Eine der Erklärungen für Mäßigkeit ist völlige Enthaltsamkeit vom Genuß alkoholischer Getränke. In seinem Briefe an die Galater bezeichnet Paulus [nach der engl. Bibelübersetzung] die Mäßigkeit als eine der Früchte des Geistes. Man kann aus dem Zusammenhang schließen, daß er das Wort in diesem Sinne gebraucht wissen wollte; denn er sprach vorher von den Werken des Fleisches, die in verschiedenen Irrtümern, z.B. in der Trunksucht, zutage treten. Daß dieser tiefreligiöse, hochintelligente Apostel die Mäßigkeit für wert hielt, im Verein mit anderen geistigen Eigenschaften wie „Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut” genannt zu werden, berechtigt sowohl den einzelnen als auch ein Volk vollauf, sie hochzuachten,— die Mäßigkeit als überaus wertvollen Besitz lieb und wert zu halten.
Durch Annahme des 18. Zusatzes der Verfassung der Vereinigten Staaten nahm das Volk diese Bedeutung des Wortes „Mäßigkeit” an und faßte den Entschluß, nicht mehr mit alkoholischen Getränken zu handeln,— dieses „Unreine” nicht mehr anzurühren. Dieser Schritt vorwärts bedeutet auch, daß das Volk zu solchem Handel unter seinen Nachbarn nicht anspornen oder sich daran beteiligen soll. Überdies legt Treue gegen die Verfassung einer Demokratie und auch dem einzelnen Bürger die feierliche Verpflichtung auf, diesen Zusatz zu halten.
Während Enthaltung vom Genuß alkoholischer Getränke ein unerläßlicher Bestandteil der Mäßigkeit ist, ist sie doch nur ein Teil dieser Gnade des Geistes; denn im geistigen Sinne ist Mäßigkeit mehr, weit mehr als selbst das strengste Beachten eines Ortsoder Landesgesetzes. Gehorsam gegen den Buchstaben allein oder vollständige Enthaltsamkeit allein könnte bei Gelegenheit widerwillig zugebilligt oder von dem selbstischen Standpunkte aus ausgeübt werden, daß man sich von der Sicherheit, die das Halten des Buchstabens des Gesetzes gewährt, nicht ausschließt, während Mäßigkeit im geistigen Sinne alle Eigenliebe, alle Begierde und alle Selbstbefriedigung der Sinne zugunsten des Gesetzes des Guten ausschaltet. Wenn wir das Menschengeschlecht zu bessern trachten, ist es von höchster Wichtigkeit, daß wir die geistige Bedeutung jedes Schrittes verstehen; denn das Materielle hat uns bisher schmählich im Stich gelassen.
Auf Seite 404 in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” finden wir eine der vielen inspirierten Darlegungen unserer Führerin Mary Baker Eddy: „Die Temperenzreform, die sich in unserem ganzen Lande fühlbar macht, ist eine Folge des metaphysischen Heilens, das jeden Baum abhaut, der nicht gute Früchte trägt. Die Überzeugung, daß Sünde kein wirkliches Vergnügen gewährt, ist einer der wichtigsten Punkte in der Theologie der Christlichen Wissenschaft”. Das Nachdenken über diese Worte erweckt unsere Dankbarkeit für ihr unermüdliches Forschen nach der geistigen Bedeutung der Heiligen Schrift, die uns als Führer zum ewigen Leben dient. Wir sind dankbar, daß ihr Forschen erfolgreich war, und daß sie die Anwendung der Wahrheit auf jedes zur Lösung sich bietende Problem lehrte. Wir dürfen wohl fleißig danach trachten, dieses metaphysische Heilen, das die Folge des Verständnisses Gottes und des Gehorsams gegen Ihn ist, auszuüben; denn es erlöst von allem Elend, das der Glaube an Freude und Schmerz in der Sünde unvermeidlich nach sich zieht.
Wenn wir noch nicht verstehen gelernt haben, daß die Sünde keine wirkliche Freude bereitet, wenn wir noch nicht die Fähigkeit erlangt haben, böse Annahmen vollständig zu meistern und das Gute über alles zu lieben, haben wir das Vorrecht, sofort den ersten Schritt in dieser Richtung zu machen und auszuharren, bis der falsche Sinn vom Selbst überwunden ist. Das Verlangen nach dieser Überwindung ist der erste Schritt zur Meisterung des Bösen, und schon die Sehnsucht nach dem Guten ist ein annehmbares Gebet.
Die Grundlage des Erfolgs bei dieser löblichen Anstrengung, sich selber umzuwandeln, ist das Verständnis, daß des Menschen göttliches Prinzip, Gott, vollkommen ist, und daß der Mensch das göttliche Prinzip, das Gemüt, widerspiegelt, das keine Verderbtheit, keinen Glauben an Materie kennt. Vor diesem Verständnis verschwinden böse Annahmen, und „Menschlichkeit, Ehrlichkeit, Herzenswärme, Erbarmen, Hoffnung, Glaube, Sanftmut, Mäßigkeit”, die von Mrs. Eddy aufgezählten „Übergangseigenschaften” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 115), dämmern im menschlichen Bewußtsein auf und führen zu den auf der nächsten Seite aufgezählten geistigen Merkmalen „Weisheit, Reinheit, geistiges Verständnis, geistige Kraft, Liebe, Gesundheit, Heiligkeit”.
Beim Streben nach materiellem Erfolg gelten Fleiß und Ausdauer als wertvolle Eigenschaften. Ist man mit ihnen ausgerüstet, so kann der Erfolg als verbürgt gelten. Und bei dem Bemühen, die Herrschaft über den sogenannten sterblichen oder fleischlichen Sinn zu erlangen, sind diese Eigenschaften ebenso wertvoll. Wir sollten jedoch nie vergessen, daß der wirkliche Mensch als die Widerspiegelung Gottes, des göttlichen Prinzips, vollkommen, unsterblich und rein geistig ist. Durch dieses Wissen erlangt man die Liebe zum Guten, und der Sieg über böse Annahmen ist daher gewiß. Durch beharrliches Anwenden dieses wahren Verständnisses werden menschliche Begierden gemildert, und Mäßigkeit ist gesichert. Überdies hat dieses Verständnis bei fleißiger und treuer Anwendung metaphysisches Heilen zur Folge.
Auf diese Art erlangte wahre Mäßigkeit verzichtet gern auf selbstische Vorteile und sogenannte persönliche Freiheit zugunsten der größeren Freiheit der größeren Zahl im Rahmen der befriedigenden Bestimmungen des Gesetzes Christi, der Wahrheit. Mit solcher Mäßigkeit ist kein Verlust verknüpft. Wie jeder, der sie betätigt, bezeugen wird, bedeutet sie fortgesetzten Gewinn an wahrer Selbstachtung und an Liebe zu allen Menschen. Diese Betätigung versetzt uns in die Geborgenheit des „Gesetzes des Geistes, der da lebendig macht in Christo Jesu”, des Gesetzes, das uns „freimacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes”.
