch, daß sie „der göttlichen Natur teilhaftig” geworden sind.
Wie ermutigend sind die Worte des Petrus in seinem ersten Briefe: „Darum so begürtet die Lenden eures Gemütes, seid nüchtern und setzet eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch angeboten wird durch die Offenbarung Jesu Christi”. Diese Offenbarung enthüllt das wirklich Wahre und befreit die Menschen von ihrer beständigen Furchtsamkeit, einem Gemütszustande, bei dem sie in allen Richtungen nach einem Anzeichen des Teufels ausschauen. Das menschliche sogenannte Gemüt mit seinen vielen Erfindungen und immer zahlreicher werdenden Einbildungen hat die Welt verwirrt, so daß es in ihr manchmal keine einfache Sprache der Wahrheit, sondern ein Durcheinander von widerstreitenden Beweisgründen und Annahmen zu geben scheint. Was für ein ruhiges und tröstliches Gefühl Männer und Frauen doch beseelt, wenn sie von dieser stürmischen Welt der Verwirrung und Ungewißheit befreit werden und in sich die Entwicklung wahrer Einsicht finden, wodurch sie die Dinge Gottes erkennen und dann lieben und genießen können! Dies ist die Wiedergeburt, die geistige Taufe!
 
    
