Die Erfahrung hat schon viele Menschen gelehrt, daß etwas oberflächlich Begonnenes sich oft zu einer neubelebten, erleuchteten Auffassung der Kraft und des Ausdrucks der Wahrheit entfalten kann. Eine tückische und betrügerische Einflüsterung des Irrtums ist der Vorwand, daß, wenn wir gewisse Ansprüche des Bösen für uns, für jemand anders oder für eine Sache nicht aus freiem Antrieb bestimmt und täglich behandeln können, es besser sei, es ganz zu unterlassen, bis wir einen höheren Bewußtseinszustand erreichen. Aber unsere große Führerin Mrs. Eddy weist in ihrem anspornenden Aufsatze „Erläuterung” in „Retrospection and Introspection” (S. 86–92) klar auf die Notwendigkeit planmäßiger Arbeit des Schülers hin. Und in ihrer Botschaft an Die Mutter-Kirche für das Jahr 1900 (S. 9) schreibt sie: „Aufrichtigkeit ist erfolgreicher als Schöpfergabe oder Geschicklichkeit”. Hieraus können wir schließen, daß eine aufrichtige, demütige, gehorsame Anstrengung nicht unbelohnt und ergebnislos bleibt; denn bald spornt geistige Eingebung und ein von der Liebe entfachter Strahlenglanz das scheinbar oberflächliche Beginnen an.
Es hat den Anschein, als ob der Irrtum sich sehr anstrenge, uns träge zu machen, uns immer weiter von dem geistigen Reiche und von der uns von der göttlichen Liebe zugewiesenen Aufgabe zu entfernen, indem er manch arglistige kleine Einflüsterung in den lieblichen Weinberg unserer menschlichen Bemühungen sendet, um unsere emporstrebenden Ziele und Neigungen schon an der Wurzel zu zerstören. Dabei können die Einflüsterungen auch als beharrliche, scheinbar wohlwollende „kleine Füchse” auftreten, um Einlaß in den Weinberg zu erlangen und nicht entdeckt und in die Flucht geschlagen zu werden, ehe sie die Lebenskraft dessen, was wir hochziehen, abnagen, so daß es erlahmt und in den Staub der Weltlichkeit sinkt.
Wie oft ging großen Leistungen in der Bibel lähmender Zweifel voraus, der durch demütigen Gehorsam gegen die göttliche Aufforderung überwunden wurde! Wie beharrlich suchte der Irrtum Mose von der ihm zugewiesenen Aufgabe abzuhalten! Wie soll ich sprechen? Wie sollen sie wissen? Sende einen Würdigeren! Und so windet und dreht sich der Vorwand des sterblichen Gemüts weiter, um die göttliche Aufforderung zu umgehen!
Murren ist das in der Bibel zur Bezeichnung dieses Treibens der fleischlichen Lüge so oft gebrauchte Wort, und es beschreibt genau ihre verwirrten, unklaren, beharrlichen Ausflüchte, die hinter einer Verschwommenheit von Zweifel, Unentschlossenheit und Klagen lauern und keine Spur zusammenwirkenden, aufbauenden Denkens zeigen, sondern jedes klare Gebot zu Fortschritt und uneigennützigem Handeln zu verneinen suchen. Wir alle haben jeden Tag mit derartigen Einwänden zu tun. Je geistiger die Aufgabe ist, die an uns herantritt, desto listiger und beharrlicher suchen uns die Vorwände der fleischlichen Lüge daran zu hindern. Ist der Feind aber einmal richtig gestellt und als das erkannt, was er ist, so leuchtet die Inspiration, und in ihrem Lichte erfolgt mit Zuversicht und großem Eifer der nächste Schritt.
Wie oft und, ach, wie sehnsüchtig hat mancher Wahrheitssucher darum gebetet, das „stille, sanfte Sausen” der göttlichen Führung deutlich zu vernehmen,— es zu vernehmen, zu beherzigen und so wachsam und gehorsam zu sein, um augenblicklich zu folgen, wohin es auch führen möge! Wir wissen, daß dieses geistige Innewerden nur dann eintreten kann, wenn wir uns die Wahrheiten des Geistes beständig vor Augen halten, wenn wir auf die Verlockungen des fleischlichen Sinnes nicht eingehen, wenn wir uns von den falschen Freuden der Behaglichkeit und der Trägheit im Fleische fernhalten und die Unvernunft vermeiden, die kostbaren Stunden ungenützt verstreichen zu lassen,— alles vermeiden, wodurch die Sinne uns zu veranlassen suchen, die Herrlichkeit und die Inspiration der Wahrheit dadurch zu verlieren, daß wir die nutzlosen Nachahmungen wählen.
Mrs. Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, hat in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 418) geschrieben: „Halte fest an der Wahrheit des Seins, im Gegensatz zu dem Irrtum, daß Leben, Substanz oder Intelligenz in der Materie sein können. Führe deine Verteidigung mit einer ehrlichen Überzeugung von der Wahrheit und einer klaren Wahrnehmung von der unwandelbaren, unfehlbaren und sicheren Wirkung der göttlichen Wissenschaft”. Und sie fügt die trostreiche Versicherung hinzu: „Wenn dann deine Treue nur halbwegs der Wahrheit deiner Verteidigung gleichkommt, wirst du die Kranken heilen”. Welch beherzte Ermutigung zu standhaftem, demütigem Gehorsam, der unvermeidlich für den höchsten Erfolg, der menschliches Bemühen je krönen kann, begeistert, nämlich für das erfolgreiche Zerstören eines Anspruchs des Bösen, der der Menschheit die Herrschaft und die Freude wahren Seins vorenthalten möchte!
„Wenn dann deine Treue nur halbwegs der Wahrheit deiner Verteidigung gleichkommt” ermuntert nicht zu halber Arbeit, sondern zu gehorsamer, planmäßiger Anstrengung und zwar durch die Erkenntnis, daß selbst ein geringes Maß eines ehrlich und aufrichtig auf die Aufgaben unseres täglichen Lebens angewandten Verständnisses Segen bringt. Stimmt dies nicht vollkommen überein mit der Versicherung des großen Wegweisers: „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan”? Schüler der Christlichen Wissenschaft finden, daß eines der wirksamsten Mittel, geistiges Verständnis zu erlangen, ein Mittel, das unmittelbar auf den lichten Pfad der Inspiration führt, das tägliche Lesen der Bibellektionen im christlich-wissenschaftlichen Vierteljahrsheft ist, die unsere weise Führerin vorgesehen hat, damit wir dem göttlichen Ruf gehorsam bleiben und nicht wanken. Diese Lektionen vielleicht in früher Morgenstille, ehe die Welt sich an die Aufgaben des Tages gemacht hat, mit Gebet und Lobpreisen lesen, heißt an die geheiligte Tür des Geistes pochen und sie offen finden für unser demütiges Verlangen nach Gnade, Läuterung und Mut, den Forderungen gerecht zu werden, die an uns herantreten, wenn wir unsere Schwelle überschreiten und auf die Wege und Seitenwege des Alltags hinaustreten.
Viele bedeutende Menschen haben sich an die Heilige Schrift gewandt und aus ihr Führung und Halt — wahre Inspiration — geschöpft. Tennyson soll einmal geschrieben haben: „Hätte ich nicht täglich in der Bibel gelesen, so wäre ich verzweifelt”. Die Christlichen Wissenschafter sind unaussprechlich dankbar, daß sie durch die Offenbarung ihrer Führerin in der geistigen Auslegung der Bibel einen „Schlüssel” haben, durch den sie sich überzeugt zu dem ersten Glaubenssatz ihrer Kirche auf Seite 497 in Wissenschaft und Gesundheit und auf Seite 15 des Handbuchs Der Mutter-Kirche bekennen können: „Als Anhänger der Wahrheit haben wir das inspirierte Wort der Bibel zu unserm geeigneten Führer zum ewigen Leben erwählt”. Durch Gehorsam gegen diesen Glaubenssatz finden sie beständig Inspiration.
