Wie der Kunstschüler, der sich abmüht, seine Vorstellung von Schönheit darzustellen, in Bewunderung versunken vor dem leuchtenden Bilde eines großen Meisters steht, so überkommt die Schüler der Christlichen Wissenschaft beim Lesen der Forderung der Mrs. Eddy, das augenblickliche geistige Heilen wiederaufzurichten, ein viel größeres Gefühl der Schönheit und der Begeisterung. Auf Seite 355 in „Miscellaneous Writings” schreibt unsere Führerin: „Weniger Lehren und gutes Heilen ist heute der Höhepunkt des ‚Wohlgetan‘, ein Heilen, das kein Mutmaßen — keine langwierige, schwankende Genesung — sondern augenblickliche Wiederherstellung ist. Dieses unbedingte Beweisen der Wissenschaft muß wieder erweckt werden”. Man bedenke—„augenblickliche Wiederherstellung”; bei jedem ans Bett Gefesselten das Licht dieser Befreiung angezündet, der Einsame unwiderstehlich getröstet, Armut beseitigt, Sünde und Tod aufgehoben, die ganze leidende Menschheit emporgehoben!
Da der Schüler weiß, daß Mrs. Eddy nie von anderen erwartete, daß sie Wege gehen, die sie selber nicht gegangen war und nicht als von der Wahrheit gewiesen erprobt hatte, so anerkennt er in wahrer Dankbarkeit, daß sie berechtigt war, zu gebieten, daß „dieses uneingeschränkte Beweisen der Wissenschaft wieder erweckt werden muß”. Der Neuling in der Wissenschaft unternimmt also in dem ernsten Verlangen, gehorsam zu sein, seinen ersten Schritt vorwärts, und sofort bedrängen ihn die beiden alten Einflüsterungen, daß er nicht gut genug sei und nicht genügend Verständnis habe, die Kranken zu heilen. Wenn der Schüler durch die tröstliche Erkenntnis, daß Gott in der Tat der einzige Heiler ist, von diesen Gedanken des eigenen Ich frei wird, durchströmt erquickende Tatkraft sein Denken, und er fühlt sich einigermaßen in dem Verständnis geborgen, daß das Prinzip seine Idee selber erklärt und aufrecht erhält. Gehorsam bedeutet von nun an für den jungen Schüler etwas ganz anderes. Er bedeutet nicht mehr Einschränkung, Entbehrung und eintönige Pflicht, sondern Freiheit, die Möglichkeit, Gott hier und jetzt als das All in allem zu erkennen — ja, in der Tat die Schwingen, mit denen wir uns zum Himmel erheben. Wenn der Schüler erkennt, daß augenblickliches Heilen augenblickliches Kundwerden rechten, geistigen Denkens bedeutet, erkennt er, daß es notwendig ist, ohne Unterlaß zu beten; und er ist mit inniger Hingebung bestrebt, gesinnet zu sein, „wie Jesus Christus auch war”‚— das Gemüt zu haben, das jede seiner Ideen sich augenblicklich entfalten läßt.
Sollte sich der Schüler am Ende des Tages fragen, wieviel von seinem absichtlichen Denken er sofort hätte bekundet sehen mögen, so würde er ohne weiteres zugeben, daß kein einziger Gedanke des endlichen sogenannten Gemüts ein augenblickliches Kundwerden ertragen könnte. „Meine Gedanken sind”, wie es im Buche des Propheten Jesaja heißt, „nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr; sondern soviel der Himmel höher ist denn die Erde, so sind auch meine Wege höher denn eure Wege und meine Gedanken denn eure Gedanken”.
Abraham lernte diese Lehre bei der Zerstörung Sodoms. Zuerst war er überzeugt, daß immer ein wenig Gerechtigkeit im sterblichen Denken bleibe. Daher brachte er sein Erstaunen über die vollständige Verdammung mit den Worten zum Ausdruck: „Willst du denn den Gerechten mit dem Gottlosen umbringen? Es möchten vielleicht fünfzig Gerechte in der Stadt sein; wolltest du die umbringen und dem Ort nicht vergeben um fünfzig Gerechter willen, die darin wären?” Aber nach und nach lernte der Prophet das Gute vom Bösen besser unterscheiden; und er fand weniger Gutes im sterblichen Denken, bis die stolzen Fünfzig auf zehn herabgesunken waren,— die auch nicht zu finden waren. „Und der Herr ging hin”, heißt es dann; und damit trat die Trüglichkeit der menschlichen Vorstellung klar zutage.
Behält der Schüler der Christlichen Wissenschaft das hohe Ziel des augenblicklichen Heilens stets vor Augen, so übernimmt er die Verantwortung, zu erwarten, daß wahre Gedanken sich schnell bekunden. Er denkt nichts Müßiges mehr über andere und weist Haß, Rache, Eifersucht und Verzagtheit unverzüglich von sich. Sollten sich jedoch in unbewachter Stunde niedrige und häßliche Gedanken einschleichen, so ist der Schüler nicht überrascht, wenn sie sich äußerlich bekunden; denn „es ist klar, daß man das Böse mit Macht ausstattet”, wie Mrs. Eddy in „Christian Science versus Pantheism” (S. 6) schreibt, „wenn man es auf die Stufe des Gemüts erhebt”. „Was kann der Mensch geben, damit er seine Seele wieder löse?” fragte Jesus eindringlich. Ja, was könnte uns unser unschätzbares gottverliehenes Erbe — die Kraft, das von der Liebe schon erschaffene unendlich Gute zu erkennen — ersetzen? Verlangen wir ehrlich nach der Fähigkeit, Sünde und Krankheit aller Art augenblicklich zu heilen, dann wollen wir uns bewußt sein, daß wir ohne Unterlaß wachen und beten müssen, damit wir nur solche Gedanken beherbergen, die, wenn sie augenblicklich offenbar werden, die Menschen segnen.
Welch unaussprechliche Herrlichkeit! Das augenblickliche Kundwerden des göttlichen Gemüts wieder unter uns! Der Christus erkannt; die Forderung unserer geliebten Führerin befolgt! In „Miscellaneous Writings” (S. 330) schreibt sie: „Die Erlen neigen sich über den Fluß und schütteln ihren Blätterschmuck im Wasserspiegel aus. Laßt die Sterblichen sich vor dem Schöpfer neigen und durch die Klarheit der Liebe betrachtet den Menschen in Gottes eigenem Bild und Gleichnis sehen, indem sie jeden knospenden Gedanken in die Schönheit der Heiligkeit einreichen”.
