Die Bergpredigt ist als das vollkommene Muster des Christentums anerkannt. Sie wurde nicht zu einer besonderen Zeit für einige Auserwählte gehalten, sondern für alle Menschen, die zu allen Zeiten Christi Jesu Lehren und Gebote annehmen und demütig danach trachten sollen, sie zu verstehen und ihnen nachzueifern. Sie weist den Weg zum rechten Leben und Handeln und hat für alle, die ihre Anweisungen befolgen, Freude und Verheißung die Fülle.
Buchstäblich und oberflächlich genommen mögen manche Gebote dieser Predigt kalt, abstoßend und schwer ausführbar scheinen; aber viele, die sie angenommen und erfolgreich angewandt haben, haben gefunden, daß lauter Verheißungen und Belohnungen aus ihnen leuchten. Unser geliebter Meister hat zwar erklärt: „Gehet ein durch die enge Pforte. ... Die Pforte ist eng, und der Weg ist schmal, der zum Leben führet; und wenige sind ihrer, die ihn finden”; hierin liegt aber nichts Furchtbares, Drohendes oder Schwieriges, wenn wir verstehen lernen, daß die Wahrheit „die Pforte” und das Leugnen der Materie oder des Fleisches „der Weg” ist, den zwar noch nicht alle Menschen gehen, den aber der Baum des Lebens beschattet und beschützt,— ein Baum, der die Früchte der Seligkeit trägt, die in den Seligpreisungen allen, die diesen Weg einschlagen, verheißen sind.
Das ganze Wirken Christi Jesu hatte den Zweck, die Menschen von dem falschen Glauben abzubringen, daß das Sichfügen in die Ansprüche des Fleisches Glück und Frieden bringe, und sie auf den Weg zu führen, den reine Wünsche Schritt für Schritt weisen.
Indem die Christlichen Wissenschafter bekennen, daß sie die Lehren Jesu, soweit sie sie verstehen, beweisen und befolgen, haben sie sich einen äußerst hohen Maßstab gesteckt; und wie glücklich sie sind, daß sie das vollkommene Muster der Bergpredigt haben, um ihre Beweggründe und Handlungen daran messen zu können! Es ist in der Tat erhebend zu wissen, daß alles rechtschaffene Bemühen seinen Lohn hat, und daß wir ihm jetzt nacheifern können, aber nicht durch engherzige Frömmelei oder strenges Verurteilen, sondern durch den Weg geistigen Verständnisses,— einen Weg, der dem irrenden Denken allerdings schmal vorkommt, weil es zwar gern den Lohn für Mühe, Selbstverleugnung und Hingebung ernten möchte, aber keine Lust hat, die Forderungen der Sinnlichkeit zu leugnen, um diese Ergebnisse zu erlangen.
Wer den geistigen Weg reinen Verlangens einschlägt, findet wahres Glück und Erfrischung und wird mit der im unsterblichen Bewußtsein immerwährenden Freude und dem Frieden der Seele gestärkt und erquickt. Unsere geliebte Führerin Mary Baker Eddy erntete den herrlichen Lohn für das Eingehen durch die Pforte des geistigen Verständnisses; denn in unserem Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 15) schreibt sie liebevoll: „Die Christen erfreuen sich stiller Schönheit und Fülle, verborgen vor der Welt, aber Gott bekannt”. „Verborgen vor der Welt”! Was kann die Welt mit ihrem Glauben an Erfolg im Irrtum, ihrem materiellen Gewinn, ihrem Ringen, ihrem unaufhörlichen fieberhaften Wettbewerb und ihrer Habsucht von den unfehlbaren, immer fließenden Quellen guter, wahrer, geistiger Gedanken und reiner Wünsche wissen, die nur darauf warten, das Bewußtsein mit „stiller Schönheit und Fülle”, der Widerspiegelung der Vorsorge Gottes für Seine Schöpfung, zu erfüllen?
Wie zur Zeit Nehemias möchte heute der Saneballat der Zeitvergeudung, der Trägheit und des Eigenwillens versuchen, den Bau der Mauer des Verständnisses zum Stillstand zu bringen, möchte an die Stelle der Ziegel und des Mörtels, der substantiellen Eigenschaften der Demut und rechter Tätigkeit, den Glauben an Behaglichkeit in der Materie setzen.
Eine scheinbar starke, aber nutzlose Waffe der Verbündeten Saneballats ist der Vorwand, daß man viel Schlaf und körperliche Ruhe brauche; aber auch diesem Bedürfnis kann sein rechter Platz als Diener, nicht als Herr, eingeräumt werden. Eine Schülerin der Christlichen Wissenschaft fand einst, daß sie besser beweisen müsse, daß die Annahme, daß sie zuviel zu tun und nicht Zeit genug habe, es zu tun, haltlos ist. Sie beschäftigte sich eine Zeitlang mit dem Problem und fühlte sich dann angetrieben, in der Bibel Hilfe zu suchen. In dem Bewußtsein, daß sie Führung finden werde, schlug sie sie auf und las: „Und Jakob stand des Morgens früh auf”! Da war die Antwort,— nicht von einem Teil ihrer Arbeit befreit zu werden, sondern morgens früher aufzustehen, um mehr Zeit zu haben, sie zu tun. Die Schülerin hätte sich kein unwillkommeneres Geheiß denken können; denn sie schlief gern und machte sogar gern ein Nachmittagsschläfchen! Und nun begann Saneballat bald Einwendungen vorzubringen über Ruhe und Gesundheit, bis die Schülerin sich im Denken auf den geistigen Weg reinen Verlangens, nur den Willen Gottes zu tun, flüchtete.
Allmählich lernte sie erkennen, was wahre Ruhe ist, lernte einsehen, daß Ruhe nicht von einer Annahme von Bewußtlosigkeit abhängt; und, Gott sei Dank, der Beweis wurde erbracht! Durch das frühere Aufstehen hörte nicht nur das Hasten zu einem großen Teil auf, sondern sie wurde auch von dem Schläfrigkeitsgefühl nachmittags, das sie jahrelang in Fesseln gehalten hatte, befreit — ein reicher Lohn, den sie weder erbeten noch erwartet hatte. Der Weg des Frühaufstehens morgens hatte ihr auf den ersten Blick gerade und schmal geschienen; nachdem sie ihn aber eingeschlagen hatte, bedeutete er für sie größere Tätigkeit in Ruhe und Gelassenheit anstatt Ermüdung und Aufregung.
Unser ganzes Tun kann von reinen geistigen Wünschen getragen sein; und welch gelassenen, dauernden, unzerstörbaren Frieden sie dem bringen, der sie hegt! Wie sie die ärmliche, schwächliche, schmerzbringende Nachsicht gegen sich selber austreiben und durch ein von den Forderungen der Materie unbeflecktes und unbeschränktes himmlisches Wesen ersetzen!
Unsere Führerin erkannte mit klarem Blick die tiefe Befriedigung, die man findet, wenn man sein Denken bewacht und es nur von reinen Wünschen regiert sein läßt. In einer in ihrer reichen Verheißung nicht mißzuverstehenden Sprache schreibt sie auf Seite 60 in Wissenschaft und Gesundheit: „Seele hat unendliche Mittel, mit denen sie die Menschheit segnet, und das Glück würde schneller erlangt werden und sicherer in unserem Besitz bleiben, wenn wir es in der Seele suchen würden. Höhere Freuden allein vermögen das Sehnen des unsterblichen Menschen zu befriedigen”.
